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Briefwechsel und Gespräche

 

Briefwechsel Christian Worch - Peter Töpfer

Teil 4

 

Hamburg, den 19. April 1999

Lieber Peter!

Vielen Dank für Deinen Brief vom 23. März. – Ich hatte mal so über Ostern antworten wollen, da hatte ich vier Tage, in denen ich (außer einer paarstündigen Besprechung mit ein paar Kameraden) eigentlich nichts zu tun hatte. Aber, wie das Schicksal will: Genau am Gründonnerstag, dem 1. April, erwischte mich ein heftiger Schnupfen; die unangenehmere Sorte von Aprilscherz. Und dann war nix damit, über Ostern irgendetwas konstruktives zu machen. Die Nase war dermaßen dicht, daß ich manchmal das Gefühl hatte, es quetsche mir von dort aus das Hirn zusammen. Lästig, lästig.

Die Fragilität des Menschen beginnt mit seiner Geburt. Spätestens. (Es gibt bekanntlich auch eine Menge pränataler Traumata.) Und damit meine ich nicht das Geburtstrauma, den ersten Vertrauensverlust durch kruden Umgebungswechsel, sondern ich meine schon den Fakt, daß wir allesamt als Frühgeburten auf die Welt kommen. Wenn man es mit den Tragezeiten anderer Säugetiere vergleicht. (Das ist der Preis für die Zweibeinigkeit.) Von daher ist bei unserer Spezies die Phase postnataler Hilflosigkeit (symbiotische Phase nannte Freud es, wenn ich mich recht entsinne) extrem ausgeprägt, und das führt geradezu regelmäßig zu psychologischen Defekten. Die von der gerade herrschenden Gesellschaft oder Kultur völlig unabhängig sind, weil rein biologisch bedingt.

Es liegt natürlich auf der Hand, daß die späteren Folgen dieser unvermeidlichen Defekte in gewissen Kulturen und Gesellschaften drastischer durchbrechen als in anderen. Aber dieses Grundproblem wäre selbst in einer möglichst idealen Gesellschaft vorhanden und ist mithin unvermeidlich.

Ich kenne Schütt und den Shanghaier Kreis nicht. Ein paar meiner Kameraden haben sich diesen Kreis vor ein paar Jahren mal angesehen, fanden ihn interessant, aber sonst nicht weiter bemerkenswert. – Die Leute, mit denen ich vorzugsweise zu tun habe, sind keine politischen Theoretiker, sondern Praktiker. Die meisten von uns haben das teilweise über Jahre (in meinem Fall locker über zwei Jahrzehnte) hinweg erlebt, daß viel zu viel geredet und dabei dann irgendwann zerredet wird. Also bilden wir den aktionistischen Flügel. Mir ist es meistenteils sogar ziemlich egal, wofür oder wogegen gerade demonstriert wird; für wichtig halte ich allein, daß das ,,nationale Lager” demonstriert. Das ist der Ausdruck einer sehr rudimentären Strategie. ,,Um allseits beliebt sein zu können, muß man zunächst allseits bekannt sein”, formulierte Kühnen schon in den späten Siebzigern. – Um Gedanken transportieren zu können, bedarf es zunächst einmal viel mehr des Transportweges als des Gedankens. Es nützt der schönste und richtigste Gedanke nichts, wenn es am Transportweg mangelt.

In den etwas bürgerlicher eingestellten Kreisen ,,unseres” Lagers wird gelegentlich gern auf die Erfolge Haiders in Österreich abgestellt. Wenn man mal davon absieht, daß die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Alpenrepublik sich mit den hiesigen schwerlich vergleichen lassen, dann wird aber trotzdem eines meist übersehen: Daß Haider sich zunächst einmal eine Position verschaffte, einen Apparat instrumentalisierte, bevor er richtig ,,aus dem Busch” kam. – Da westdeutsche Versuche, vorhandene Apparate zu instrumentalisieren, seit Jahrzehnten immer kläglich gescheitert sind, ist der richtige operative Weg der, zunächst einmal einen Apparat zu schaffen; und sei es einen in Form einer Szene, die schließlich unter gewissen Umständen wie ein Apparat funktionieren kann. Wenn dies verläßlich geschafft ist, wenn der nötige Freiraum für die gedankliche Auseinandersetzung erkämpft ist, dann macht es auch Sinn, sich mit all diesen netten, aber für die breitere Masse (auch der aktiven Leute) recht uninteressanten Gedankenspielereien zu befassen.

Und mit Freiraum meine ich damit selbst solche Kleinigkeiten wie die: Daß es nicht angehen kann, daß erst in der Nacht von Freitag auf Sonnabend entschieden wird, daß wir am Sonnabend in Magdeburg nicht nur eine Kundgebung (stationär) durchführen dürfen, sondern auch einen Umzug (beweglich). Oder: Daß es nicht angehen kann, daß mit Rücksicht auf eine kleinere Zahl von Gegendemonstranten unser Abmarsch bei nicht gerade optimalen Witterungsbedingungen um locker eine Stunde verzögert wird. Oder: Daß es ebenfalls nicht angehen kann, daß wiederum mit Rücksicht auf diese (kleinere) Zahl von Gegendemonstranten unsere Demonstration sich in dem bewegen muß, was die Linken so gern als ,,Wanderkessel” anprangern und damit für den unbefangenen Zuschauer zumindest unterbewußt die ,,Gefährlichkeit” unseres Zuges suggeriert wird.

Ich habe mir sagen lassen, daß vor ungefähr einer Woche Horst Mahler in Kassel eine Kundgebung (öffentlich) veranstaltet habe, die von zweihundert ,,Antifaschisten” gestört wurde, indem man ihnen den Stecker aus der Lautsprecheranlage zog und damit die Kundgebung beendete. Hier sieht man wieder die Unterschiede zwischen Theorie und Praxis. Als Mann der Praxis lehne ich derzeit Kundgebungen an einem Werktag ab, weil da einfach nicht genug Teilnehmer zu mobilisieren sind, um nötigenfalls mit eigenen Kräften einen solchen Übergriff zu verhindern. Ich halte es da mit den mittelalterlich geprägten Kriegern, denen Sluyterman den Spruch in den Mund legte: ,,Helf dir selbst, dann helft dir auch unser HErre Gott!”

Meiner Meinung nach müssen das Männer wie Horst Mahler oder Schütt oder oder oder noch lernen. Gerade die, die ursprünglich von der Linken stammen. Denn die haben sich noch nicht darauf eingestellt, daß man von der Rechten her ständig in einem Zweifrontenkrieg steckt: Gegen die störend bis repressiv auftretende Staatsmacht einerseits und gegen gewalttätige oder bestenfalls ,,nur” gewaltbereite Störer andererseits.

Ereignisse wie das, das Du beschreibst, wo Leute auf Mahler eingeschlagen haben, sind zwar traurig, aber sie führen dazu, daß die Betroffenen (einschließlich der anwesenden Zeugen) ein realistischeres Verhältnis zu den Dingen erhalten.

Die Kurden: Durch die aktuellen Ereignisse (Kosovo-Krieg) ist die Kurden-Frage (richtiger wohl: die Kurdistan-Frage) in den Hintergrund gerückt. Das ist unvermeidlich. – Ansonsten ist die Kontaktaufnahme insofern ein wenig problematisch, als der Mann, den ich im Auge habe, im Knast sitzt und ich mich nicht direkt mit ihm in Verbindung setzen möchte. Ich erwarte jedoch, daß ein anderer (deutscher) früherer Mitknacki von mir in zwei, drei Monaten wieder in Fuhlsbüttel sein wird (zur Zeit hat er noch auswärts einen Prozeß) und ich dann auf diesem Umwege den Kontakt herstellen kann. Dann sehen wir mal. – Daß es etwas dauert und etwas umständlich ist, ist insofern nicht weiter störend, als das Kurden- oder Kurdistan-Problem ja noch etliche Zeit virulent sein wird. Und spätestens während des Prozesses gegen Öcalan wieder richtig hochkochen wird.

Ich bezweifele, daß es im Kameradenkreis ernsthafte Probleme mit einem solchen Aktions-Bündnis geben wird. Wobei ich das allerdings nur auf den westdeutschen Kameradenkreis beziehen kann. Über den Entwicklungsstand des weit diffuseren mitteldeutschen Kameradenkreises kann ich in der Hinsicht erheblich weniger sagen. Aber das Aktions-Feld eines solchen Aktions-Bündnisses wäre ohnehin erst einmal vornehmlich Westdeutschland, da in Mitteldeutschland die Kurden weit geringer präsent sind als hierzulande.

