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Grundsätzliches

Peter Töpfer: Nationale Anarchie und anationaler Anarchismus im Vergleich

Was ist neu, was ist anders an der nationalen Anarchie im Vergleich zum Anarchismus, wie er bislang in Erscheinung getreten ist und den wir hier zur Unterscheidung als anational bezeichnen? Wir hätten auch “traditionell”, “antinational”, “gegenvölkisch”, oder “orthodox” sagen können, wobei diese Kritik uns bereits leid tut, denn der Anarchismus ist seinem Wesen nach weder doktrinär oder gar orthodox, noch gegen das Volk, d.h. gegen sich selbst. Er ist im Gegenteil tiefster Ausdruck des Einzelnen wie der Gemeinschaft, er ist die völkische Kraft schlechthin. Er sitzt derzeit nur in einigen Fallen, namentlich der “antifaschistischen” Falle, weil er Antifaschismus und Antipopularismus irriger- und fatalerweise amalgamiert. Volk bedeutet aber nicht Faschismus. Wir werden im weiteren andeuten, wo es beim heutigen Anarchismus hakt, wo es klemmt, an welchen Stellen er seine Radikalität verrät und Heiligtümer anbetet, die ihm sowohl als Heiligtum als auch von der Sache her an sich fremd sind. Der Gerechtigkeit halber muß allerdings gesagt werden, daß auf der sogenannten Linken die Anarchisten am wenigsten mit dem “antifaschistischen” Virus befallen sind. Das liegt in ihrer Natur. Der “Antifaschismus” wütet mehr in den Reihen der dogmatischen und autoritären Linken. Leider ist der schöne Name der “Autonomie” mit dem “Antifaschismus” amalgamiert, sind ausgerechnet die sog. Autonomen weitgehend heteronom, und zwar von den Gutmenschen bestimmt, ja sind sie die Knüppelgarde des Gutmenschentums. Es ist ein Witz, daß sich ausgerechnet diese “Autonomen” so nennen.

Wenn wir von “nationaler Anarchie” sprechen, so meinen wir eigentlich schlicht “Anarchie”. Das wird im folgenden oft deutlich werden, und (nichtnationale) Anarchisten werden sagen: Das ist Anarchie, so wie wir sie verstehen! Was soll daran neu sein? Sie werden damit oft recht haben, aber man wird auch deutlich merken, wo die nationale Anarchie eine Neuerung, einen Beitrag zum Anarchismus leistet.

Der anationale Anarchismus hat seine philosophische Entsprechung in der Aufklärung. Die nationale Anarchie ist Teil der neuen Aufklärung, radikalisiert die Aufklärung aber eigentlich und geht über sie hinaus. Die nationale Anarchie ist in einer ersten Phase transrationalistisch-postmaterialistisch, in einer zweiten nihilistisch. Die nationale Anarchie kritisiert insbesondere die Inkonsequenz der Aufklärer, den Rationalismus, die Verkürzung der menschlichen Natur und Existenz. Zu diese gehören weit unter dem Kognitiven liegende Schichten, deren Verleugnung und Dämonisierung unmenschlich ist. Dabei verabschiedet sich die nationale Anarchie aber von jeder Form von Szientismus und Apologismus: Ganz gleich, was eine Wissenschaft sagt, wir nehmen uns kein “Recht”: Wir sind. 

Der wesentliche Unterschied zwischen traditionellem und nationalem Anarchismus ist die Abkehr und Loslösung vom und die Angst vorm Leben der traditionellen Anarchisten. Zugespitzt gesagt ist alles Leben “Faschismus”, weil es nicht dem entspricht, was die Gutmenschen unter Leben verstehen. Der Anarchist sitzt heute mit dem “Antifaschisten” gemeinsam (heute fast Synonym) in der vom Gutmenschen aufgestellten Faschismusfalle.(1) Er läßt sich vom Gutmenschen aufgrund seiner Schuldgefühle erpressen und in Schach halten. Er ist selber der Gutmensch. Die nationale Anarchie hat keine Schuldgefühle. Für sie ist der Mensch nicht böse, auch wenn das Leben hart sein kann.

Um Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausstellen zu können, nehmen wir ein Buch des für anarchistische Literatur renommierten Karin Kramer Verlags (http://www.karin-kramer-verlag.de/) zur Hand: “Was ist eigentlich Anarchie? Einführung in Theorie und Geschichte des Anarchismus”, Berlin 21997. Der Autor oder die Autorin dieses Buches wird nicht genannt. Soll darin bereits eine Botschaft liegen? Nun, vielleicht hat man es einfach nur vergessen.

1.

Auf der ersten Seite der “Einführung in die Grundlagen des Anarchismus” (S. 7) heißt es: “Versuchen wir es mit einer Kurzdefinition: Ein Anarchist glaubt an eine freie Gesellschaft gleichberechtigter Menschen ohne Herrschaft. Er tritt für die Beseitigung jeder Herrschaft ein und bekämpft deshalb Staat, Kirche, Polizei, Kapital, Herrschaftsideologie. Er tritt immer und überall für die Interessen der unterdrückten Masse ein, gleichzeitig arbeitet er an den theoretischen Modellen und den praktischen Beispielen für eine künftige Gesellschaft, eine Gesellschaft ohne Herrschaft und Autorität, ohne Ausbeutung und Entfremdung, aufgebaut auf neuen Prinzipien wie Solidarität statt Egoismus, gegenseitige Hilfe statt Konkurrenz und freie Vereinbarung statt Befehlsprinzip.”

Auch die nationale Anarchie “glaubt” letztlich (an Herrschaftslosigkeit usw.), aber sie “weiß” um die Gegenwärtigkeit anarchisch zu nennender Zustände: Sie lebt die Anarchie hier und jetzt. Sie weiß: Die Gesellschaft wird nicht durch Gesetze zusammengehalten, sondern sie basiert auf spontanen, unterhalb wissentlichen Reglemtierens liegenden Interaktionen der Menschen. Freilich können die Menschen die hochkomplexen zivilisierten Gesellschaften nicht spontan und ohne Reglementierung zusammenhalten. Aber alles, was über die spontane Machbarkeit hinausgeht, ist von Übel. Wir wollen das gar nicht verwalten, weder spontan,  noch regulativ. Aber wir legen wert darauf, daß selbst hochkomplexe Systeme neben ihren Regularien letztlich auf Anarchie basieren. Ohne spontane, auf Biologischem basierende Vergemeinschaftung gibt es auch keine hochzivilisierte Gesellschaft. Nationale Anarchie ist keine Doktrin, sondern eine Bezeichnung für eine bestimmte Lebensweise (Autonomie [zu Überlegungen zur Problematik dieses Begriffes]) die ohne äußere Regularien (Heteronomie) auskommt, die an sich keine Bezeichnung benötigte.

