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Briefwechsel und Gespräche
Briefwechsel Christian Worch - Peter Töpfer
Teil 3
Hamburg, den 2.2.1999
Lieber Peter!
Vielen Dank für Deinen Brief vom 13./20. Januar.
Die Beziehung zwischen Mann und Frau ist ein Mysterium, das sich meiner konkreten Bewertung entzieht, obwohl ich es immer wieder versuche.
Natürlich sind bei der Anti-KKW-Bewegung Nationale beigewesen. Von Anfang an. Aber weil das nationale Lager damals völlig schwach war, sind sie erstens nicht aufgefallen bzw. wurden zweitens,
wenn sie doch mal aufgefallen sind, sehr schnell ausgegrenzt. Teilweise in Form von ,,Rausprügeln”. – Im ,,Aktionsprogramm” der ANS, das zu ihrer Gründung beschlossen wurde, standen exakt drei
Punkte. Forderung nach Aufhebung des NS-Verbotes, Kampf dem Kommunismus und Baustopp für alle Kernkraftwerke (ein Gutteil der heute in Betrieb befindlichen war damals noch nicht gebaut; war immerhin 1977).
Ein Volksfront-Konzept – gleich, ob von links oder von rechts oder national – muß sich an der Frage messen lassen, ob damit wirklich “Volk” im Sinne seiner Gesamtheit
gemeint ist. Mithin also auch Minderheiten, möglicherweise unbequeme Minderheiten. Und da sind wir wieder bei der Diesner-Transparent-AG.
An der Diskussion der Gewaltfrage ist im Endeffekt die außerparlamentarische Linke gescheitert. Und da gings noch richtig radikal um die Frage von Personen, die nicht nur Gewalt indifferent
gerechtfertigt haben, sondern die sie angewandt haben. – Diese Diskussion ist der damaligen außerparlamentarischen Linken sozusagen aufgezwungen worden. Sie hat sie sich aufzwingen lassen. Das Motto der
Herrschenden ist immer das ,,divide et impera”, das ich mit meinem fragmentarischen Latein gern grammatikalisch falsch schreibe. Ich erzähl’s Dir mal mit einem Beispiel. Vor ein paar Monaten, war schon
im Herbst, waren Lorena und ich in einer nahegelegenen Trucker-Kneipe zum Essen. Relativ spät am Abend und natürlich bei Dunkelheit wanderten wir dann in Richtung Heimat, Erik frei laufend. So ein Stück vor der
Haustür kam uns eine Gruppe von jüngeren Leuten entgegen, wahrscheinlich Lehrlinge, Berufsschüler oder Praktikanten aus dem in der gleichen Straße gelegenen ,,Haus des KFZ-Handwerks”, gut ein halbes Dutzend
Leute. Hunde haben ja nun die Eigenschaft, bei Dunkelheit aufmerksamer zu sein als bei Tageslicht. (Logisch, weil der Gesichtssinn für sie weniger bedeutsam ist als für uns, dafür Geruch und Gehör erheblich besser
ausgeprägt.) Erik lief sofort vor, in diese Gruppe hinein, verbellte sie, aber nicht als Gruppe, sondern die einzelnen; wandte sich hierhin und dahin, gab Laut und zerstreute sie förmlich. Ungefähr so wie ein Wolf
eine Schafsherde, mit dem Unterschied, daß er nicht so aggressiv war wie ein Wolf und die ,,Herde” nicht so panisch wie Schafe in so einer Situation. Aber jedenfalls lief es auf die für mich erkennbare Methode
der Zerstreuung hinaus, der Zersplitterung einer in seiner (und meiner) Sicht geschlossenen Personengruppe.