Es gibt – örtlich und zeitlich begrenzt – sehr wohl Situationen, in denen die Anarchos ,,an die Macht kommen”. Sie üben Macht dort aus, wo sie ,,herrschaftsfreie Räume” schaffen, wie dies zeitweilig in der Hafenstraße in Hamburg der Fall war. Ein Fall, der durch die Medien ging, war folgender: Ein Hafenstraßen-Bewohner hatte eine Frau vergewaltigt. Er flüchtete zu Bekannten nach Stade, wohl ahnend, was kommen würde. Seine Flucht war nicht weit genug bzw. die Bekannten hatten ihrerseits wieder Bekannte und so weiter und so fort... Jedenfalls, die ,,Szene” in der Hafenstraße schickte ein Strafkommando nach Stade, das sich den Übeltäter griff und ihm eine deftige ,,proletarische Abreibung” verpaßte. War übrigens wirklich deftig, denn der nunmehr zum Opfer gewordene Täter erlitt eine Schädelfraktur. – Es ist nicht so, daß ich irgendwelche Einwände gegen diese Art von Selbstjustiz hätte. Ich halte sie bei einem Delikt der Vergewaltigung (mit heftiger körperlicher Mißhandlung der betroffenen Frau) für völlig angemessen. Aber unabhängig davon: Hier wurde Macht ausgeübt, und zwar im Sinne von ,,pseudo-staatlicher” Macht, im Sinne von Jurisdiktion.

Das ist die logische Konsequenz, wenn ich eine ,,Gegen-Gesellschaft” schaffen will.

Aber außer diesem meiner Meinung nach moralisch völlig gerechtfertigten Fall gibt es noch andere, die vom ,,Experiment” Hafenstraße ausgegangen sind. Ich erinnere mich daran, daß es 1987 eine Attacke von Leuten aus der Hafenstraße gegen die Redaktion der ,,TAZ Hamburg” gab. Die hatte ein Interwiev mit dem damaligen VS-Chef von Hamburg gemacht, Christian Lochte. Die Anarchos aus der Hafenstraßen-Szene waren der Meinung, daß man erstens mit VS-Schweinen kein Interview machen und veröffentlichen dürfe und daß zweitens Lochte dabei viel zu höflich und unkritisch behandelt worden sei. Also drang ein Kommando nächtens in die Redaktionsräume ein, verwüstete sie, zerstörte die Computer und hinterließ an der Wand eine Graffito des Inhaltes: ,,wg. Lochte”.

Da haben wir es mit dem in viel höherem Maße politischen Ausdruck von Macht-Ausübung zu tun. Nämlich mit der geradezu zensorischen Macht, wie sie weit eher zu einem autoritären bis diktatorischen Staat passen würde denn zu einer ,,Gegen-Gesellschaft”, die ein herrschaftsfreies Refugium anstrebt.

Waren die nun keine Anarchos?!

Die Betroffenen würden das sicherlich anders sehen, sofern sie sich einer öffentlichen Diskussion stellen würden. (Was sie übrigens inzwischen könnten – der Fall ist so lange her, daß die ,,absolute Verfolgungsverjährung” von zehn Jahren eingetreten ist.) Ich weiß nicht, wie sie argumentieren würden, aber ich weiß, wie ich an ihrer Stelle argumentieren würde. Das sähe dann ungefähr so aus: Ganz Deutschland ist vom Kapitalismus besetzt. Ganz Deutschland? – Nein, eine kleine Enklave am Hamburger Hafenrand leistet tapfer Widerstand. (Auch ohne Zaubertrank...) – Sie haben dabei Freunde und Sympathisanten auch im feindlich (=kapitalistisch) besetzten Restteil Deutschlands. Ohne diese Freunde und Sympatisanten wäre ihr Widerstand sinnlos, hätte keine Basis, könnte gebrochen werden, womit die letzte Fahne der Freiheit niedersinken würde. Alles, was diesen Widerstand untergräbt, vernichtet die Hoffnung weiterer Kreise auf Befreiung vom kapitalistischen Joch. Die TAZ hat insofern eine Schlüsselrolle, weil sie das Medium ist. Wenn dieses Medium Verrat begeht, aus selbstischen Gründen, wenn es mit dem verhaßtesten Vertreter der kapitalistischen Repressions-Macht ,,ins Bett geht”, dann begeht es Verrat. Verrat, der an den Existenzgrundlagen der ,,befreiten Zone” rüttelt, der mithin die Existenz von hundert oder mehr Menschen in ihrer Selbstbestimmtheit und in ihrem ,,herrschaftsfreien Raum” direkt bedroht. Dagegen ist eine solche Aktion angemessen; Notwehr. Punkt.

Sieh es mal so: Wenn man die Waffe in die Hand nehmen wil1, dann findet sich immer ein Grund; zuerst ist der Wille da und dann der Grund... – Ich hätte im Laufe meines Lebens wohl sehr viel Grund gehabt; da ich dem Willen immer widerstanden habe bzw. ihn gar nicht erst habe wachsen lassen, ist unserer Gesellschaft ein ungleich viel mörderischer Vorgänger von Kay Diesner erspart geblieben.

Mit besten Grüßen

 

 

14.6.99

Lieber Christian,

endlich will ich Dir auf Deinen Brief vom 19.4.99 antworten.

Du schreibst: “Die Fragilität des Menschen beginnt mit seiner Geburt. Spätestens. (Es gibt bekanntlich auch eine Menge pränataler Traumata.)” Es fällt auf, daß Du Fragilität mit Traumatisierung gleichsetzt. Wahrscheinlich meintest Du: Auch schon vor der Geburt ist der Mensch fragil. Du aber schreibst, daß es vor der Geburt bereits Traumata gibt. Daraus rückschließe ich, daß, wenn Du schreibst, daß die Fragilität des Menschen mit der Geburt beginnt, die Geburt ein Trauma ist bzw. darstellt. Dagegen möchte ich folgendes sagen: Ich glaube nicht, daß es schicksalhaft und unabänderlich sein muß, daß der Mensch (das Kind) sowohl intrauterinär (: sagt man das so? Ich meine: im Bauch der werdenden Mutter) als auch bei der Geburt traumatisiert werden muß. Gottseidank wird inzwischen schon seit einigen Jahren sanfte Geburt praktiziert, bei der man davon ausgehen kann, daß die Säuglinge bei ihrem Zur-Welt-kommen bedeutend weniger gequält werden. Sicher sind die zivilisierten Frauen über alle Maßen von ihrer Natur entfremdet (mal mehr, mal weniger), so daß die Geburten schwer genug vonstatten gehen, aber ich glaube, wir können eine Menge Übel mit einigen wenigen Änderungen an der üblichen Kreißsaal-(d.h. industriellen)Geburt bereits aus der Welt schaffen und den Kindern unnötige große Schmerzen ersparen und verhindern, daß sich Kinder selbst und der Welt (manche sagen “der Natur”) entfremden. Mit einigen wenigen Änderungen zum Besseren, Menschlicheren (und dabei weniger Kostenaufwendigen) wäre schon vieles getan. Man sollte die Sache mal von der Warte des Babys betrachten, aber auch von der Warte der Mutter, die – in der Regel, gottseidank sind wir noch nicht ganz und gar von der Natur entfremdet – ihr Kind liebt und ihm kein Leids antun möchte, nur das Beste für das Kind will.

Du schreibst weiter (das Zitieren wäre viel einfacher, wenn wir per E-Post korrespondierten! Wann vernetzt Du Dich?): “Damit meine ich nicht das Geburtstrauma, den ersten Vertrauensverlust durch kruden Umgebungswechsel, sondern ich meine schon den Fakt, daß wir allesamt als Frühgeburten auf die Welt kommen. Wenn man es mit den Tragezeiten anderer Säugetiere vergleicht. (Das ist der Preis für die Zweibeinigkeit.)” Das ist allerdings ein interessanter Gedanke: Sollten wir uns schon dermaßen von der Natur entfernt haben, daß ein Trauma bereits in uns genetisch kodiert ist, daß wir tatsächlich nichts machen können? Das wäre irgendwo auch eine Art Rückkehr der Erbsünde-Lehre. Mir fallen – Vergleich mit anderen Säugetieren – dazu die Bären-Babys ein, die winzigst auf die Welt kommen (bestimmt viel eher im Verhältnis zu den Menschen) und monatelang von der Bärenmutter abhängig sind. Wenn ich mir die Bären so anschaue, jedenfalls dort, wo sie in freier Wildbahn leben und nicht etwa in China, wo sie als Gallenblasensaftspender grausamst in Minikäfigen gefoltert werden (eine Riesensauerei!), dann habe ich nicht so sehr den Eindruck, daß sie verletzt und verstört, also womöglich von einer zu frühen Geburt traumatisiert sind. Wenn sie ordentlich (ein gutes Beispiel für Ordnung im anarchistischen Sinn) und wie es sich gehört bei ihrer Mutter bleiben (ich glaube, das spielt sich im Winter ab, also wo die Mutter sowieso nur in ihrer Höhle liegt und quasi ganz “für die Kleinen da ist”), dann sehe ich keinen Grund zur Annahme, die kleinen Bärchen könnten irgendwie traumatisiert werden. Wenn man dann sieht, wie sie im Frühjahr aus der Höhle kommen und in die Welt hinauspurzeln (auch ’ne Art Geburt; Geburt Teil II) und herumtollen, dann glaube ich noch weniger, daß sie traumatisiert sind. Den meisten Menschen allerdings sehe ich ihre Traumatisierungen (aller Art) an. (Neuerding hab ich zweimal das Schimpfwort “Du Kassengeburt!” gehört... – “Das Volk” weiß wieder mal Bescheid!) Aber vielleicht stimmt der Vergleich nicht und beim Menschen verhält es sich anders. Aber wie dem auch sei: Entscheidend ist, daß man menschlich und mit Wärme und Sensibilität an die Dinge geht, wenn man in Kontakt mit fragilen kleinen Wesen ist. So wenig ich an die Erbsünde glaube, so wenig glaube ich an Deine These von der generellen zu frühen Geburt der Menschenkinder. Aber selbst wenn Du recht haben solltest und man davon ausgeht, daß sie generell zu früh aus dem Mutterleib gestoßen werden, dann sollte die Aufwendung an Zärtlichkeit um so größer sein. Darum geht es, und nicht um Glaubensfragen. Auch hier wieder ein Lehrstück für nationale Anarchie: Es geht nie um Glauben, Wissenschaft, Theorien, Ideologien etc., sondern immer um die konkrete Situation, die so menschlich wie möglich zu gestalten ist. Und wenn Traumata notwendig sind, damit der Mensch auf zwei Beinen steht (auch eine zweifelhafte These, aber egal!), dann sage ich: Ich verzichte auf den aufrechten Gang! Mir kommt es sowieso spanisch vor, wie die meisten Leute so ihre Wohnungen einrichten. Kuck Dir mal die primitiven Völker an, wie die es sich entspannt bequem machen!: Matten, Hängematten etc.: die hängen und liegen mehr in der Horizontale als daß sie sich andauernd mühsam in der Vertikale aufrecht halten müssen wie die armen Weißen.