Der nationale Anarchist “bekämpft” nicht Staat, Kirche usw. Jedenfalls nicht grundsätzlich oder weil “der Staat” sich als Feindbild verselbständigt hat und fetischisiert worden ist. Er sieht zu, wie er ein Leben ohne Leute führt, die ihm hineinreden wollen, seien diese Leute Vertreter des Staates. Er will sein Leben leben. Wenn irgend jemand, und sei es ein Vertreter eines Staates, ihm in die Quere kommt, ihn beherrschen, ihm etwas vorschreiben und ihm seine Selbstbestimmung nehmen will, sieht er zu, wie er so einfach, so bequem und so reibungslos wie möglich an der Lösung dieses Konfliktes arbeitet, wie er diesen Konflikt möglichst aufwandslos aus der Welt schafft. Das kann zu einem Kampf führen, muß aber nicht. Im weiteren interessiert sich der nationale Anarchist nicht für den Staat, er läßt ihn links liegen (ausgenommen Akte des Mitgefühls und der Solidarität). Er kann sogar ein Freund staatlicher Unternehmungen werden, wenn der Staat Anarchisches unterstützt, was durchaus der Fall sein kann, etwa bei bestimmten Formen von “Hilfe zur Selbsthilfe”, d.h. Abbau des Staates. Er kann aber auch Freund des Staates werden, wenn dieser zur Aufhaltung des Chaos notwendig ist. Im Chaos finden Anarchisten und Etatisten den gemeinsamen Feind. Was oben von der Basis der zivilisierten Gesellschaft, nämlich der spontan und autonom regulierten Gemeinschaft, gesagt wurde, trifft ebenso auf den Staat zu: Auch er hat letztlich sein Wurzeln in direkten Beziehungen der Menschen, und dieses Erbe steckt heute noch immer, wenn auch oft kaum mehr sichtlich, im Staat. Wilhelm Reich spricht von der “ursprünglichen Funktion” des Staates, “die Gesellschaft um jeden Preis zusammenzuhalten.”(1a) Die nationale Anarchie arbeitet, wenn es von Nutzen ist und ihr zum Wohle reicht, mit jedem zusammen, also auch mit dem Staat. Wenn Kriminelle, wenn Asoziale ihr Unwesen treiben, warum sollte die Anarchie dann die Polizei “bekämpfen”? Dann muß sie im Gegenteil der Polizei dankbar sein, dann muß sie selber Polizei werden, dann bildet sich aus ihr heraus eine “Polizei” bzw. Kiezmiliz. Wenn die Polizei aber aus Gründen zu Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen anrückt, die nichts mit dem friedlichen Zusammenleben der Menschen zu tun haben, sondern die in der Verteidigung von Privilegien einer bestimmten Gruppe von Menschen liegen, die den Staat usurpiert haben, kommt es zum Konflikt mit dem Staat, der wie oben beschrieben zu lösen ist. Denn der Staat ist neben seiner nach der Verhausschweinung, nach der Verviehung des Menschen notwendigen Funktion als Zwangsregulator von menschlichen Beziehungen ebenfalls Herrschaftsmittel bestimmter Gruppen, die quasi diesen fürs Überleben notwendigen Apparat zur Verteidigung ihrer Interessen usurpiert haben. Die nationale Anarchie trennt diese beiden Aspekte, auch wenn sie verwoben sind. Es gilt immer wieder das Rationale und das Irrationale, das Lebensfeindliche und das Lebensfreundliche im Staat zu erkennen.Wo das  Menschentier lebt, aber nicht das Menschenvieh, braucht es keinen Staat, dann braucht er auch nicht bekämpft werden, dann fällt er einfach weg. Zum Konflikt, ja sogar zum Kampf kann es mit den Menschenviehhirten kommen, weil wir uns nicht ihren Herden anschließen wollen, weil wir uns ihrer Abweiderei entziehen. Wir werden diesen Konflikt lösen und diesen Kampf führen, und zwar auf eine uns am wenigsten schadenden Art.

Die nationale Anarchie tritt nicht “immer und überall für die Interessen der unterdrückten Masse ein”. Und zwar weil ihr die Masse (Herde) egal bzw. feind ist. Sie geht möglicherweise Zweckbündnisse mit irgendeiner Masse ein, sie arrangiert sich zu ihrem eigenen Wohl mit ihr, sei sie nun unterdrückt oder nicht, aber niemals “immer und überall”. Die Masse interessiert sich nicht für uns, solange sie ihrem Hirten folgt, warum sollen wir der Masse helfen? Natürlich sind wir um so freier, je mehr Freie es gibt. Die Masse aber will nicht frei sein; wo sie frei sein will, ist sie keine Masse mehr. Wir können sie nicht “befreien”. Der Entherdete wird Anarchist und somit möglicherweise auch Kampfgenosse. Dann “treten” wir auch füreinander “ein”; aber “Eintritt” setzt Nähe, territorial und emotional, voraus.

Die nationale Anarchie “arbeitet” weniger “an den theoretischen Modellen”, wohl aber mehr an “den praktischen Beispielen”, jedoch weniger “für eine künftige Gesellschaft” als für die heutige. Die nationale Anarchie ist Praxis. Wenn zu wissen, wann Samen in die Erde gebracht, wann ein Kind auf den Arm genommen werden muß, “Theorie” ist, dann sind wir gern auch “Theoretiker”. Aber was heute “Theorie” genannt wird, ist fast ausnahmslos Ideologie, sog. weltanschauliche Systeme, die mit der Praxis so gut wie nichts zu tun haben.(2) Wenn wir Anarchisten sind, dann weil wir heute frei leben möchten und heute gegen unsere Unterdrückung aufbegehren. Es ist uns egal, was gewesen ist, und natürlich ist es uns nicht egal, ob unsere Kinder glücklich oder nicht glücklich sein werden. Aber sie werden in der Zukunft nicht glücklich sein, wenn ihr Glück in der Gegenwart zerstört wird.

Der Anarchist, heißt es weiter, “arbeitet an einer Gesellschaft ohne Herrschaft und Autorität, ohne Ausbeutung und Entfremdung, aufgebaut auf neuen Prinzipien wie Solidarität statt Egoismus, gegenseitige Hilfe statt Konkurrenz und freie Vereinbarung statt Befehlsprinzip”. Die nationale Anarchie ist gegen Herrschaft, für Autonomie. Autorität in diesem Sinne lehnt sie ab, sie ist antiautoritär. Unter “Autorität” kann jedoch auch “Fähigkeit”, “Wissen”, “natürliche Führung” verstanden werden, die “wahre Autorität”. Gegen Autorität in diesem Sinne ist die nationale Anarchie natürlich nicht; ganz im Gegenteil ist sie fähigen Leuten gegenüber dankbar und anerkennt und begrüßt ihre natürliche Führerschaft. Die nationale Anarchie läßt sich nicht ausbeuten, von wem auch immer, und für sie bedeutet Entfremdung wesentlich mehr als für den ungenannten Autoren, der in einer Fußnote präzisiert: “Entfremdung nennen wir die Arbeitsbedingungen in der modernen Industrieproduktion und die durch sie auftretenden Reaktionen beim Menschen: z.B. eintönige Fließbandarbeit, unangenehme Arbeit, sowie die Tatsache, daß die Arbeiter nie einen Gegenstand selbst vollständig herstellen können, d.h. sie im Grunde nicht wissen, was und wofür sie eigentlich produzieren.” Entfremdung hängt nicht nur mit dem Güterherstellungsprozeß zusammen, sondern ist eine gesamtexistenzielle Angelegenheit: Sie ist das Ergebnis von Ich-Überlagerung und Ich-Zerstörung. Sie wird nicht erst am Fließband verursacht, sondern bereits im neurotischen Mutterleib. Alles dem Leben fremde, wenn es ihm aufgezwängt und aufgedrückt wird, führt zu Entfremdung. So gesehen sind auch Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit die richtige Abwehr des Fremden, das ab einer bestimmten Quantität zu Über- und somit wiederum auch Entfremdung führt. Eigentlich, gegen die philosophische und theaterwissenschaftliche Gewohnheit, müßte Entfremdung “Verfremdung” heißen; und “Entfremdung” wäre die positive Reaktion auf und Heilung von “Verfremdung”.

Der Anarchist arbeitet für eine Gesellschaft, die “aufgebaut (ist) auf neuen Prinzipien wie Solidarität statt Egoismus, gegenseitige Hilfe statt Konkurrenz und freie Vereinbarung statt Befehlsprinzip”. In der nationalen Anarchie gibt es keinen Antagonismus von Solidarität und Egoismus. Interessen von “Egoisten” überschneiden sich. Selbst “Egoisten” gruppieren sich, halten zusammen, bilden, freilich nur überschaubare, Gemeinschaften. Wo sie das nicht tun, wo sie sich nicht “gegenseitig helfen”, haben sie Pech gehabt. Das steht in keinem Widerspruch zu Konkurrenz, die natürlich ist. Das wirtschaftliche Verhältnis der Menschen ist ein ständiger Wechsel von Wettbewerb und Zusammenhalt. “Freie Vereinbarung” ist schön und der Normalzustand, aber es kann auch zu Situationen kommen, in denen das reibungslose Zusammenspiel der Einzelnen per Anweisung und Ausführung von Vorteil ist. Das beruht auf Anerkennung der besseren Fähigkeiten einzelner und deren Überlegenheit auf manchen Gebieten. Sind diese Situationen vorbei, tritt der Herausragende wieder zurück. Diese Art Autorität fluktuiert ständig von Gebiet zu Gebiet und von Situation zu Situation. In der nationalen Anarchie gibt es kein “Befehlsprinzip”. “Befehl” in diesem Sinne hat nichts mit Zwangs- und Gewaltherrschaft zu tun. Die Befehlsgewalt basiert ausschließlich auf Anerkennung zu meinem eigenen Vorteil und geht nie über die zu meisternde Situation oder das betreffende Gebiet hinaus.(2a) Kann ich meinen Vorteil nicht erkennen, verläßt er die Überschaubarkeit der Situation, ist der “Befehl” von Übel. Im Zitat des anarchistischen Autoren heißt es drei mal “statt”. Die nationale Anarchie ersetzt nicht etwa das “statt” durch “sowohl als auch”. Für uns gibt es diese Alternativen nicht mehr. Die nationale Anarchie braucht nicht zu wählen zwischen in jedem Falle perversen Alternativen: Wir sagen nicht “Hammer als auch Amboß”, sondern wir bejahen das Differential zwischen den Menschen, so wie es nun einmal und glücklicherweise für uns alle da ist. Wir wollen “allseitig und polytechnisch gebildet” sein, wie es die Kommunisten nannten, aber es wird immer einen geben, der mehr Fertigkeiten beim Hausbauen hat als einer, der sich besser im Gartenbau auskennt.