Lorena, die unter anderem in der Hundezucht gearbeitet hat, erklärte mir später, daß es sich dabei um einen natürlichen Mechanismus eines Hundes handelt, der seine Bezugspersonen (sein
,,Rudel”) schützt: Die eventuelle Opposition erst einmal zerstreuen, ihre geschlossen wirkende Formation (oder Gruppe) auflockern, aufbrechen, um sie dann, wenn sie als akute Bedrohung für die Bezugspersonen
(das ,,Rudel”) auftreten sollten, nötigenfalls einzeln anzugreifen.
Ein relativ simpler natürlicher Mechanismus, dessen Sinn auch einem Laien wir mir bei Erklärung unmittelbar einleuchtet.
Wenn ein Hund, der so etwas nicht ausbildungs- sondern instinktmäßig drauf hat, das erfaßt und tut, dann darf man von den Herrschenden, die sich mit den Methoden der Herrschaftsausübung
umfangreich, systematisch und intellektuell auseinandergesetzt haben, natürlich erwarten, daß sie sich mindestens genausogut auf diesen Mechanismus verstehen. Und so also funktioniert im Großen wie im Kleinen das
,,Teile und Herrsche”.
Der Reflexbiß ist nicht identisch mit dem Angstbiß. Der Angstbiß ist von Komplexen diktiert; mit ihm ist also immer zu rechen. Der Reflexbiß ist situativ. Das einzige Mal, wo in meinem ganzen
Leben ein Hund nach mir geschnappt hat (und mich tatsächlich ,,gebissen” hat, auch wenn ich es kaum gemerkt habe, weil der Pinscher mit Mühe mal so groß wie eine ausgewachsene Ratte war), war reflexbedingt.
Weil ich aus dem Stand losgerannt war, um noch einen Bus zu bekommen, und nicht gesehen hatte, daß neben mir so ein winziger Hund lief. Dadurch, daß ich für ihn völlig unerwartet losgelaufen bin, habe ich seinen
Reflex (in diesem Fall den Jagdinstinkt) ausgelöst. – Das ist übrigens auch der Grund, warum häufig Jogger von Hunden angefallen werden, vor allem, wenn sie dem Hund nicht entgegenkommen, sondern wenn sie aus
der Perspektive des Hundes vor ihm weglaufen.
Tatsächlich werden nationale Demos heutzutage nicht mehr so leicht verboten wie vor sagen wir mal vier, fünf Jahren. Bzw. die Verbote werden von den Verwaltungsgerichten leichter mal aufgehoben.
Allerdings gilt das in erster Linie noch immer für Anmelder, die das Parteienprivileg in Anspruch nehmen können. Anmelder, die außerhalb einer Partei stehen, haben es da vor den Verwaltungsgerichten erheblich, ganz
erheblich schwerer.
Spaß macht vielen Leuten, die ich kenne, eher ein Oi-Musik-Konzert als eine Demo; beim Konzert können sie sich austoben, ,,fun tanzen” (was ich als nicht-Skin nicht vom Pogo der Punks
unterscheiden kann) und Bier bis an den Rand des Komas saufen. Das sind Aktionen, die heutzutage vom System politisiert werden. Aber wenn wir mal die Politisierung durch das System weglassen, sind es denn politische
Aktionen? Nein; würde das System es einfach ingnorieren oder gar instrumentalisieren, hätten wir nichts anderes als eine Variante von ,,panem et circensis”. – Demos machen den Leuten eher selten Spaß.
Der Unterhaltungswert ist für sie geringer. – Die in Kiel vor drei Tagen, die hat Spaß gemacht. (Manchen vielleicht sogar zuviel – es gab ein paar Leute, die den Steinhagel nicht witzig fanden. Ich
denk’ aber mal, das war die Minderheit.) Aber daß eine Demo so läuft wie die in Kiel, daß es den ,,kick” gibt, die ,,Front-Atmosphäre”, das ist eher selten.
Und da kommen wir dann auch zum politischen Verständnis.