“Von daher ist bei unserer Spezies die Phase postnataler Hilflosigkeit (...) extrem ausgeprägt, und das führt geradezu regelmäßig zu psychologischen Defekten. Die von der gerade herrschenden Gesellschaft oder Kultur völlig unabhängig sind, weil rein biologisch bedingt.” Du weißt schon, was ich darauf antworten werde, nicht wahr?... Aber ich muß sagen, daß Du ein sensibler Mitmensch bist und daß mich das natürlich freut. Und mit dem “geradezu regelmäßig” gibst Du zu erkennen, daß es nicht immer so ist und also auch nicht immer so sein muß. Christian, überleg doch mal!: Es gehört zu unserer Kultur, daß die Neugeborenen und überhaupt die Kinder nicht genug Wärme bekommen; wenn Du ehrlich bist, wirst Du das nicht abstreiten. Mach nur einmal die Augen auf. Ich bin der Meinung, daß das nicht so sein muß, daß das tatsächlich veränderlich und zu ändern ist und sein sollte. Mindestens halte ich es für falsch, wenn Du so entschieden schreibst: “von der herrschenden Gesellschaft völlig unabhängig”. Der Rekurs auf die Wissenschaft, insbesondere auf die Bio- und Anthropologie, erfolgt bei den nationalen Sozialisten (und zu denen zähle ich Dich jetzt einmal, zumindest ist der NS Deine Herkunft) oft zur Rechtfertigung von Mangel, von Insuffizienzen und harter Gegenmaßnahmen. Der nationalen Anarchie ist die Wissenschaft völlig egal: Sie ist die Biologie, oder besser: das Bios, das Lebendige, der Anthros. Hier fühlt der Mensch und weiß es ganz genau, was gut für ihn ist, und strebt danach. Der NS ist eine Erfüllung naturwissenschaftlicher Ergebnisse (wobei davon ausgegangen wird, daß der Naturwissenschaftler Gott ist; die Frage ist bloß, wer (welcher Übergott) legt fest, welche Wissenschaftler zum Kanon gehören), die NA dagegen die Rückkehr zum Natürlichen aus dem Gefühl, dem Gespür für das Natürliche, für das Selbst, die Selbstwahrnehmung des Menschen als unmittelbaren Teiles der Natur, von der er nicht mehr zu trennen ist, heraus. Sie ist die Rückkehr zum Selbst. Wir beauftragen also keine Wissenschaftler damit zu fragen: Was ist menschlich?, sondern wir fragen die Menschen selber bzw. lassen sie gleich selber entscheiden und gemäß ihrer Gefühle leben. Wir nehmen niemandem seine Gefühle, wir entfremden niemanden von sich selbst. Wir lassen die Menschen ganz und heil. Natürlich ist das ein Jahrtausendprogramm, aber wir können tagtäglich schon mit den ersten Schritten beginnen. Dieses Programm ist kein Programm, keine Bürde, sondern es ist bereits die Lust, das Mit-sich-im-Einklang-Leben hier & jetzt. Sowie es zum Programm wird, zur Ideologie, die erfüllt werden soll, sowie es also zur Bürokratie und also wieder in die Bücherreligion der Wüste zurückfällt, hat es mit nationaler Anarchie, also mit der Unmittelbarkeit der menschlichen Regungen nichts mehr zu tun.

Was wie “biologisch bedingt” aussieht, ist oft das Resultat von sehr tiefen, sehr frühen Verletzungen. Natürlich hat die genetische Biologie gegenüber der Milieutheorie den Sieg davon getragen, aber das lag auch daran, daß “Milieu” viel zu kurz gefaßt wurde. Milieu ist das Nikotin, ist der Streß oder eben auch das Glück der Mutter, daß sich tief ins Biologische auswirkt. Milieu ist Biologie.

Immerhin konzedierst Du im nächsten Satz – und ich hätte diesen Satz gleich dem vorigen Zitat anfügen sollen –: “Es liegt natürlich auf der Hand, daß die späteren Folgen dieser unvermeidlichen Defekte in gewissen Kulturen und Gesellschaften drastischer durchbrechen als in anderen [hättest mal ein Beispiel geben können, damit ich weiß, ob unsere Bewertungen ähnlich sind]. Aber dieses Grundproblem wäre selbst in einer möglichst idealen Gesellschaft vorhanden und ist mithin unvermeidlich.” Ich bin kein Kulturpessimist, sondern scharfer Zivilisationskritiker, aber Dich möchte ich Naturpessimist nennen. Wenn in einer “möglichst idealen Gesellschaft” Menschen bei der Geburt traumatisiert werden (durch Dinge, die leicht abzuändern wären und mit denen nur fortgefahren wird, weil die Götter in weiß (genau der richtige Ausdruck!, denn sie sind in der Regel entmenscht) es so wollen), dann ist diese Gesellschaft nicht ideal! Dann ist sie zu verändern und zu verbessern, “idealer” zu machen, indem mehr und mehr Traumate vermieden werden. Und diese sind vermeidlicher als Du offenbar denkst. Einfach nur das Licht im Kreißsaal etwas weniger grell, etwas mehr Zeit für die Geburt, etwas weniger Hektik, etwas Gemütlichkeit, Wärme, Geborgenheit, etwas freundlicheres Hilfspersonal, etwas mehr Ruhe usw. – mehr Menschlichkeit. Und schon würden sich Mama und Baby ganz anders fühlen, viel lebendiger, lebensbejahender. Du weißt, was ich meine. Natürlich ist das eine dialektische Angelegenheit, d.h. die gesellschaftlichen Voraussetzungen müssen gegeben sein, konkret: das kapitalistische Gesundheitssystem gehört abgeschafft. Aber die wichtigere Voraussetzung ist, daß die Menschen es wollen, menschlicher zu leben, daß sie sensibler sind, gutmütiger usw., daß sie das Leben genießen wollen. Aus diesem Geist heraus müssen Veränderungen im Gesundheitssystem vorgenommen werden, nicht aus irgendeiner sozialistischen Ideologie heraus. Das wäre völlig sinnlos. Wir müssen uns fragen: Warum überhaupt etwas ändern? Welche Kriterien legen wir an? Sind es Bilder (Ideologeme), denen wir die Realität anpassen sollen, oder sind es unsere Gefühle, ist es unsere Natur, die uns sagen bzw. sagt, wie wir es machen sollten? Neulich hörte ich wieder einen nationalen Sozialisten, wie er bedauerte, daß die Geburtenrate der Deutschen sinkt, und daß dem entgegenzuwirken sei. Was ich bei diesen Sozialisten vermisse, ist, daß sie sich überhaupt nicht um die Qualität des Lebens scheren. Nun gut, wenn mehr Deutsche in Deutschland leben anstatt meinetwegen Türken, dann ist das mit Sicherheit bereits eine größere Lebensqualität. Aber deutsche Kinder werden einfach in die Waagschale des demographischen Krieges geworfen und also mißbraucht, und man kommt überhaupt kein bißchen auf die Idee, daß diese Menschen auch glücklich werden sollen. Die demographische Sichtweise kann doch nicht die einzige sein! Zum Thema “Glück” fällt den meisten nationalen Sozialisten lediglich “Arbeitsplatz”, “Wohnung”, “Ernährung” usw. ein. Aber Glück ist Wonne, vor Freude Jauchzen, entspannt sein können, gut, ruhig und tief schlafen können usw. Warum sollten wir diese Dimension aus der Kritik an den herrschenden Zuständen heraushalten? Wir sollten sie thematisieren! Auf die Frage “Wozu unser nationaler Kampf?” kommt meistens die Antwort: “Damit unser Volk, unsere Rasse lebt!” Aber wozu? Eine mögliche rationale Antwort könnte lauten: Weil ich nicht allein sein will, weil ich Leute von meinesgleichen um mich herum haben will. Es geht nur um das Subjekt. Eine Rasse fühlt nichts. Die Leute, die die Rasse bilden, die fühlen. Und nur die sollten im Mittelpunkt des Interesses stehen. Daß sie nicht allein glücklich werden können, ist klar. Wie also soll das Volk, sollen die einzelnen Menschen leben?! Und glaubt jemand, daß das Volk lange lebt, wenn es nicht glücklich ist? Lohnt sich überhaupt dieses Leben, wenn es nicht von Glück, von Zufriedenheit, vom Heil bestimmt ist?