2.

“Nun ist es ein verbreitetes Vorurteil, daß der Mensch ohne Autorität und Regierung nicht leben könne, ganz so, als ob ein Zirkuspferd ohne seinen Dompteur zugrunde gehen müsse.” (S. 9) Nun ist es aber so, daß ein Zirkuspferd ohne seinen Dompteur tatsächlich zugrunde geht! So lange der Mensch Zirkuspferd, dressierter Affe, Schaf, Herdentier, Vieh usw., d.h. unmündig und überlebensunfähig ist, braucht er einen Dompteur, einen Hirten, Pastoren, Führer, Zuchtmeister usw. “Deshalb ist das Wort Anarchie auch als Synonym für Chaos, Unordnung, Verwilderung und Zerstörung in die Umgangssprache eingegangen”, heißt es weiter. Gerade unsere realitätsfernen und lebensfremden “Anarchisten” sind verantwortlich für dieses tatsächlich leider allverbreitetes Synonym. Denn die Art “Anarchie”, die der Autor uns hier unfreiwillig eröffnet, ist Chaos. Welche Überlebenschancen haben Schafe, die von ihrem Schäfer verlassen werden? Liegt nicht gerade in ihrer Verwilderung, d.h. Entviehung die einzige Möglichkeit zu ihrer Rettung? Der Pelz muß runter, muß weggemendelt werden!

3.

“So hält Proudhon auch den Staat – als den höchsten Ausdruck der Herrschaft von Menschen über Menschen – für den eigentlichen Unruhestifter; eine Ansicht, die nicht so abwegig erscheint, wenn man sich all das ansieht, was an Kriegen, Unterdrückung und Wirtschaftskrisen von den Staaten und ihren Organen geführt oder angestiftet wurde und noch wird.” (S. 10) Der Staat ist Unruhestifter, aber nicht der eigentliche, ursächliche. Die Unruhestiftung war wahrscheinlich eine katastrophale klimatologische Veränderung, war die Zerstörung der anarchischen Ökologie durch Entzug ihrer natürlichen Grundlagen. Der Staat ist Aufhalter des Chaos und muß als solcher gewürdigt werden. In der fatalen Entwicklung des Menschen heraus aus der Natur, seiner Verkünstlichung und Entfremdung, muß es künstliche, d.h. Zwangsregularien geben. Das Problem des Staates ist nur, daß er die Künstlichkeit und Unselbständigkeit der Menschen, deren Auswirkungen er im Zaume hält, selbst immer wieder reproduziert. Und eine Abkehr von all den genannten unheilvollen Zuständen kann nur mit dem Staat, z.B. seinem Ministerium für Volksbildung geschehen. So wie ein dressierter Delphin wieder langsam und geduldig ausgewildert werden muß, so kann erst recht der Mensch nur um so langsamer und geduldiger ausgewildert werden. Der Staat ist ein Fetisch sowohl für die Etatisten, als auch für die Anarchisten, nicht aber für die nationale Anarchie. Die nationale Anarchie will den Staat nicht “abschaffen”, d.h. als Fetisch zerstören; der Staat ist kein Fetisch, sondern er hat neben seinem zerstörerischen Aspekt einen schützenden Aspekt, einen rationalen Kern. Die nationale Anarchie begrüßt Vorschläge zu Transformationen des Staates hin zu mehr Selbständigkeit der einzelnen und der Gemeinden.

4.

Es wird Bakunin zitiert (S. 14): “Nehmt den radikalsten Revolutionär und setzt ihn auf den Thron aller Reußen oder verleiht ihm eine diktatorische Macht, und ehe ein Jahr vergeht, wird er schlimmer als der Zar geworden sein.” Dieser “radikalste Revolutionär” ist offenbar kein Anarchist, zumindest kein nationaler Anarchist. Das Menschenbild Bakunins ist nicht das der nationalen Anarchie. Wir sind, bei aller Kenntnis der durch die Unterdrückung der natürlichen Regungen entstandenen perversen und destruktiven “zweiten Schicht” (Wilhelm Reich), nicht grundsätzlich mißtrauisch gegenüber der Primärnatur des Menschen (“erste Schicht”). Die nationale Anarchie ist radikal, aber nicht im Sinne von Gewalt und Eroberung, sondern im Sinne von Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Anerkennung der Tatsachen. Ein Anarchist läßt sich zudem erst gar nicht auf einen Thron hieven; und wenn er trotzdem da oben sitzen sollte, entgleiten ihm nach kurzer Zeit die Zügel, und das Zepter macht bautz.

Welch zweifelhafte Gestalt Bakunin ist und wie wenig er als Anarchist gelten kann, verrät er auch mit seinen ultranationalistisch-panslawistischen Äußerungen. Er schrieb aus der sibirischen Verbannung ausgerechnet an den Zaren: “Zar, hättest du das Banner des Slawentums erhoben, alle slawischsprechenden Völker der österreichischen und preußischen Besitzungen hätten sich dir unterworfen, blind und bedingungslos. Mit Freude und Begeisterung wären sie unter die weiten Flügel des russischen Adlers gekommen und wären voller Wut marschiert, nicht nur gegen die Deutschen, sondern gegen ganz Westeuropa.”(3)

Dazu passen die Anschauungen des Kontrastaatsfetischsiten Bakunins zur Kindererziehung. Ich zitiere Bernd A. Laska(4): “Kinder müßten sich ‚bis zum Alter ihres Freiwerdens (...) unter dem Regime der Autorität befinden‘. Dies solle zwar mit fortschreitendem Alter milder werden, aber nur deshalb, ‚damit die herangewachsenen Jünglinge, wenn sie vom Gesetz freigemacht sind, vergessen haben mögen, wie sie in ihrer Kindheit durch etwas anderes als die Freiheit geleitet und beherrscht wurden‘.”(5) Laska stellt das neben die Anschauung des Pro(to)staatsfetischisten par excellence Hegel: “Da Hegel wußte, wie schwer solche Einsicht [die – wie Laska sagt – “durch harte Arbeit gegen die Subjektivität erlangte [Hegel:]‚Weisheit, so zu leben wie sein Volk‘] dem Intellekt fällt, forderte er eine frühzeitig einsetzende Bildung des Gemüts nach folgender Maxime: ‚Hauptmoment der Erziehung ist die Zucht, welche den Sinn hat, den Eigenwillen des Kindes zu brechen [...] Das Vernünftige muß als seine eigenste Subjektivität in ihm erscheinen [...] Die Sittlichkeit muß als Empfindung in das Kind gepflanzt worden sein...‘”(6) Die Übereinstimmung der beiden Staatsfetischisten in dieser Frage ist frappant, aber nicht weiter verwunderlich.

5.