Wenn’s nach mir gegangen wäre, hätten wir abends bis zum Erbrechen auf dem Platz ausharren können. Scheiß auf die Kälte, scheiß auf den Hunger. Das war alles in Stalingrad hundertmal
schlimmer; und da wurde man zusätzlich noch beschossen... Politisch und operativ geht es in solchen Fällen darum, daß die Polizei auf uns einen und sei es auch indirekten Druck ausübt, weil Krawallmacher von der
Antifa direkten Druck auf die Polizei ausüben. Und es ist eine simple Erkenntnis, daß man auf Druck vorzugsweise mit Gegendruck reagieren sollte. Sofern man die Masse hinter sich hat, mit der man Druck erzeugen
kann. (Tausend Mann sind da natürlich ein anderes Kaliber, als wenn’s nur hundert oder zweihundert wären.) Lies Dir einfach mal die Pressedokumentation durch. Knackpunkt war der Umstand, daß wir mehr gewesen
sind, als der Verfassungsschutz vorhergesagt hat, und daß das das polizeiliche Konzept durcheinandergebracht hat. Ein Konzept, das von vornherein gegen uns gerichtet war und nicht gegen die Steinewerfer- und
Haßkappenfraktion.
Aber, um ganz ehrlich zu sein: Ich weiß nicht, wie weit bei der versammelten Masse die Erkenntnis gereicht hätte und wann sich nicht vielleicht die Bequemlichkeit, der Wunsch nach Essen und
einem Bier und einem warmen Bett durchgesetzt hätte. Der Wille und der Spaß sind nicht in gleichem Maße entwickelt; bei den meisten derer, mit denen wir es zu tun haben (als Kameraden, als Mitkämpfer) ist der Wunsch
nach Spaß weiter entwickelt als der Wille (und geschweige denn die Erkenntnis).
Ich würde nicht drauf schwören, aber ich glaube, es heißt ,,agitare” und nicht ,,agitere”, mit a in der zweiten Silbe statt e.
Klaus-Ludwig Uhl ist seit beinahe zwanzig Jahren tot. Er ist zu Lebzeiten nicht das geworden, was er hätte werden können. Und folglich ist es schwer, den Leuten zu erklären, was aus ihm hätte
werden können. Ich kann Dir nur sagen, daß er in der Zeit seines Pariser Exils fast ganz allein Ausgabe um Ausgabe des NS-Kampfrufes gefüllt hat. (Er schrieb dort unter einem halben Dutzend Pseudonymen.) Und der
Kampfruf war damals noch ungeheuer viel besser als später; geschweige denn in den Zeiten nach Laucks Verhaftung, wo er kaum noch herauskommt. Er entwickelte das Konzept des ,,Marsches auf Deutschlands” (aus
dem Exil heraus), das zwar nicht funktionieren konnte, aber immerhin gut gedacht war. Und damit war er weiter als die meisten anderen Leute unseres Lagers, die kaum denken, geschweige denn kreativ. Diese Kreativität
war es, die ihn gefährlich machte; und auf die Abschußliste hat ihn gebracht, daß er sich darauf hat bringen lassen. (Und daß er mit Busse zu tun hatte. Busse ist in der Beziehung reines Gift.)
Nein, es ist nicht sinnvoll, über Klaus-Ludwig Uhl zu schreiben. Es erinnert mich an einen Satz von Joy Chant aus ,,Der Mond der Brennenden Bäume”, original ,,The Grey Mane Of The
Morning”: ,,Er weinte über das, was war, und über das, was hätte sein können.” Klaus-Ludwig Uhl ist so, wie wenn Caesar in seinen jungen Jahren von den Piraten getötet worden und nicht gegen Lösegeld
freigelassen worden wäre; ein nur mögliches Kapitel der Geschichte, eine Potenz, die nicht zur Präsenz geworden ist.