Du entschuldigst mich, wenn ich hier etwas aushole und mich die Gedanken etwas von Deinem Brief forttragen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Dich fragen, ob ich unseren Briefwechsel auf meine WWW-Seite (“Heil +hallo in der nationalen Anarchie!”), die ich demnächst aufmache, bringen kann. Hättest Du Einwände? Natürlich würde ich Persönliches herausnehmen und Dir die Sache erst einmal vorlegen, um Dein Einverständnis zu bekommen.

Was ist übrigens aus Deinen rechtlichen Schritten gegen Jungle World geworden? Die Ermittlungen wegen des Einbruchs/Raubs sind ja bereits eingestellt worden. Es gab ja auch überhaupt keine Spuren, denen man hätte nachgehen können!... Nur ein paar Bekennerschreiben, abgedruckt in Publikationen mit Impressum... Naja, wen wundert’s.

Was Du zum Thema “Shanghaier Kreis” schreibst, finde ich gut. Ich meine Deine kritische Sicht der “politischen Theoretiker”. Ich habe Dir schon oft gesagt, daß mir Dein Pragmatismus (und sogar der “Aktionismus”, wie Du es nennst) gefällt. “Um allseits beliebt sein zu können, muß man zunächst allseits bekannt sein”, zitierst Du Kühnen. Am besten, man macht sich synchron beliebt und bekannt. Aber Du hast schon recht: In dieser Medienwelt mit ihren riesigen Mechanismen, da muß man erst einmal hineinkommen. Aber die “Liebe” sollte nie aus den Augen (aus dem Herzen) geraten! “Um Gedanken transportieren zu können, bedarf es zunächst einmal viel mehr des Transportweges als des Gedankens”, schreibst Du. Ja, aber vielleicht bauen manche Gedanken auch erst den Weg? Und dann stell‘ Dir mal vor, Du hast den Weg gebahnt, und dann kommt da nur Mist daher!... Also man sollte schon auf die Qualität, d.h. auch Originalität achten. Was Du über die Schwierigkeiten bei der Ausrichtung von Demos schreibst, ist sicher alles richtig. Aber wie dann die Demos aussehen, wenn ihre Gestattung einmal erkämpft ist, das ist doch mindestens genau so wichtig. Und ich muß sagen, daß die letzte Demo in Berlin ein Fortschritt war in puncto “transportierter Gedanke”: “Meinungsfreiheit auch für uns!” Das ist genau das Richtige! Das wirkt! Leider traten die Kameraden für meine Begriffe wieder einmal zu martialisch auf; es waren auch viel zu viele Fahnen zu sehen. Aber ich halte mich am besten zurück mit meiner Kritik. Es ist nicht mein Feld. Auch die Diskussion um Gedanken/Transportweg ist überflüssig, und wahrscheinlich habe ich Idiot wieder einmal so einen Schwachsinn angefangen... Machen!

Was Du zur Machtausübung der Anarchos in der Hafenstraße schreibst, ist soweit korrekt und findet ja auch Deine Zustimmung. Ich sehe das ähnlich. Es ist natürlich eine Macht im Spiel, logisch. Die Machtausübung ist in Ordnung, wenn Sie mit Zustimmung der Menschengruppe geschieht, wenn sie Ausdruck dieser Menschengruppe ist; wenn diese Gruppe sie an den Machtausübenden delegiert, was offenbar bei der Bestrafung des Vergewaltigers der Fall war. Sowie das nicht mehr der Fall ist, muß die Gruppe ihrerseits Macht zur Geltung bringen und den Tyrannen entmachten und einen repräsentativeren Führer oder besser: Funktionsträger einsetzen, bemächtigen. Der darf und muß sich ruhig auch ermächtigen, das ist kein Widerspruch, das gehört zum Ganzen. Aber Repräsentant und Delegierer sollten eine Einheit sein, sonst gibt’s sinnlose und unnötige Reibereien. Alles sollte auf Anerkennung basieren. Wenn so das Führerprinzip aussieht, hätte die NA nichts einzuwenden. Das Führerprinzip ist vielleicht nur Anarchie in Notzeiten. Also ich stimme Dir hierin zu (daß das “die logische Konsequenz ist, wenn ich eine ‚Gegen-Gesellschaft‘ schaffen will”.) Und auch gegen die Aktion der Hafenstraßen-Leute gegen die taz ist erst einmal nichts zu sagen. Wenn “taz lügt!” und einem nichts anderes bleibt, weil man keine Gegenöffentlichkeit hat, dann braucht sich niemand zu wundern, wenn Gewalt ins Spiel kommt. Das Problem für mich besteht nur darin, daß sich hier Leute ermächtigen, die nicht die geringste Zustimmung im Volk haben. Nun muß das Volk ja auch nicht immer recht haben (behüte!), aber es duldet doch oft das Richtige. Wie Du zurecht schreibst, haben wir es hier mit einer Macht zu tun, die eben nicht der oben geschilderten entspricht, sondern im Gegenteil nicht etwa nur der einem “autoritären bis diktatorischen Staat” ähnelt, wie Du schreibst, sondern autoritäre und diktatorische Machtausübung ist. Gegen diese antivölkische Gewalt gilt es sich zu ermächtigen. Und hier hätte man das Volk logischerweise im Rücken.

Du fragst mich, ob “die nun keine Anarchos waren?” Ich fühle mich bei dieser ganzen Diskussion etwas unwohl. Ich mag nicht gern über solche Dinge diskutieren, und ich krampfe mir hier die ganze Zeit schon einen ab. Meinetwegen ziehe ich auch den Kürzeren und gebe mich geschlagen. Diskussionen und Worte überhaupt sind nicht so wichtig für mich. Ich würde sagen: Nein, das sind keine Anarchisten, obwohl ein gewisser Anteil Anarchismus dabei ist (“Dezisionismus”). Aber begründen kann ich’s Dir nicht. Meine Meinung, daß das keine Anarchisten sind, nährt sich aber aus anderen Gesichtspunkten. Anarchisten leben frei, d.h. sie müssen erst einmal leben, überleben, das Leben bestreiten können. (Sowohl die Indianer, als auch zum großen Teil die weißen Siedler lebten damals in Anarchie.) Das ist bei den meisten dieser Verwahrlosten ganz sicher nicht der Fall, wobei ich jetzt hier nicht alle über einen Kamm scheren will. Wie gesagt: gute Ansätze sind vorhanden. Aber andere gute und wichtige, notwendige Ansätze zur Anarchie werden von diesen Leuten oft nicht anerkannt und denunziert. Mein Motto lautet hier wie immer: aufeinander zugehen! (: schreibt man das auseinander?)

Aber nochmals: Das sind nicht die Dinge, über die ich mir einen Kopf mache. Ich lege keinen Wert darauf, nun unbedingt mitreden oder gar das letzte Wort und recht haben zu müssen. Ich darf mich hier neben Dich auf die Seite stellen, auf die Seite der Pragmatiker. Mich beschäftigen ganz andere Dinge (siehe weiter oben!), quasi die Anarchie als Realität und nicht der Anarchismus.

In dem Sinne! Heil Dir!

 

 

3.9.99

Hallo Christian,

ich korrigiere gerade den neuen Sleipnir, wo ein Beitrag von Dir dabei sein wird; und in diesem erwähnst Du unsere Korrespondenz.

Ich hatte Dich ja das letzte Mal danach gefragt, ob Du einverstanden wärest, diese Korrespondenz auf www.nationale-anarchie.de zu veröffentlichen. Sei doch so lieb und schreib mir mal kurz dazu. Denn bei einer positiven Antwort könnte ich in Deinen Text gleich eine Anmerkung anbringen, wo man nämlich diese Korrespondenz lesen kann.

Bei Deinem Text für Sleipnir mußte ich an einen Jungle-World-Artikel denken, den ich doch für bemerkenswert halte. Ich lege ihn Dir mal bei. Ebenfalls einen kurzen Artikel von mir zu Mahler, der allerdings noch nicht fertig ist.

Gruß

 

 

Hamburg, den 10.9.1999

Lieber Peter!

Vielen Dank für Deine Nachricht vom 3.9.