Auf Seite 14 heißt es: “Im Laufe der Zeit haben die Anarchisten eine Reihe von Forderungen und programmatische Punkten aufgestellt, die sich aus dem Kampf für die Verwirklichung ihrer Ideen ergaben.” Die nationale Anarchie dagegen will keine Idee verwirklichen. Sie ist radikal insofern, als sie das Leben gemäß des Lebens selber und seiner Eigentlichkeit (Wurzel) will, und nicht gemäß welcher Idee auch immer. Sie tut nicht dieses oder jenes, weil es ihr eine Idee so einflüstert, sondern weil die Tat sich selber tut, ohne Idee. Alles was sie tun könnte (aber überhaupt nicht bräuchte), ist, dieser Tat einen Namen zu geben (“Ich fische”, “Ich ackere”, “Ich liebe”). Die nationale Anarchie vergißt das Denken und fällt in die ideenlose Tat zurück. Kein Wunder also, wenn die nationale Anarchie mit vielen der “Forderungen und programmatischen Punkte” nicht einverstanden ist. Zunächst fällt auf, das alle Forderungen und Punkte “Abschaffung”, “Bekämpfung” und “Überwindung” heißen. Die nationale Anarchie will nichts abschaffen; und zu einem Kampf läßt sie sich nur im äußersten Notfall herausfordern. Eine andere Art des Kampfes ist der Kampf nach innen, genannt “Überwindung”. Auch diesen Kampf sind wir nicht gewillt zu führen. Wir haben keinen inneren Schweinehund. Alles, was ihr nicht paßt, ignoriert die nationale Anarchie und lebt daran vorbei. Sie bedauert zutiefst Streitigkeiten und vermeidet sie nach Möglichkeit, wenngleich sie sich ihnen, wenn es nicht anders geht, stellt. (So ist die Welt nun mal...) Aber nie sind Kampf, Abschaffung und Überwindung “programmatische Punkte”. Und da, wo ausnahmsweise einmal von “Aufbau” die Rede ist, läßt die nationale Anarchie Skepsis, jedoch nicht generelle Ablehnung walten: “Aufbau einer (...) hochtechnisierten Produktionsweise”. High Tech ging bislang immer mit Arbeitsteilung, Entfremdung und Zerklüftung der Gemeinschaft einher. Das scheint der Autor nicht so zu sehen, spricht er doch in nächsten Punkt schon von der “Überwindung der Schichten und Klassen”.(7) Wir lassen uns gern belehren. Die Technisierung ist ein überaus wichtiges Thema für die nationale Anarchie und rührt an die tiefsten und entscheidenden Fragen der Menschheit, würde aber hier den Rahmen sprengen und wird an anderer Stelle behandelt. Die nationale Anarchie hat aber keinen Bock auf nicht mehr mit den Sinnen nachvollziehbare Technik. Die Technik ist Quelle von Abhängigkeit (von Technikern), Unselbständigkeit und damit Korruption und Selbstverrat. Die glücklichen Arbeitslosen scheinen diese Gefahr nicht zu sehen. Von daher ist die Frage bereits geklärt. (7a)

Nehmen wir noch zwei Punkte der “Forderungen und programmatischen Punkte” heraus: “- Abschaffung der Armee und der Polizei als Machtfaktoren und -symbole des Staates und des Kapitals. Für die Phase eines Kampfes sind sie durch revolutionäre Volksarmeen und -patrouillen ohne hierarchische Struktur zu ersetzen.” (S. 15) Machtfaktoren sind Scheiße. Aber wo liegen sie? An welcher Stelle entstehen sie und ist der Hebel, wo sie ausgehebelt werden können? Sicherlich nicht bei Armee & Polizei, denn das sind nichts mehr als – “-symbole”. Die nationale Anarchie kämpft aber nicht gegen Symbole und Windmühlen. Sie wirkt nur an der Auflösung der Machtfaktoren an deren Wurzeln. Und das kann, wenn wir eine harmonische und liebevolle Gesellschaft wollen, nur harmonisch & liebevoll geschehen. Unsere Position bleibt immer, bei konsequenter Wahrnehmung unserer eigenen Interessen, die des Verständnisses, des Ver- und Ausgleichs, der Lösung im Sinne von Auflösung des Konfliktes, weil die Konflikte an uns herantreten und unser Leben bedrohen. Nur in äußerster Bedrängnis werden wir uns physisch gegen physische Angriffe verteidigen. Ich gebe gern zu, daß es bei einem Rekruten, den sie auf den Balkan oder sonstwohin schicken wollen, “Frieden zu stiften”, sehr schnell so weit ist... Doch unser Weg bleibt der der Auflösung, der Überflüssigmachung von Dingen, die an sich lebensfeindlich sind, wozu gewiß auch der Staat und die Kapitalisten zählen können. Dort wo Armee und Polizei unser Leben vor Psychopathen schützen – und das ist leider noch regelmäßig und auf absehbare Zeit der Fall(8) – bejahen wir sie. Damit die Armee aber in engem Kontakt zum Volk bleibt, aus dem sie sich rekrutiert, sollte die Armee eine Volksarmee sein, d.h. wir lehnen ein Berufs-, bzw. Söldnerheer ab. “Für die Phase eines Kampfes” sind sie dann bereits eine Volksarmee und müssen nicht “ersetzt werden”, was sowieso nicht ginge. Eine Armee ohne hierarchische Strukturen kann es nur in eine Gesellschaft geben, wo keine Armee gebraucht wird. Wenn ich eine Armee brauche, dann ist diese auch pyramidenförmig strukturiert. Das heißt nicht, daß der innere Charakter der Armee den einer Zwangsgemeinschaft haben muß. Wie schon oben dargelegt, kann der Soldat auch Anweisungen von Leuten folgen, die mehr Einblick haben und fähiger für bestimmte Aufgaben sind als er, und zwar auf Basis von Anerkennung. Voraussetzung für ein Vertrauensverhältnis zwischen Soldat und Offizier ist dabei immer die Herkunft des höheren Dienstgrades aus dem Volke. Von daher müssen die militärischen Gliederungen stets nach Stammes- bzw. Gaugesichtspunkten erfolgen. Natürlich wissen wir, daß es auch zu spontanen Volksbewaffnungen kommen kann, wo sich völlig neue bewaffnete Einheiten direkt aus dem Volke bilden, die sich spontan und anarchisch ordnen. Aber auch diese Ordnung ist nicht frei von Hierarchie. Hierarchie ist etwas gegebenes, natürliches (selbst in jeder Antifa-Truppe zu beobachten...) und darf nicht mit (Zwangs- und Gewalt-)Herrschaft verwechselt werden.

“Ersetzung der Ehe und der bürgerlichen Kleinfamilie durch freiwillige Zusammenschlüsse in Großfamilien, Kommunen nach dem Prinzip der Wahlverwandtschaft.” (S. 15) So etwas nennt man doch Machbarkeitswahn, oder? Doch dieser Machbarkeitswahn verdeckt bloß die Unfähigkeit des Autoren, die Dinge sich selbst entwickeln zu lassen, und das Mißtrauen gegenüber dem Leben, daß sich selbst organisiert. Anarchie ist und entsteht ganz unten an der Basis, sie ist eine zierliche und leicht zu zerstörende Pflanze. Sie muß sich allein und in Ruhe entwickeln können. Es ist absurd anzunehmen, man könne sie “einführen”, etwa durch irgendeine “Ersetzung” welcher Einrichtung auch immer. Lassen wir die Menschen und ihre Beziehungen miteinander sich selbst ordnen, laßt die “Ordnungen der Liebe” (Bert Hellinger(9)) entstehen! Es muß von ganz unten anfangen, und es gibt nur ein Kriterium: das Gefühl der Menschen füreinander. Natürlich sagt auch uns die Großfamilie und die Kommune zu. Aber doch nur, wenn sie spontan und direkt durch die Menschen und auf der Grundlage ihres Gefühls entstehen, ohne jegliche Ideologie, ohne Vorgaben und vor allem ohne Zwang von außen. Lassen wir doch viele Formen des Zusammenlebens zu! Es geht uns gar nichts an, wie andere leben! Was ist so schlimm an der Blutsverwandtschaft? Es gibt nichts schöneres als das harmonische und liebevolle Zusammenleben von leiblicher Mutter und Kind. Warum soll das “ersetzt” werden? Hier scheinen Ideologien, Schablonen, Muster, “theoretische Modelle” (S. 8) beim Autoren zu herrschen, die auf eine ziemliche Entfremdung und Unnatürlichkeit hinweisen.