Dem Hermann Ritter jr. geht es gut. Ich wußte es ab dem Zeitpunkt, wo in seinem Briefkopf das ,,jr.” wegblieb. Der sichtbare, der symbolische Beweis seiner Emanzipation. – Ich bekam
von ihm eine Weihnachtskarte. Sie zeigte ein Einhorn und einen Weihnachtsmann, und das Einhorn hatte eine Sprechblase: ,,Glaubst du an mich, glaub’ ich an dich!” Auch das symbolhaft. Obwohl ich nicht
weiß, ob Hermann schon emanzipiert genug ist, diesen Symbolwert seiner eigenen Karte zu begreifen.
Manchmal ist die beste Chance, die letzte Chance zu sein.
Richtig, Anarchismus ist die Ideologie und Anarchie der von ihr angestrebte Zustand. Kleine sprachliche Unkorrektheit. Wo ist der wesentliche Unterschied? Was Du meinst, ist etwas, das ständig
unterdrückt wird. Logisch, zwangsläufig, geradezu naturgesetzlich. Wie sich ein Vakuum füllt. Herrschaftsfreiheit ist das Kontradikt zu Herrschaft. Herrschaft zeichnet aber nun zwangsläufig eine moderne, eine
vielfältige, eine arbeitsteilige Gesellschaft aus; es geht nicht ohne. Dazu müßte der Mensch ein einsamer Jäger sein und nicht ein Horden-, ein Herdentier. Schau Dir die Tierwelt an. In der Horde, der Herde, dem
Rudel, der Rotte gibt es zwangsläufig ein alpha-Tier. Ohne diese primitivste Form von Organisation (=Herrschaft) wären Horde etc. pp. nicht lebens-, nicht überlebensfähig.
Es geht meiner Meinung nach nur um die Frage, ob die Herrschaft eine natürliche ist oder eine unnatürliche, ob sie nach objektiven Kriterien geeignet ist, das Überleben und die Fortentwicklung
zu sichern, oder ungeeignet. Und da wir zur Abstraktion fähig sind: Ob selbst bei kompetenter, sinnvoller Herrschaft die Gefahr besteht, daß sie sich zu sehr institutionalisiert, Mißbrauch hervorruft oder auch nur
möglich macht. Dann ist ihr mit dem Gegenkonzept entgegenzutreten. Aber auch das läuft drauf hinaus, wie ein urbayerischer Witz es beschreibt. Am Stammtisch. Sagt einer: ,,A Anarchie müaßt amoal her!” Und der
nächste: ,,Ja, aber nur mit oanem starken Anarchen!”
Ich denke, daß es Horst Lummert noch gibt; allerdings stehe ich unter dem Eindruck, daß er publizistisch nicht mehr ganz so rege ist wie vordem. ,,Die Sache” ist nicht ohne Interesse für
mich. Ich übersetze es einmal anders: Die Sache übersetze ich mit dem Mann. Der Mann ist interessant. Welche Sache er vertritt, ist eigentlich ohne Belang. Seine Methodik ist interessant, seine Qualifikation, sein
Potential. Einer der intelligentesten Menschen, die mir je begegnet sind
Einen Literaturtip bezüglich Worch als Autor gibt es nicht. Ich schreibe nicht kommerziell. Oder nicht professionell, wie andere mit einer Spur Bissigkeit sagen... Es ist Freizeitvergnügen. Die
Presse weiß es nur zufällig. Schon 1978 wurde ich im STERN so charakterisiert: ,,Christian Worch, der eitle Jung-Nazi, der seine penibel gepflegten Hände bei Demonstrationen mit Handschuhen schützt, lebt zuhause bei
seiner Mutter in Hamburgs Nobel-Viertel Pöseldorf und schreibt in seiner Freizeit Science-Fiction-Romane.” – Gefiel mir, weil es ausgefallen war. Als Charakterisierung. (Und als Lebensstil...) –
Man muß nicht unbedingt Künstler sein, aber eine künstlerische Ader ist sehr hilfreich, wenn man Politik macht. Nimm Adolf Hitler, der ein sehr guter Zeichner und Maler war. Oder nimm Kaiser Hirohito von Japan, der
hervorragende haiku (traditionelle japanische Kurzgedichte) geschrieben hat. Oder den vielleicht berühmtesten Künstler, der je auf einem Thron gesessen hat, Kaiser Marcus Aurelius, den stoischen Philosophen. –
Nero war ein armer Abklatsch, als Künstler wie als Kaiser eher mitleiderregend. Aber selbst der hatte zumindest eine Ader für die Kunst, und daß ihm dort, mangels Qualität, keine Anerkennung zuteil geworden ist, mag
ihn als Kaiser schrecklich gemacht haben.