Bitte entschuldige, wenn ich es versäumt habe, Deine Frage vom letzten Mal zu beantworten. (Vorweg: Ich bin gern einverstanden.) – Zur Zeit pendele ich mit mäßiger Hektik zwischen Hamburg und Riesa in Sachsen hin und her, fahre morgen wieder hin und dann am Tag nach der Wahl (d.i. der 20. September) her. Dann werde ich von den 42 Tagen der ,,heißen Phase” des Wahlkampfes beinahe 20 in Sachsen verbracht haben, zuzüglich der jeweiligen Hin- und Herfahrten, die ich auch immer mit locker einem halben Tag ansetzen darf, so daß ich unter dem Strich mehr als die Hälfte meine Zeit in dieser Phase entweder dort verbracht habe oder auf dem Weg nach dort oder von dort.

Aber das ist ja dankenswerterweise ab dem 19. bzw. 20. zuende. Bzw. genaugenommen ab Ende des Monats, denn das letzte Drittel des September werde ich wohl in aller Ruhe damit verbringen, meine in Sachsen gesammelten Erkenntnisse auszuwerten.

Ich beschränke meine Wahlkampfaktivitäten in Sachsen teilweise sehr bewußt darauf, ,,an der Front” zu sein. Ich klebe die Plakate auf die ,,Pappen”, ich stelle die ,,Pappen” heraus, ich fahre mit dem Lautsprecherwagen durch die Gegend und und und. Meine intellektuellen und organisatorischen Kapazitäten habe ich allenfalls mal vor Ort eingebracht, und das auch eher nebenbei; beispielsweise, wenn es galt, eine besonders einschränkende Verfügung einer Gemeinde vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich anzufechten. – Grund dafür ist, daß mich eigentlich weniger interessiert, wie die Partei ,,von oben her” funktioniert, als wie sie von unten her funktioniert. Und daß ich nicht in allen, aber – man kann ruhig sagen! – den meisten Fällen lieber mit denen ,,unten” zu tun habe denn denen ,,oben”. Im Mannschaftsquartier schlafe, statt das Offiziersprivileg für mich in Anspruch zu nehmen, mich körperlich auslaste, statt einen Bürosessel plattzusitzen, das Lenkrad in der Hand habe statt eines Telefonhörers. Man hat ein gewissermaßen ursprüngliches Gefühl der Produktivität dabei. Und ist unter Leuten, die selbst ein Gefühl für Produktivität haben, statt sich als stress-man zu produzieren. (Auf einer meiner Cassetten, die ich auf den langen Wegen höre, ist auch ein Song namens ,,stress-man”. Auszug: ,,Stressman, don’t play the hero, don’t gamble to zero...”) – Im Zuge meiner Wahlkampfaktivitäten las ich ein ,,Positionspapier” oder so von einer Gruppe, die sich ,,Sozialisten innerhalb der NPD” nennt oder so ähnlich. Kopfgeburten. Mir fiel dazu ad hoc ein zynischer Kommentar ein; und im Zynismus liegt Wahrheit. Der Kommentar lautete: ,,Der Sozialismus wird geschaffen von Männern, die Schwielen an den Händen haben; und er wird erkämpft und verteidigt von Männern, die Dreck an den Stiefeln haben. Nun mögen die Herren Bernd Grett und Co. mir einmal ihre Hände und ihre Füße zeigen...” – Das ist den Mund ein bißchen voll genommen, weil ich eher Blasen an den Händen habe als Schwielen, und statt der dreckigen Stiefel trage ich dreckige Turnschuhe. (Reebock; ,,accept no limit” ist ihr Werbespruch.) Aber ich würde von all diesen vermeintlichen Theoretikern eines (nationalen oder sonstigen) Sozialismus gern einmal wissen, wer von ihnen mit einem Hubwagen umgehen kann. Das wäre einer meiner Parameter, sie ernst zu nehmen.

Gut, genug davon.

Zu Mahler bzw. dem Mahler-Artikel (Fragment) von Dir: Bei flüchtigem Überfliegen (zu mehr reicht die Zeit nicht; morgen gegen 8.00 Uhr geht es wieder auf die Autobahn) blieb mein Blick auf dem Wort Gott hängen. Und weiß der Gegen-Gott, weiß also der Teufel warum, mir kam Lummert in den Sinn. Mit ,,Gott wird’s schon richten” an irgendeiner Stelle und an einer anderen: ,,Gott als der Herr der Geschichte...” – Wenn wir an Gott denken, dann denken wir an die Bibel. Und wir erinnern uns, daß GOtt, der HErr, spricht: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. D e r Gott ist immer Dogmatiker, d i e  Götter sind es nicht. Ich bin ein Befürworter des Polytheismus. Obwohl ich wie ein echter Monotheist sage, daß ich nur an eine Gottheit glaube, heißt das noch lange nicht, daß diese Gottheit nicht viele, viele andere neben sich gelten läßt. (Ihr ist es egal, an wie viele andere ich oder sonstwer glaubt...) Was vielleicht deshalb natürlich ist, weil die Gottheit, die ich meine, eine Frau ist. (die Dame ist eine alte Griechin, und zu ihr zu beten, ist eine der wenigen Sünden, die sie straft.) – Aber Horst Mahler wird mit ihr nichts anfangen können, fürchte ich. Schaun’ wir mal, was sie mit ihm anzufangen weiß...

Da wir bei diesem Thema sind, das so leicht ins Obskure abgleitet, weil es an’s Obskure grenzt: Ich habe mir die Mühe gemacht, die Zahlenwerte meines Namens nach den einfachsten Regeln der Kabbala zu errechnen. Die Quersumme meines Vornamens ist 15, die meines Mittelnamens ist 13, die meines Nachnamens ist 14, und die Quersumme der Summen aller meiner Namen ist wieder 15; ident mit der Quersumme meines Vornamens. Dies kann man übertragen auf die Karten des von mir bevorzugt benutzten Tarot-Decks. Trumpft XV ist der Teufel; die Machtgier, aber auch der Kampf gegen das Böse, mit der Qualität von ,,die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft” im Sinne von Goethes Faust. – Als Quersumme des Rufnamens entspricht dies ,,dem persönlichsten Teil, dem Wesenskern”. – Weitere Vornamen entsprechen einem verborgenen Familienauftrag. Das ist bei mir Trumpf XIV, die Kunst, auch: Alchemie. Die Lösung und die Bindung, die Suche nach dem innersten (Wesens-)Kern, das rechte Maß oder umgekehrt auch das Übermaß. – Der Familienname entspricht der äußeren Rolle, dem Familienerbe. Das ist Trumpf XIII, der Tod, das Werden und Vergehen, oder – hier klingt ein Gedanke des Sozialismus an – ,,der Große Gleichmacher”. – Und die Summe von alledem ist wieder der Teufel, ,,der Ausgleich zwischen den verschiedenen Aspekten und damit das übergeordnete Ganze”.

Der Horst Mahler hat in beiden Fällen – dem Vor- und dem Familiennamen – die XIV. (Mißlicherweise wissen wir nichts über seinen zweiten Vornamen, oder?) – In der Tat, er tritt uns als der Künstler oder auch als der Alchemist gegenüber. Er löst und er bindet sich, er sucht nach dem innersten Wesenskern; findet dabei eher das negative Übermaß denn das positive rechte Maß. Nomen est omen, sagten schon die Römer. – Nun bin ich einer derer, die die Kunst um der Kunst willen zu würdigen wissen; l’art pour l’art. Ich erinnere mich noch an den gelinden Ausdruck von Überraschung des Dichters Röhler, als er feststellte, nach Lektüre eines TAZ-Artikels (in dem ich lustigerweise mal auf den Kulturseiten erwähnt wurde), daß offenbar auch der Christian Worch eine Art von Künstler ist. (Wenngleich die Lyriker wie im Mittelalter die Prosa wohl noch immer für eine Art von Bastard-Kunst ansehen.) Und zugegebenermaßen eher der Vertreter einer sehr trivial-heroischen Richtung. Aber immerhin eine Art von Künstler. Und das macht mir den Mahler verständlich. Was beileibe nicht heißen will, daß es richtig ist. Aber soweit ich es oberflächlich beurteilen kann, ist es zumindest verständlich.

Die Rückseite Deines unvollendeten Mahler-Artikels zierten Gedichte. In französischer Sprache. Nun umfaßt mein Französisch vielleicht zweihundert Worte, was ein Witz ist: Um eine Sprache halbwegs zu verstehen, braucht man bei zweitausend Worte; um sie flüssig (nicht fließend) lesen, hören, sprechen zu können, bei zwanzigtausend. – Aber der Rhythmus der Gedichte erinnerte mich an etwas. Unglücklicherweise kann ich es nicht nachlesen. Ich besaß eine zweisprachige Ausgabe von Baudelaires ,,les fleurs du mal”. Ich habe sie verschenkt; dieses Jahr erst. (Eines der würdigsten Geschenke, die ich in meinem Leben gemacht habe; und an eine der würdigsten Personen, ein solches Geschenk zu empfangen.) Ist ,,comme une fille” nicht sogar einer von Baudelaires Überschriften? – Und auch anderes erscheint vertraut. Bitte kläre mich auf. Von wem sind sie?