“Prinzip der Kritik und Selbstkritik und der permanenten Revolution in der neuen Gesellschaft. Ablehnung aller Dogmen. Ständige Überprüfung des gesellschaftlichen Aufbaus an den Bedürfnissen der Gesellschaft. Bekämpfung jeder neuen Form von Herrschaft, Bürokratismus und Militarismus in der neuen Gesellschaft.” Die nationale Anarchie geht vom Bestehen der Anarchie (in jeder Gegenwart), ihrer tagtäglichen erneuten Zerstörung und ihrem Überleben in Spuren in jeder Gesellschaft aus. Sie ist der Ausbau dieser Spuren, aber nicht in Permanenz! Kein Streß! “Permanente Revolution” – da sind “neue Formen von Herrschaft, Bürokratismus”, Revolutionskomitees, Wandzeitungen, Tribunale nicht fern. Wir erinnern uns und den Autoren an sein Wort vom Anarchismus als “Geisteshaltung”.

“Die Abschaffung der staatlichen Organisation ist immer eines der wichtigsten Ziele der Anarchisten geblieben. (...) Jeder Staat ist totalitär. Kein Staat hat einen anderen Zweck, als den, den einzelnen zu beschränken und zum Untertanen zu machen. Verfechter des Staates bemühen sich redlich, uns vorzumachen, er sei eine einige Volksgemeinschaft. In Wirklichkeit vertuschen sie mit dieser Phrase die riesigen sozialen Unterschiede in jedem Staat und rechtfertigen die Privilegien einer kleinen Minderheit. Der Staat unterdrückt jede freie Tätigkeit durch seine ausführenden Organe oder ‚Ordnungskräfte‘. Das ist beileibe nicht nur die Polizei. Die Presse, der Rundfunk und das Fernsehen bemühen sich ebenso angestrengt, den Mensch dumm zu halten, wie die Kirche, die Schule und die Institutionen der Familie (freilich oft, ohne es zu wissen).” (S. 18-19) Das ist prinzipiell richtig. Aber es muß differenziert werden. So ist der eine Staat weniger totalitär als der andere. Einen § 130 StGB hat es z.B. in der DDR nicht gegeben, wohl aber gibt es ihn in der BRD. Der Zweck des Staates ist nicht nur, “den einzelnen zu beschränken und zum Untertanen zu machen”. Die anarchischen prä- und protostaatlichen Strukturen, aus denen später der Staat auch erwächst und die seinen rationalen Kern abgeben, sind die Voraussetzungen für die Freiheit des Einzelnen. Insofern haben die “Verfechter des Staates” nicht ganz unrecht und machen sie uns nicht nur vor, “er sei eine Volksgemeinschaft”. Der Staat ist natürlich nicht die Volksgemeinschaft, aber er ist die Krücke, mit der die verletzte Volksgemeinschaft geht. Die nationale Anarchie würdigt diesen Aspekt des Staates, ohne den machtmäßigen Aspekt (Unterdrückung) zu vernachlässigen. Anarchische (unbewußte, organische) “Regelung” und staatliche (bewußte, willentliche, zwangsweise) Regelung vermischen sich. Die nationale Anarchie würde sich selbst ins Fleisch schneiden, das Baby mit dem Bade ausschütten, würde sie sich an der Fetischisierung und an der fetischisierten Ablehnung des Staates beteiligen. Wütende Staatsfeindlichkeit sägt auch den anarchischen Ast ab, auf dem wir alle sitzen. Der Staat unterdrückt nicht “jede freie Tätigkeit”. Er tut es nur soweit, als diese freie Tätigkeit zum einen die Privilegien der Unterdrücker gefährdet und zum anderen das Chaos aufhält (“Katechon”). Das Leben aber spielt sich zum größten Teil jenseits der Politik, d.h. des Staates ab. Dort “regiert”, “reguliert” sich das Leben selbst, d.h. dort ist Anarchie. Der Staat muß sich ständig an diesen, d.h. den naturalen Kräften orientieren und sich ihnen anpassen. Die nationale Anarchie differenziert zwischen den Funktionen des Staates. “Ordnungskräfte” können in Anführungszeichen gesetzt werden, können es aber gleichzeitig auch nicht. Dies ist kein Verrat am anarchistischen Grundprinzip, demzufolge die stabilste Ordnung die nichtstaatliche ist. Wenn man den Staat undifferenziert und als Ganzes “bekämpft”, “abschafft”, “zerstört”, bekämpft, zerstört man auch immer einen Teil Anarchie. Wilhelm Reich schreibt in diesem Zusammenhang: “Der natürliche arbeitsdemokratische Prozeß verträgt keine anderen administrativen Funktionen als solche, die dem Zusammenhalt der Gesellschaft und der Erleichterung iher Lebensfunktionen dienen. Daraus geht klar hervor, daß man nicht mechanisch starr `gegen´  oder `für´ den `Staat´ sein kann. Man muß im Sinne der früheren Auseinandersetzung unterscheiden. Es wird weiter klar, daß der Staatsapparat wieder zum Exekutionsorgan der Gesellschaft wird und werden muß, wenn  er in Erfüllung seiner natürlichen Arbeitsfunktion im Interesse der Gesamtgesellschaft operiert. Damit aber hört er auf, `Staatsapparat´ zu sein, verliert er gerade diejenigen Eigenschaften, die ihn der Gesellschaft entfremden, ihn über sie und gegen sie stellen und ihn derart zum Keime autoritärer Diktaturen machen. Dies ist echtes Absterben des Staates. Es ist das Absterben einzig und allein seiner irrationalen Funktionen. Die rationalen Funktionen sind lebensnotwendig und bleiben bestehen.”(9a)

Auch was über die Medien gesagt wird, ist eine unzulässige Vereinfachung (relativiert durch den Zusatz in Klammern). Die Mechanismen der Machtausübung sind ungleich subtiler und bedürfen einer genauen Analyse und hoher Differenzierung.(10) Wenn der Mensch “dumm gehalten” wird, so liegt auch der Funke zu einer Veränderung alle male einzig in seiner Verantwortung. Das leugnet nicht die Realität und materielle Gewalt der Unterdrückung. Es weist nur auf die Notwendigkeit der “Empörung” (Stirner) der Unterdrückten. Die abgerichtete Masse ist unschuldig und lieb und gut, aber auch dumm und feige. Damit ist sie Feind der Anarchie. Erst wenn sich die Einzelnen aus ihr empören, sich entherden, “Person” werden (Oberlercher) und sich frei und von sich aus und aus sich heraus vergemeinden (und nicht von außen, den Hirten aus, wozu sie lernen müssen, auf sich selbst und keine Herren zu hören, ihrer selbst bewußt zu werden), erst wenn aus Bevölkerung Volk wird, wird die ehemalige Masse Verbündete der Freien.

Die atemberaubende Simplifizierung geht weiter: “Der Staat erzieht zum Gehorsam, zur Disziplin und zur Unterwerfung. Er lehrt uns ‚Tugenden‘ wie Konkurrenz und Leistungsprinzip und entwöhnt uns in gleichem Maße, selbst zu denken, Ideen zu entwickeln, spontan Initiativen zu ergreifen und uns zu unseren Mitmenschen solidarisch zu verhalten.” (S. 19) An anderer Stelle wird zwar auf die funktionelle Identität von Staat und autoritärer Kleinfamilie verwiesen, aber hier ist der Staat der Erzieher. Die für die “Tugenden” relevante Erziehung (Deformation) erfolgt zwar auch aufgrund des äußeren (“gesellschaftlichen”, staatlichen) Druckes, aber sie geschieht aus psychischen Deformationen der Eltern heraus, und dies ausschließlich in den Familien. Dieser Prozeß ist nur psychologisch nachzuvollziehen, und nicht machtmechanistisch-politisch. Ein Mensch, der aus seiner Abhängigkeit von Mutter und Vater heraus nicht beiden gegenüber gehorsam wird, wird es später als Erwachsener nie anderen gegenüber werden, auch nicht dem Staat. Er wird dem Staat aus dem Wege gehen und sein Leben im vorstaatlichen, subpolitischen Bereich einrichten und führen. Den Staat “bekämpfen” wird allein der im Kampf mit seinen autoritären Eltern Befangene, der somit mit seiner Staatsfeindlichkeit neben der Staatsgehorsamkeit die andere Seite der Medaille “Staatsfetischismus” darstellt.

Das Kleinkind hört auf seine Mutter, und es folgt ihr bedingungslos und total. Das Kind ist noch kein selbständiges Wesen; es hängt an der Mutter und von ihr ab. Das Ende dieser Abhängigkeit und die Loslösung von der Mutter erfolgt paradoxerweise je gründlicher, desto mehr die Phase der Abhängigkeit befriedigend gelebt wurde. “It’s only when I lose myself to someone else, that I find myself”, singt Dépêche Mode. Werden seine wichtigsten Bedürfnisse erfüllt, desto stärker wächst das Kind heran; sein Selbstbewußtsein, seine Stärke und innere Stabilität erhält es zunächst von außen, von der Mutter. Je mehr nun das Kind auf seine Mutter hören und sich auf sie verlassen kann, je “gehorsamer” es sein kann, desto weniger wird es in Zukunft gehorsam gegenüber Leuten sein, die ihm sein Heil versprechen. Aber desto mehr kann sich der Erwachsene dann auf Menschen hören und sich verlassen, denen er vertraut, weil er ihre realen Fähigkeiten erkennen kann. Sein Blick ist nicht getrübt von irrationalen, aus der Vergangenheit stammenden Heilserwartungen. Gehorsam ist blindes Hören ohne Vertrauen, jedoch mit großen Hoffnung. Das unbefriedigte Kind will die Hoffnung nicht aufgeben, daß Mama doch noch lieb sein wird. Die unbefriedigten Bedürfnisse schlummern weiter in ihm, er hat seine Bedürfnisse einmal empfunden, und es hat eine Vorstellung davon gewonnen, welche Wonne es ist, befriedigt und erlöst zu sein, es hat davon gekostet. Nichts in der Welt wird das Kind vergessen lassen, wie die Welt sein könnte und wie es sich fühlen könnte, wären diese Bedürfnisse befriedigt worden. Es wird nie die Hoffnung verlieren, und wenn, dann ist es sozial weniger relevant, dann stirbt es langsam vor sich hin. Die sozialen und politischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts aber waren gespeist von riesigen Sehnsüchten und Hoffnungen. Das Kind verliert nie die Bereitschaft, blind zu folgen: Es wird gehorsam. Es kann rebellisch werden. Aber unter diesem Rebellentum schlummert eine arme, sehnsüchtige Seele, die sich bei geeignetem Anlaß nur allzu gern denen unterwirft, die die Sehnsucht des inzwischen Erwachsenen vermeintlich erfüllt. Das ist das Geheimnis, warum aus dem rebellischen Bolschewismus eine solch grausame Führerdiktatur werden konnte. Doch im Rebellentum ist schon die Katastrophe vorprogrammiert; Rebellentum, Revolutionsprofessionalismus, Kämpfertum ist nichts anderes als Ausagieren der kindlichen Schwäche.(11) Um diese Dinge geht es, wenn wir frei und anarchisch leben wollen, und nicht um den Staat.

“Konkurrenz” und “Leistungsprinzip” sind keine Tugenden, d.h. moralische Kategorien, sondern anthropologische Konstanten. (Die “Brüderlichkeit” wäre die Tugend: “Seid lieb zu einander! Vermeidet die Konkurrenz und verdrängt das Wissen um sie!”) Nicht der Staat “lehrt” Konkurrenz, sondern das Leben. Konkurrenz in Anarchie heißt aber nicht Vernichtung des anderen. Vernichtung heißt sie nur in verwüsteten Verhältnissen, in denen Mangel herrscht und infolgedessen das entsteht, was man später – nach Reproduktion und Fortführung dieser Mentalität auch in an sich üppigen Verhältnissen – “Gier” nennt. Dieses “gierige” Verhalten, das noch keines ist, das nichts anders als völlig rationales und angepaßtes Verhalten in einer katastrophalen Situation ist, nämlich den Schwächeren beiseite zu stoßen, wird nach Beendigung der katastrophalen Situation nicht abgestellt, wird erst jetzt zu wirklicher Gier, zu irrationalem Verhalten. Die Zeiten des Mangels sind längst vorbei, aber der Drang zu raffen, bleibt, da er – über seinen rein ökonomischen Ursprung hinaus – emotional und im kollektiven Unterbewußten verwurzelt bleibt und sich durch das Emotionale reproduziert. Die Gier, aber auch die Unterwerfung, d.h. die beiden grundsätzlichen Modi der Reaktion auf Entbehrung (aktive und passive Destruktivität, Sadismus und Masochismus), haben ihre Ursache nicht mehr in fehlender Nahrung, sondern in der Deprivation emotionaler Bedürfnisse: Das sind die Grundlagen der “Erziehung”, diese geschieht in der Mutter-Kind-Beziehung. Die Zerstörung von Selbstbewußtsein und Autonomie erfolgt schon im Uterus und beim Verschmelzen von Samen- und Eizelle, da diese Kernzellen bereits infiziert sind.

Ein Anarchismus, der diesen Tatsachen nicht in ihrer Tiefe Rechnung trägt, ist unrealistisch und nicht ernst zu nehmen. Der Autor erwähnt zwar das Phänomen der “Angst vor der Freiheit”, aber er schreitet, anstatt bei dieser zentralen Frage länger zu verbleiben und die Subtilität der Angelegenheit wenigstens anzudeuten, schleunigst dazu weiter, gleich im nächsten Satz dem Staat wieder alle Schuld in die Schuhe zu schieben und zu seiner “Vernichtung” aufzurufen: “Konsequent haben die Anarchisten dort, wo sie mit der Verwirklichung von freien Gesellschaften begannen, die Vernichtung des Staates vorangetrieben.” Dem Problem der Freiheitsunfähigkeit in die Augen zu schauen: Das ist sehr unbequem. Aber mit der Freiheitsfähigkeit (materiell-technisch-handwerklich und emotional verstanden) steht und fällt die Anarchie. Der Anarchismus ist dieser Frage ausgewichen und verflacht. Der neue, nationale, d.h. natürliche Anarchismus stellt sich ihr. Der Hauptfehler des bisherigen Anarchismus war es, dem Problem der Freiheitsunfähigkeit nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Der Grund dafür: eigene Unfähigkeit zur und Angst vor der Freiheit, Delegierung der Verantwortung an andere.(10a) Und am Ende waren die verwahrlosten, völlig unfähigen und vom Staat alimentierten, diese zur Anarchie am wenigsten geeigneten und befähigten Gestalten auf Bahnhöfen Träger des eingekreisten As...  Die besseren und ernsthafteren Anarchisten nahmen, da in der Faschismus-Falle sitzend, diese perverse Usurpierung hin.

Hier müssen Defizite behoben werden, und von daher wird der Schwerpunkt der Aktivitäten der nationalen Anarchie auf diesem Punkt liegen, ohne dabei in Paternalismus zu verfallen. Zwei der diesbezüglichen Projekte lauten Übernahme von Patenschaften für vernachlässigte Kinder und Propagierung der sanften Geburt. Ziel bei allem ist stets ein liebevollerer Umgang in den Familien bzw. in anderen Formen des menschlichen Zusammenlebens.

6.

Die Zwiespältigkeit Bakunins und wie sehr für uns Positives und Negatives bei ihm verflochten ist, geht auch aus einem Bakunin-Zitat auf Seite 22 hervor: “‘Ich verabscheue den Kommunismus, weil er die Negation der Freiheit ist und weil ich mir nichts Menschenwürdiges ohne Freiheit vorstellen kann. Ich bin deshalb nicht Kommunist, weil die Kommunismus alle Macht der Gesellschaft im Staate konzentriert und aufgehen läßt, weil er notwendig zur Zentralisation des Eigentums in den Händen des Staates führen muß, während ich die radikale Abschaffung des Staates wünsche, die radikale Ausrottung des Autoritätsprinzips und der Vormundschaft des Staates, die, unter dem Vorwand, die Menschen sittlich zu erziehen und zu zivilisieren, sie bis heute versklavt hat. Ich wünsche die Organisierung der Gesellschaft und des kollektiven und sozialen Eigentums von unten nach oben auf dem Weg über die freie Assoziation und nicht von oben nach unten mit Hilfe irgendeiner Autorität, wer immer sie sei.‘” So klar Bakunin den Kommunismus als Feind der Freiheit und der Anarchie erkennt und die viehische Diktatur der Bolschewisten voraussah, so seltsam mutet es doch an, wie er das Ziel einer “sittlichen Erziehung” und der “Zivilisation” doch anerkennt, denn ein Vorwand setzt ja beim Belogenen immer die Sympathie für das Versprochene voraus. Die sittliche Erziehung und die Zivilisation ist aber die Versklavung.