Es wird Zeit, ins Bett zu gehen. Morgen früh um acht Uhr auf der Autobahn...

Mit besten Grüßen

 

 

14.9.99

Lieber Christian,

dank für deinen brief und auch für das einverständnis (korrespondenz...)

Hast du jetzt etwa einen rechner? (irgendwie anderer satz) Dann dürftest du ja demnächst auch e-vernetzt sein.

Ich hoffe – und nehme es an –, es macht dir auch spaß, so unterwegs zu sein im namen des herrn. Bei uns hier in berlin sind die kameraden auch tag & nacht im einsatz. Was ich zum ersten mal sehe und gut finde, ist, daß plakate von anderen übermalt werden. Da bieten sich ja teilweise lustige spielchen an. Ein (unpolitischer) kumpel von mir wollte ja neulich auch die NPDS gründen. Er meinte, nationalismus und sozialismus, das würde sich doch nicht ausschließen, das müsse man zusammenbringen... Er nahm dann aufkleber von PDS und NPD und collagierte die so schön zusammen. War echt der treffer. Aus PDS auf wahlplakaten könnte man ja auch ganz einfach NPD machen.

“Stressman”... : ? Irgendwo schon mal gehört. Welche band?

Was du zum sozialismus schreibst (“Schwielen”, “Hubwagen”...) , trifft erst recht und noch mehr auf die anarchie zu, denn dort gibt es keine politiker, keine bonzen, keine nichtstuer... (die’s ja im sozialismus noch gibt) In der anarchie heißt es “wer nicht arbeitet, kriegt auch nichts zu essen”, wie schon josef wissarionowitsch wußte. Ich wäre wahrscheinlich der erste, der zugrunde gehen würde... Aber aus reiner sympathie kriege ich wohl dann doch meine krume...

Der zentrale gedanke und die kritik an mahler bezog sich auf absolute gewissensfreiheit in einem freien deutschland; mir geht es nicht um philosophisch-theologische fragen dabei (auch wenn ich mich da ganz gern mal mit einmische). Was ich sage, ist: wehret den anfängen! Keinen fußbreit den deutschen ajatollas!

Daß es für dich nur eine göttin gibt, wußte ich bereits (aus der worch-lummert-korr.).

Mit kabbalismus kann ich nicht so viel anfangen. Aber eines tages – ich lebte damals in paris (war kühnen nicht auch ‘ne zeitlang in paris? Könnte sogar meine zeit gewesen sein) – war ich bei einer wahrsagerin; es war die enkelin von jules vernes (sagte se jedenfalls; war’n heißer tip...), madame soundso verne. Und die legte mir dann auch die karten, und raus kam dabei nur, daß ich eine sonne nach der anderen aufdeckte. Sie war ziemlich perplex. Aber ihre profezeiungen traten dann doch nicht so ein... Oder sie verzögern sich nur etwas: ?... – Auch möglich.

Daß du künstler bist, ist hiesigenorts (: eine worch’sche vokabel, nicht wahr?) bekannt. Dieser französische text war ein lied von Léo Ferré, ein in den 60ern und 70ern ziemlich bekannter chansonier, anarchist. Ich kenne ihn auch nicht so gut. Nur ein lied: “Si tu t’en vas... si tu t’en vas...” Traurig, traurig...

Baudelaire, rimbaud, verlaine und wie sie alle heißen habe ich irgendwann mal in meiner jugend auch gelesen. Aber übrig geblieben ist davon nix. Ich bin eher fan von den dichterinnen in bravo girl, mädchen etc. Fernando pessoa ist auch gut, charles bukowski, eichendorff. Mehr kenne ich auch nicht. Hast du neulich gelesen, daß man drei dichter in weimar verkloppt hat?... Irgend solche arschlöcher.

A propos “dichter”: Heute hab ich mir die bubis-trauerfeier angekuckt. Und da erfuhr ich in den reden der juden (und dieses ding haben sie alle durch die bank weg als den schocker schlechthin erwähnt), daß damals bei der friedenspreis-rede von walser die massen aufgesprungen sind und standing ovations gegeben haben! Das wußte ich ja gar nicht! Das muß man sich mal vorstellen! Und das waren natürlich die gleichen, die jetzt hier in der synagoge saßen, denen nun der kopf vor scham in die hand fiel. Die ham damals allen ernstes ganz naiv losgetobt vor begeisterung über walsers rede. Fanden die toll! Eine stunde später müssen sie aus allen wolken gefallen sein. Nur bubis und als einziger nichtjude pfarrer schorlemer (der darf sich jetzt was einbilden drauf) sind sitzengeblieben und wollten nicht beifallen. Also wie bedäppert doch diese deutschen sind! Jetzt mußten die sich das nun wieder um die ohren hauen lassen. Die wissen doch nie, was nun korrekt ist und was nicht. Oh diese armen kerle. Können einem echt leid tun. Naja, man kennt‘s ja...

Hältst du mahler etwa für einen künstler? Na ja, irgendwo ist ja alles kunst. A propos “kunst”: Wußtest du, woher beus (: schrieb der sich so?) diese schwäche für fett und filz hatte? Der hatte so eine affinität für diese materialien, weil damit seine lebensrettung durch tundra-eingeborene zusammenhängt. Der war ja flieger im krieg und wurde dort hinten runtergeholt, hat dann eine ganz schön lange zeit da drüben mit den eingeborenen gelebt. Seine rolle und seine positionen bei den grünen am anfang kennst du? Schade, daß das damals alles von den kommunisten kaputtgemacht wurde. (Auch bei rabehl las ich neulich, was dutschke so vorhatte und wie weit er schon damit war.) Naja, “so ist er, der KOMMU!; so kennt man den KOMMU!” (frei nach den zillertaler türkenjägern)

Dank für die einladung zur demo am 2.10. Ich hatte davon schon erfahren, aber ich werde nicht teilnehmen können, oder eben doch mit einem klärenden flugi. Denn ich bin nicht der meinung “gegen integration”. Ich bin für integration (derer, die deutsche werden wollen). “Deutscher staatsbürger kann nur sein, wer deutsche eltern hat!” – Das ist ja schlimmer als bei den juden! Bei den‘ brauchste ja bloß ne yiddishe mamme zu haben!

Konsequentes kreislaufwirtschaften, grenzen zu, turbane und schleier nach hause, und denn is jud, würde ich sagen. Alle andern solln hier bleiben. Stell dir doch mal das chaos eines sich ethnisch reinigenden europas vor! Aber das ist gar nicht mal mein hauptargument. Alles, was rassismus etc. ist, davon gibt’s so gut wie nix in mir. Ich bin eben – wie sagte es michel der geölte zigeuner heute wieder so schön? –: EIN MENSCH!...

Ja soweit für heute. Alles gute, viel erfolg, und sei nicht so streng mit den braven “sozialisten in der npd”! Die meinen‘s doch gut. Ich erinnere mich, daß grett die zehn gebote der jungpioniere für eine veröffentlichung in sleipnir vorschlug! Röhler wollte es auch glatt machen (da irgendwie auch ’ne art kunst...), bis ich mein veto einlegte... Aber grett is trotzdem ein netter. Find ich gar nicht mal so verkehrt, was der da unten macht in plauen (“nationaler antifaschismus”, wie du es neulich sagtest in dem text für sleip; hoffentlich liest das auch einer!).

Nur noch mal kurze nachfrage (nicht unwichtig; das solltest du wissen für die einschätzung der lage bzw. die tendenz): hast du die kopie des jungle-world-artikels von wertmüller über die deutschen autonomen wahrgenommen? (Das war ja thema deines nächstigen sleipnir-artikels.) Das müßte man mindestens irgendwie aufgreifen, wenn nicht sogar riesengroß kopieren und dem antifa-block präsentieren! Das wär doch mal was! Die würden mächtig staunen! Denk auch dran, daß die sleipnir lesen! Wenn man denen auf diesem (um)weg dann solche bolzen um die ohren knallt (“Der deutsche autonome der hauptfeind”!), wer’n die doch ganz närrisch (wie der sachse sagt – müßtest du ja jetzt einigermaßen kennen) und verrückt dabei!

Naja, wieder mal schlaue ideen von töpfer... (Aber nüschd dahinter! – Wenigstens schustere ich nun meine www-seiten zusammen. Das wird unsere “deutschen autonomen” ja wenigstens etwas verwirren (und somit zur befreiung reif machen).)

Ich haue jetzt zum ersten mal nach fünfzehn jahren wieder mal ab auf eine insel für zwei wochen. Hab einen kumpel auf mallorca und kann dort günstig eine angenehme zeit verbringen.

Gruß

 

 

Hamburg, den 14. Oktober 1999

 

Lieber Peter!

Vielen Dank für Deinen Brief vom 14. September.

Ganz schön stressig, so ein Wahlkampf (Sachsen). Hat mich zwei Kilo Gewicht gekostet, was ich mir gut leisten konnte. - Und danach wieder in den normalen Arbeitsrhythmus zu kommen, hat mich auch ein paar Wochen gekostet.