Unser ungenannter Autor steht dem Kommunismus zu unkritisch gegenüber. Er spricht von “gemeinsamen Wurzeln”; es sei “eine Frage des Weges [Hervorhebung von ihm] , auf dem das gemeinsame Ziel erreicht werden soll”. Der Anarchismus muß sich aber vollständig von der autoritären Linken lösen. Statt dessen schreibt der ungenannte Autor (S. 25): “Anarchisten und Anarchogruppen haben ihre Kräfte manchmal mehr auf die Bekämpfung des Marxismus geopfert als dem Kampf gegen den gemeinsamen Klassenfeind.” Und er unterwirft sich förmlich: “Oft hat es dieser anarchistischen Marxismuskritik erheblich an Substanz gemangelt. (...) Für uns ist allein wichtig, was wir auf unserem Weg zur Freiheit voneinander lernen können.” Wir neigen nicht zu Dämonisierungen, aber bei den kommunistischen Brüdern ist doch höchste Vorsicht geboten. Für Wilhelm Reich waren die Kommunisten von der “emotionalen Pest” befallen; d.h. sie waren weit davon entfernt, für Argumente, überhaupt für irgendeine Art der Kommunikation zugänglich zu sein. Im Gegenteil waren sie von einem paranoiden, aberwitzigen Sendungsbewußtsein, von einer unerschütterlichen moralischen Überlegenheit erfüllt, haben sie alles skrupellos einem einzigen Ziel untergeordnet: ihre alleinige bestialische, d.h. menschenpestilente Macht zu errichten, die das genaue Gegenteil ihrer hehren Ideale darstellte. Je idealistischer eine Bewegung ist, desto faschistischer muß sie am Ende sein. Natürlich ist der Kommunismus heute weit davon entfernt, etwas wie der “Hauptfeind” zu sein, und sicher haben sich auch die meisten Kommunisten, gezwungen durch den Niedergang des Kommunismus, in Frage stellen und ändern müssen. Wozu aber dann heute von “gemeinsamem Ziel” etc. reden? Diese Affinität des Autoren für den Bolschewismus zeugt von grenzenloser Naivität und ist nicht mehr nachzuvollziehen, schreibt er doch selber (S. 130): “In den kritischen Tagen der Gefahr haben die Anarchisten stets ein Bündnis mit den Bolschewiki gegen die Weißen Truppen, dem gemeinsamen Feind des Sozialismus, geschlossen. Dies taten sie genau viermal, und genau viermal haben die Bolschewiki diese Pakte gebrochen.” Ja, wieviel mal denn noch?! Der Autor weiß, daß auch im spanischen Bürgerkrieg die Bolschewisten mehr damit beschäftigt waren, die Reihen der Republikaner von den Anarchisten zu säubern und die Republik unter ihre Herrschaft zu bringen, spricht aber immer noch von den “eigenen Genossen”, die die stalinistische Führung betrogen habe (S. 143). Die in die von der anarchistischen Machno-Bewegung befreite Ukraine “einrückenden Bolschewiki benahmen sich wie Besatzer im eigenen Land. Sie verübten blutige Rache an der Zivilbevölkerung” . Welches “eigene Land”? Es war nicht ihr Land!

Anarchismus und Bolschewismus haben möglicherweise gemeinsame Wurzeln. Aber in der Bündnisfrage darf darauf keine Rücksicht genommen werden.(12) Es muß auch mit dem Links-rechts-Schema gebrochen werden: nicht links oder rechts, auch nicht oben oder unten ist die Frage, denn die unten sind vielleicht schon morgen die da oben, sondern autoritär oder nichtautoritär. Wilhelm Reich schreibt: “Der Feind ist die ansteckende Fäulnis selbst, egal wo man sie findet, und nicht eine bestimmte Gruppe, Nation, Rasse oder Klasse.” (13) Der Autor berichtet, daß sich in der revolutionären Phase der Jahre 1917/18 “drei politische Richtungen in der Ukraine herausbildeten: die Bolschewiki, die Petljurowzy und die Machnowtschina [Anarchisten]. Die Bolschewiki, die sich bereits Groß-Rußland angeeignet hatten, wollten sich auch der Ukraine bemächtigen. Petljurowzy war eine nationale ukrainische Bourgeoisie, die von den Bolschewiki von Anfang an bekämpft wurde, sich aber Ende 1918 mehr und mehr für revolutionäre Ziele einsetzte. (...) Diese drei Bewegungen bekämpften sich im Laufe der Jahre immer heftiger.” Es liegt auf der Hand, daß die Anarchisten mit den nationalen Petljurowzy hätten gehen müssen, zumal nicht nur die Bourgeoisie zu ihnen gehörte, sondern auch die “liberale Intelligenz” und sich die Petljurowzy “aber mehr und mehr für revolutionäre Ziele einsetzte”. Die Hervorhebung stammt von mir – P.T. –; das “aber” sagt, daß unser Autor den bolschewistischen Standpunkt teilt.

Selbstkritik und Vorsicht paaren sich beim ungenannten Autoren mit brachialem Aktivismus. Er schreibt (S. 28): “Eine freie Gesellschaft kann nur aus freien Menschen entstehen. Die Menschen heute aber sind nicht frei. (...) Hiervon können wir Anarchisten uns selbstverständlich nicht ausnehmen”, und fragt: “Welche Schlüsse müssen wir daraus ziehen?” Obwohl es “geradezu ein Verbrechen für einen Revolutionär, der diesen Zusammenhang kennt, (ist), einen genauen ‚Fahrplan‘ für die Revolution und die neue Gesellschaft auszuarbeiten”, geht er nichtsdestotrotz frisch und fröhlich – auch ohne “Fahrplan” – zur Vernichtung alles Bestehenden über: “Wenn etwas vollständig Neues entstehen soll, so kann es nur dann Wirklichkeit werden, wenn wir das Alte vollständig überwunden haben. (...) Das heißt z.B., daß wir die hergebrachten Formen des Denkens überwinden müssen, daß wir alte Lebensweisen durch neue ersetzen, daß wir Staat, Kapital, Kirche, Bürokratie, Armee und Polizei vollständig abschaffen müssen, bevor wir uns an die Erschaffung neuer Lebensformen heranmachen.” Er zieht also genau die falschen Schlüsse. Die Selbstkritik empfindet er als Schwäche ( “Dennoch wird es den Anarchisten fast überall als Schwäche ausgelegt, daß sie kein Patentrezept haben”), die er mit Aktionismus wettzumachen müssen glaubt.

Nationale Anarchie heißt: Es soll nicht “etwas vollständig Neues entstehen”. Das, was da ist – und nicht “entstehen” braucht –, soll sich nur frei entfalten. Es muß nicht “Wirklichkeit werden” – es ist Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit muß allein geschützt werden. Alles andere ist “Fahrplan”, d.h. aber Manipulierung und Deformierung. Wenn etwas “Wirklichkeit werden” muß, dann geht das nur auf Kosten der Zerstörung von anderem. Dabei wird auch das zerstört, was gut ist. “Denken überwinden” kann nur Denkverbot heißen. Denken läßt sich nicht kontrollieren, wohl aber verdrängen und verbieten. Bestimmte Gedanken können wegfallen, können nicht mehr gedacht werden, aber das ist nie das Ergebnis von Anstrengung, sondern das Ergebnis von Veränderungen, die unterhalb des Denkens liegen. Und so ist es mit der “Lebensweise”: Man kann sie nicht “ersetzen”. Entweder ein Mensch lebt spontan auf eine (möglicherweise) neue Weise, oder diese “neue Lebensweise” ist das Ergebnis von äußerlichem Druck. “Lebensformen” werden nicht “erschafft”. Sie sind einfach.