Ich habe einen Rechner. Aber noch lange keinen E-Mail-Anschluß. Nicht vor Anfang nächsten Jahres, weil ich mir nicht sicher bin, was um die Jahrtausendwende so an häßlichen Viren herumschwirrt. Und auch danach werde ich mir überlegen, ob eine Vernetzung gut für mich ist. Es gibt böse Sabotagemöglichkeiten für Rechner, mit denen ich mich noch nicht hinreichend auseinandergesetzt habe. Ich fürchte, da muß ich erst firm werden, bevor ich mich ins elektronische Medium Stürze.

Michael Kühnen war von etwa März 1984 bis etwa September 1984 in Paris. Danach wurde er von den Franzosen als erster Mensch seit 1945 wegen ,,Staatsgefährdung" abgeschoben.

Mit Rimbaud und Verlaine bin ich nicht vertraut. Nur mit Baudelaire, dem Opinisten, dem Opium-Esser, und ein klein wenig mit Francois Villon, obwohl von dem leider schwer Texte in deutscher Sprache zu bekommen sind. Und ein ganz klein wenig mit Christine de Pisan, wenngleich man sich trefflich darüber streiten kann, ob sie Belgierin oder Französin war. (,,Seul ,,ete suis, et seul' ,ete veuil estre." - Eine der ganz wenigen ,,emanzipierten" Frauen des Mittelalters.) - Mit Baudelaire bin ich vertraut seiner seltsamen Inspirationen wegen. Les fleures du Mal, die Blumen des Bösen. Ich spüre in seiner Dichtung ein wenig das alte französische Schisma zwischen dem rationalen Norden und dem mystischen Süden. - Ob Satan seines langen Elends sich erbarmt hat, ist eine andere Frage.

Köln am 2.10. war lustig. Eigentlich weniger Köln, als mehr die Fahrt dorthin und einiges vom Drumherum. Die Busfirma hatte uns einen Neger als Fahrer geschickt. Als wir (mit zwei Bussen, von denen insgesamt drei Fahrer deutsch waren und eben dieser eine Neger, also eine ziemlich kleine Minderheit) dort ankamen, konnten die Kameraden es kaum fassen. Ausgerechnet die Nazis aus Hamburg mit einem Neger als Fahrer. Aber warum nicht. Und vor allem: Wer, wenn nicht wir. - Würde man den Mann aus Afrika fragen, wer ihn auf dieser Tour am meisten gestört hätte, dann wären es sicherlich nicht wir gewesen, sondern mehr die Antifa-Anarchos, die seinen Bus mit Steinen bombardiert haben. Eine arg rassistisch-ausländerfeindliche Bande, wenn man es recht betrachtet.

Die Integration dieses Mannes wird allerdings an einem Umstand scheitern, für den er überhaupt nichts kann. Sein Deutsch ist schlecht. Ich fragte, weather he prefers to speak english, aber als Ergebnis kam heraus, daß er wenn, dann lieber Französisch gesprochen hätte. Und da bin ich nun einfach nicht gut genug für eine Kommunikation, die über das Bestellen von Eierspeisen hinausgeht. -Daß er in seiner afrikanischen Heimat mehr frankophon war denn anglophon, wird sich für ihn als Nachteil erweisen. Integration beginnt mit Sprache. Und endet mit Sprache. Und zwischendurch ist nichts als Sprache. Keine Sprache, keine Integration.

 

    22.Oktober 1999

Die Tücken der Elektronik. Der Brief an Dich war gespeichert. Und beim routinemäßigen ,,Aufräumen" in ,,Eigene Dateien" kommen die Briefe dann immer in den Ordner ,,Briefe", wobei ich in dem Fall übersehen habe, daß der Brief noch gar nicht fertig war. Und das wiederum hätte dazu führen können, daß er ganz leicht unvollendet geblieben wäre, wenn ich nicht heute beim Aufräumen des Papierstapels Deinen Brief gefunden hätte. So gehts... Und da sagt man immer, de Computer hilft. Tut er wahrscheinlich, wenn man ihn richtig programmiert, aber ich denke als altmodischer Mensch, es geht nichts über bedrucktes oder beschriebenes Papier.

,,Sozialisten in der NPD" ist auch so eine Sache; erinnert mich an die ,,AGnS". (Arbeitsgemeinschaft nationaler Sozialisten innerhalb und außerhalb der NPD", glaube ich. Wenn mich nicht alles täuscht, ist das noch immer eine zwei-Personen-Organisation. Ich würde normalerweise von einer ,,zwei-Mann-Organisation" sprechen, aber eine dieser Personen ist Thekla Kosche, die logischerweise kein Mann ist.) - Ich komme auf ,,AgnS" wegen einer Demo, die morgen in Flensburg laufen soll. Angemeldet vom ,,Bündnis rechts" für Lübeck bzw,. in Lübeck und unterstützt u.a. von so mitgliederstarken Organisationen wie der ,,AgnS". Ich habe mir ernstlich überlegt, ob ich mitdemonstriere oder nicht. Viel Lust hätte ich in keinem Fall, denn ich fürchte mal, es werden ganz deutlich unter hundert Teilnehmer bleiben. Und mir gefällt nicht, wenn dann Antifa-Blätter sich darüber das Maul zerreißen, Demo mit Worch, dem ,,Vordenker” der Szene, und es kommen nur 60, 70, 80 Leute oder so... Wäre mir unangenehm, weil schlecht für's Image. - Den Ausschlag allerdings gab der Umstand, daß per Auflage das Mitführen von Hunden verboten ist. Da Lorena gerade in Hamburg ist und da ich es unadäquat finden würde, ohne sie zu einer Demo zu fahren, wenn sie schon mal hier Ist, und da wir Erik nicht einfach irgendwo “deponieren” können, war somit alles klar. - Aber die bloße Tatsache, daß diese Demo stattfindet, zwingt mich trotzdem, mir den Wecker für morgen früh fünf Uhr zu stellen, um um sechs Uhr loszufahren, weil ich dann die kleine Lautsprecheranlage nach Pinneberg bringe.. (Die Pinneberger fahren nämlich hin.) Und wenn´s schon so eine Mini-Demo wird, dann sollen sie wenigstens eine Lautsprecheranlage haben, sonst sieht es wirklich nach gar nichts aus...

So hat man dann auch in dem Fall, daß man selbst gar nicht dabei ist, seine Arbeit mit so etwas...

Was Bernd Grett betrifft, ich kenne ihn nicht persönlich. Aber die Leute in Plauen, die ich kenne, halten von ihm überhaupt nichts. Oder nicht mehr, das mögen die Götter wissen. - Ich denke, daß die Frage solcher Einschätzungen nicht allein von der politischen Ansichten abhängt, sondern auch von der persönlichen Wirkung.

Als ich in Sachsen im Wahlkampf war, las ich im dortigen Wahlkampfzentrallager Riesa ein ”Thesenpapier” oder so etwas von Bernd Grett und Gregor Janik. Dazu fiel mir nur etwas ein, was bei den Kameraden, die dort im Wahlkampfzentrallager richtig aktiv waren (soldatisch ausgedrückt: sich den Arsch aufgerissen haben) mit großem Beifall aufgenommen worden ist. Nämlich:

,,Der Sozialismus wird begründet von Männern, die Schwielen an den Händen haben, und er wird verteidigt von Männern, die Stiefel an den Füßen tragen. Und Jetzt würde ich gern einmal die Herren Grett und Janik sehen, um festzustellen, ob sie Schwielen an den Händen oder Stiefel an den Füßen haben.”

Viele Theoretiker des Sozialismus wären wahrscheinlich bedauernswerte Hungerleider, wenn sie sich auch nur ein Jahr lang ihr Brot in einer Fabrik oder Werkstatt verdienen müßten.

Ich bevorzuge in dieser Hinsicht das maoistische System. Im maoistischen China waren die Kopfarbeiter verpflichtet, einmal im Jahr für die Dauer eines Monats in der Fabrik oder auf den Feldern zu arbeiten. Danach sind sie dann auf ihre Managersessel oder in ihre Hörsäle oder Labors zurückgekehrt, um ihre Intelligenz und ihre Ausbildung sachgerecht einsetzen zu können. Das Ist ein Sozialismus der Tat, einer, der die Gleichwertigkeit, nicht die Gleichartigkeit der Arbeit von Stirn und Faust praktisch demonstriert, der die Arbeiter der Stirn förmlich zwingt, sich nicht der Arbeit der Faust zu entfremden. - Besser als irgendeine Art von Zwang wäre natürlich, wenn sie es von sich aus täten. Aber der Mensch an sich ist im Gegensatz zu der Ansicht von Berthold Brecht nicht gut. Nicht einmal, wenn es die Verhältnisse sind.

Anbei ein paar Berichte über die jüngsten Aktivitäten. Mit besten Grüßen

 

 

3.11.99

Lieber Christian,

Dank für Deinen Brief vom 14.10.99!

Das mit dem Gewichtverlieren ist gut. Ich meine das nicht egoimagemäßig, sondern es zeugt von Lebendigkeit: Man ist unterwegs, hat was zu tun, ißt automatisch weniger... Ich war lange nicht mehr auf Reisen (auch mein Mallorca-Trip ist ausgefallen), aber ich kann mich erinnern, daß man dann auch Gewicht verliert und sich “persönlicher”, d.h. souveräner vorkommt, erwachsener, fähiger, denn das In-der-Fremde-sein fordert einem Entschlußkraft usw. ab. Wenn man von einer Reise zurückkommt, fällt das anderen auch auf am Gesicht: Du siehst ja gut aus! Gutes Körpergefühl.

Alles, was Du zur Kommunikationstechnik schreibst, sind die normalen und üblichen Rationalisierungen von Neuerungszögerern. Höre ich überall, und ich war/bin der schlimmste. Aber logischerweise ziehen alle schließlich mit. Ich hoffe, Du bist bald auf Draht (online). Wenn Du irgendwie Hilfe brauchst und kennst niemanden, der sie Dir geben kann, sag Bescheid.

Daß Michael Kühnen als erster Mensch seit 1945 wegen ,,Staatsgefährdung” aus Frankreich abgeschoben wurde, stimmt nicht ganz: Soweit ich informiert bin, ist das nach 1968 schon Daniel Cohn-Bendit passiert. Der Unterschied wäre sicher der, daß die Abschiebung Kühnens heute noch gelten würde; DCB kandidiert für les verts.

Von Francois Villon gibt’s doch (massenhaft) deutsche Übersetzungen. Ich kann mich an solche von Paul Zech erinnern. Vielleicht habe ich die sogar noch. Rimbaud, les fleurs du mal: In diesem Zusammenhang würde mich Dein Gefühl, Deine Meinung zum “Bösen” interessieren. Ich nehme mal an, Deine Hinwendung zum NS damals in den 70ern hatte auch etwas mit dem Spiel mit dem Bösen zu tun.

Bus, Neger: Tja, die Antifas kommen da etwas in die Bredouille. Es ist ja auch so, daß – ich würde mal schätzen – die übergroße Mehrheit der hier lebenden – ich nenne sie: – Ex-Ausländer oder Inländer ausländischer Herkunft gegen weiteren Zuzug von Ausländern, also – “Nazis” sind. Schwer zu verkraften für die bedauerlichen Antifas. Das betrifft den normalen Ex-Ausländer im normalen sozialen Kontext. Skuriller wird es dann schon, wenn sich Antideutsche (konkret ging es um konkret) von jungen (antifaschistisch-militanten) Ex-Ausländern sagen lassen müssen, daß sie Ausländerfeinde sind, wie es im letzten Jahr geschehen ist. konkret hatte in der Tat übelst abgehetzt gegen Kurden, Türken – überhaupt alles mögliche, was sich im Ausland auch nur slightest den Anschein von nationalem Selbstbestimmungswillen gab (beliebte Zielscheibe der antinationalen Welteroberungsgelüste: die Zapatisten in Mexiko: alles Nazis!): “eine arg rassistisch-ausländerfeindliche Bande”, Du sagst es. Aber da kriegen unsere Antinationalen eben Wehr zu spüren; nicht diese Kuschhaltung wie von den über die Maßen eingeschüchterten Indigenen hier. Ich habe leider den Text dieser türkischen Antifaschisten nicht mehr; sonst hätte ich ihn Dir beigelegt: interessant & luuchtik! Leute wie Wiglaf Droste dürfen dann auch schon mal Polen u.a. böse nachahmen. Hoffentlich lassen die sich das nicht mehr lange gefallen (bei den entselbsteten Deutschen ist jede Hoffnung umsonst).

Natürlich müßte der Neger die deutsche Sprache lernen. Das Kriminelle an unserer Obrigkeit ist doch, daß sie alles dafür tut, daß sich die Ausländer bzw. Ex-Ausländer eben nicht integrieren (können). Durch diesen ganzen überflüssigen und nur aus der schweren deutschen Neurose zu erklärenden Kult & Rummel um “Ausländer”, “Integration” usw. wird doch alles total entwirklicht. Normalerweise macht man doch überhaupt keinen Aufhebens um so etwas. Als ich damals nach Frankreich ging, habe ich natürlich & selbstverständlich & auch ohne die geringste Überlegung zu verschwenden im Handumdrehen französisch gelernt. Es ist natürlich die Frage der Quantität der Ex-Ausländer und ihrer Gruppenbildung. Integration kann ab einer gewissen Masse der Fremden gar nicht stattfinden. Und die Antifas, die keine Integration wollen, sind natürlich – (z.B. pro-türkische) Nationalisten, zumindest Befürworter der kulturellen Selbstbestimmung! Was die Antifas nicht begreifen wollen, ist, daß Integration und Anpassung ganz automatisch vor sich geht und eben nichts Unmenschliches ist und nicht unbedingt Zwang und Abrichtung zu Germanen bedeutet. Außerdem hatte der Ex-Auländer ja die Wahl und wollte nach Deutschland kommen. Wenn man es unhysterisch betrachtet, ist alles so klar & einfach. Aber die Deutschen (insbesondere die deutschen Antifaschos) sind verwirrt & verkompliziert. Na ja, wem sag ich das... Da gibt’s doch so einen Medien-Neger in München, Liebling der Journaille und tatsächlich sehr sympatisch: so’n schwarzer Taxifahrer, der bairisch quatscht und von einer Sendung zur anderen gereicht wird: schon mal gesehen?

“ ... von politischen Ansichten abhängt, sondern auch von der persönlichen Wirkung”: Ich für meinen Teil gebe gar nichts auf sog. “politische Ansichten”. Aber in diesem konkreten Falle hat mir Grett eigentlich “persönlich” gefallen, obwohl ich ihn nur kurz gesehen habe.

Die chinesische Lösung ist das Mindeste. Was ich will, ist allerdings das Verschwinden dieser komischen Aufteilung von Kopf- und Handarbeit. Also für mich gibt es so was überhaupt nicht. Ich “arbeite” andauernd mal so und mal so. Ich lehne jede Art von Zwang ab, würde also auch nie jemanden “in die Produktion” schicken. Dulde allerdings auch keine Schmarotzerei. Solange die Welt so ist, wie sie ist, nämlich arbeitsteilig, sollte man auch die Leistung der Kopfarbeiter nicht geringer schätzen als die der Handarbeiter. Nur: Es gibt Millionen sog. Kopfarbeiter, die völlig sinnlose Arbeit machen. Aber was tun denn die Handarbeiter? Ist das zu 90 Prozent nicht auch alles sinnlos? Nein, ich kann mich auf diese Art Diskussion gar nicht richtig einlassen, weil ich radikal anders denke. Alles, was über die Dorfgemeinschaft hinaus geht, ist doch pervers. All diese Probleme wird man nie in den Griff bekommen. Es ist unmöglich, denn der Mensch ist biologisch nicht für die Zivilisation geschaffen. Ich jedenfalls nicht. Und deswegen mach ich mir auch keine Platte um so etwas. Ich weiß nur eins: Ich lasse niemand an mir schmarotzen. Diese ganze Kultur-Scheiße mit diesen perversen Kanarienvögeln (arme Vögel, verzeiht mir!), die glauben, daß ihr Zeugs irgend einen Wert hat (jetzt komme ich zu Deiner “(Gleich)wertigkeit”) außer den, daß sie ein perverses System verkleben!... Diese Leute sollen sich nicht wundern, wenn sie eines Tages (nicht von mir) “in die Produktion” geschickt werden. Ich dagegen bin für Umschulungsprogramme für diese (heute noch privilegierten) Opfer der Zivilisation. Wir müssen allen die Chance geben, “vollwertige” Menschen zu werden. Denn ist es nicht nachzuvollziehen, wenn einer sagt: Gut, ich will kein – meinetwegen: – Museumsdirektor mehr sein, aber genau so wenig will ich am Fließband stehen? Aber auf der anderen Seite ist es natürlich klar, daß – so lange wir diese komische arbeitsteilige Welt haben – er nicht zu schmarotzen und schon auch mal anzupacken hat. Er kann sich ja gern engagieren und kümmern, daß die Industrialisierung bald ein Ende hat. Insofern ist an der chinesischen Lösung etwas sympatisches. Bloß die Chinesen tun im Moment alles andere als mit dem Wahnsinn der Zivilisation aufhören zu wollen, ganz im Gegenteil (Staudamm-Projekte, Anpassung an den Kapitalismus usw.: man muß sich mal vorstellen, wie viele Autos wir mehr auf der Welt haben werden in ein paar Jahren!...)

So, genug meditiert. Ich grüße Dich!

PS: Danke für die Veranstaltungshinweise. Gefällt mir recht gut, der Ton im Aufruf zur Anti-Drogen-Demo, wenngleich es mir natürlich nicht radikal genug ist. Es wird noch viel zu wenig die (hausgemachte) Krankheit der Drogenabhängigen beachtet. Du kannst die Dealer aus Deutschland vertreiben (wofür ich natürlich absolut bin), aber glücklicher werden die Menschen allein deshalb noch nicht. Und an dieser Frage öffnet sich die eigentliche Perspektive. Aber immerhin tut sich was! Vielleicht komme ich hin mit eigenen Flugis, mal sehn.

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