 - wird fortgesetzt -

Anmerkungen:

 (1) Den Beweis dafür, daß auch unser ungenannter Autor in der Faschismus-Falle sitzt, finden wir auf S. 22. Dort heißt es: “Heute [das Buch ist 1997 erschienen!] ist die SPD für das Kapital kein schlechterer Handlanger als die CDU oder die NPD.” Aus diesem Grunde wird die NPD wahrscheinlich auch in einer geschlossenen Front “der Demokraten”, d.h. von Parteien und Medien, d.h. dem diese steuernden Kapital wie die Pest bekriegt. Um aus der Faschismus-Falle zu kommen, sei die aufmerksame Lektüre des Buches “Die Massenpsychologie des Faschismus” von W. Reich empfohlen. Wir werden demnächst einen gründlichen Kommentar zu diesen Buch bringen.

(1a) Wilhelm Reich, Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB,  S. 250

 (2) Es muß lobend vermerkt werden, daß der Autor auf Seite 11 schreibt: “Das Wort Anarchismus umreißt eine freiheitliche Theorie und Geisteshaltung.” Für uns ist es freilich nur Geisteshaltung. Das Leben hängt nicht von Theorien ab, sondern von entschlossenen und fähigen Frauen und Männern.

(2a) Anerkennung hängt mit Vertrauen zusammen. “Dazu brauchen wir keine Macht. Das Vertrauen der Menschen jedes Alters, jedes Berufs, jeder Hautfarbe und jeder Lebensanschauung in unsere absolute Integrität als Ärzte, Forscher, Pädagogen [...] wird unendlich viel tragfähiger als alle Macht sein, die bisher von Politikanten je erworben wurde. Es wird umso größer sein, je besser unsere wissenschaftliche und praktische Tätigkeit die Wirklichkeit wiedergeben wird. Dieses Vertrauen kann nicht erobert werden, es ergibt sich von selbst, wenn man ehrlich an seiner Arbeit haftet. Auf keinen Fall dürfen wir unsere Einsichten dem heutigen Massendenken anpassen wollen, um `Einfluß zu gewinnen´. Das allgemeine Vertrauen in unsere Tätigkeit kann nur aus der Reifung allgemeinen Wissens um das Wesen der Pest hervorgehen.” Wilhelm Reich, Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB,  S. 292. (Wir teilen ausdrücklich Reichs paternalistischen Szientizismus nicht; gleichwohl basiert dennoch - zwar nicht zwischen oben und unten, aber zwischen den Nachbarn - alles auf Vertrauen - Anm. nA)

 (3) Zit. nach: Wolfgang Strauß, “Rußland 1848 – ein Vorspiel für 1917” in: Otto Scrinzi, Jürgen Schwab (Hrsg.): “1848 – Erbe und Auftrag”, Aula-Verlag Graz 1998, S. 64, Strauss gibt als benutzte Literatur an: James Joll, Die Anarchisten, Belin 1966

 (4) Bernd A. Laska: “‘Katechon und ‚Anarch‘. Carl Schmitts und Ernst Jüngers Reaktionen auf Max Stirner, LSR-Verlag Nürnberg 1997, S. 42-43. Das diesem Buch entstammende Kapitel “Der ‚Eigner‘” ist im Netz zu lesen: (http://www.franken.de/users/lsr/mseigner.html)

 (5) Bernd A. Laska zitiert Michail Bakunin aus: Prinzipien und Organisation der internationalen revolutionären Gesellschaft (1866). In: ders.: Gesammelte Werke. Band 3. Berlin: Der Syndikalist 1924. S. 25 (Hervorhebung B.A.L.)

(6) Bernd A. Laska zitiert G.W.F. Hegel aus: Grundlinien der Philosophie des Rechts. §§ 174, 175, Zusätze (Hervorhebung B.A.L.)

(7) Man beachte hier die Nähe zu kommunistischen und nationalsozialistischen Vorstellungen.

(7a) Zur Diskussion dieser Frage sei Wilhelm Reich zitiert: “Zwar gibt es eine biologische Freude an der Betätigung, aber die Formen, in die diese Betätigung in der Warenwirtschaft gepreßt ist, verschütten die Arbeitsfreude und den Drang zur Arbeit und lassen sie nicht zur Geltung kommen. Es ist fraglos eine erstrangige Aufgabe der Arbeitsdemokratie, die Bedingungen und Formen der Arbeit mit dem Arbeitsbedürfnis und er Freude an der Arbeit in Einklang zu bringen, also den Gegensatz zwischen Lebenslust und Arbeit aufzuheben. Hier schließt sich ein riesenhaftes Gebiet für menschliches Denken: Wäre es möglich und wie, die Rationalisierung und Mechanisierung der Arbeit beizubehalten und dennoch die Arbeitsfreude nicht zu töten? Es ist durchaus denkbar, daß der Arbeiter Kontakt mit dem ganzen Produkt der Arbeit hat, ohne daß die Teilung der Arbeit aufgehoben wird. Die Lebensfreude in der Arbeit ist ein wesentliches, nicht wegzudenkendes Element der Umstrukturierung des Menschen vom Arbeitssklaven zum Beherrscher der Produktion.” Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB  S. 258

(8) Unter anderem, wenn Angriffe von “Antifaschisten” auf uns stattfinden, wobei wir in den bisher stattgefunden Scharmützeln noch nicht den Staat eingeschaltet haben. Siehe hierzu unsere Auseinandersetzung mit der FelS-Antifa-AG auf diesen Seiten.

(9) Bert Hellinger, Ordnungen der Liebe. Ein Kurs-Buch, Heidelberg 1996

(9a) Wilhelm Reich, Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 248. Siehe auch das Kapital “Das `Absterben des Staates´”, S. 216

(10) Ein Begriff davon erhält man in den Analysen von Noam Chomsky und Serge Thion. (Siehe u.a. die Arbeit des Letzteren “Historische Wahrheit oder Politische Wahrheit? Die Macht der Medien: der Fall Faurisson”, VdF, Berlin 1994, und (nur auf französisch) “Une allumette sur la banquise. Écrits de combat (1980-1992)”, Le temps irréparable 1993

(10a) Wilhelm Reich kritisierte den (alten) Anarchismus: “Die Anarchisten (Anarcho-Syndikalisten) erstrebten den Zustand der gesellschaftlichen Selbstverwaltung; doch sie scheuten vor Kenntnisnahme der abgrundtiefen Probleme der menschlichen Freiheitsunfähigkeit zurück, und sie lehnten jede Lenkung sozialer Entwicklung ab. Sie waren Utopisten und gingen in Spanien unter. Sie sahen nur die Freiheitssehnsucht, doch sie verwechselten diese Sehnsucht mit der Fähigkeit, auch wirklich frei zu sein und ohne autoritäre Führung zu arbeiten und leben zu können. Sie lehnten das Parteiensystem ab. Aber sie wußten nichts dazu zu sagen, in welcher Weise die versklavte Menschenmasse es lernen sollte, ihr Leben selbst zu steuern. Mit Haß gegen den Staat allein ist nichts getan. Auch nichts mit Nacktkulturvereinen. Das Problem ist tiefer und ernster.” Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer TB, S. 210

(11) In diesem Zusammenhag muß dem Erzreaktionär Kuehnelt-Leddihn recht gegeben werden, der sagte: “Wer auf der Welt den Himmel sucht, macht sie zur Hölle.” Zit. nach: Martin Möller, Zum Tode von Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddihn, Sleipnir 4/99

(12) Zur Bündnisproblematik: “Der Freiheitskrämer wird auch in Zukunft - so wie bisher - Jugendbewegungen ins Leben rufen udn dann den Kern des Lebens der Jugendlichen dadurch verraten, indem er noch reaktionärer wird als der gute, alte Konservative; denn er hat viel mehr versprochen, als er je halten könnte. (...) Der Konservative, der aus der instinktiven Kenntnis der großen Schweirigkeiten, die mit dem Streben nach Wahrheit verbunden sind, den status quo im gesellschaftlichen Leben verteidigt, ist weit ehrlicher.” (Wilhelm Reich, Christusmord, Walter-Verlag Olten und Freiburg im Breisgau, S. 307)

(13) ebenda, S. 328