Wie auch immer, ich kann Dir gelegentlich mal die Themenausgabe des SF-Magazins zukommen lassen, der Du außer biographischem Material und einem Interwiev auch (meist frühes)
,,literarisches” Schaffen von mir entnehmen kannst. Brauch’ ich irgendwann zurück, da die Auflage vergriffen ist und ich nur noch ein Exemplar habe.
Mit besten Grüßen
8.3.99
Lieber Christian,
entschuldige bitte meine lange Pause; ich war einfach anderweitig bzw. in der kranken seele zu sehr beschäftigt. Hier lief ja das verfahren gegen uns weiter. Alles ziemlich positiv; der Richter hat sich am Ende
selbst für befangen erklärt, falls das jetzt richtig von mir erinnert wird...: oder kommt es nun vor ein anderes richterliches, höhergerichtliches Gremium?... – Ich habe von all diesen Sachen keine Ahnung.
Ohne Andreas wäre ich schon längst im Knast...
Daß Ihr damals schon gegen AKWs ward, wußte ich nicht. Ich hab eben wenig Ahnung.
Ich halte mich am besten aus all diesen Fragen heraus und begebe mich mehr auf das Gebiet des Kultes. Politik ist wirklich nichts für mich.
A propos Kult: Hast Du die vier DIN-A-3-Seiten “Dossier” (sprich: Werbung) über (für) Sleipnir in Jungle World gesehen? Da kommt ja sogar die Rostock-Demo, mein Anarchostern und Dein Brief an mich dazu vor! Besser geht’s ja gar nicht mehr! Einfach wunderbar. Wie können die nur so blöde sein und so ne werbung machen?... Aber vielleicht ist diese Blödheit ja unbewußte Gutmütigkeit? Wenn man’s mal auf der ersten ebene betrachten will, d.h. ganz naiv, dann verstehe ich überhaupt nicht, was die überhaupt wollen. Die kommen mir doch reichlich verwirrt und verloren vor. Also wenn ich so ein verhältnis zur realität über drei ecken hätte wie die, ich würde durchdrehen. So etwas kann sich meine seele nun überhaupt nicht leisten. Du schreibst es ja: Deren Gewalt ist Ausdruck ihrer Schwäche, Ohnmacht.
Naja, wie sagt es Horst Mahler – das jetzt im Zusammenhang mit der von Dir aufgeworfenen Frage des Entgegenkommens –?: “unsere Verwundeten der psychologischen Kriegsführung”. Dazu muß
allerdings gesagt werden, daß die Verwundungen, von denen er spricht, weit über die kriegsbedingten hinausgehen bzw. viel tiefer liegen; daß wird zu oft vergessen, von mir übrigens selbst auch. Wir Nationale
schieben alles gern und schnell aufs Politische. Vieles, was hausgemacht ist, schieben wir auf “die Sieger”. Und zweitens schließt Mahler daraus, wir müßten uns um unsere Verwundeten kümmern. Nun, der
Vergleich hinkt. Denn physische Verwundungen, die kann man – meist eher schlecht als recht – im Lazarett heilen; die Verwundungen der Seele, das ist mehr Aufgabe eines Jeden, das liegt im Bereich der
Verantwortung jedes Einzelnen, auch wenn ich die kollektive Institution Psychotherapie nicht ganz für sinnlos halte. Aber falls es mal in Deutschland so weit sein sollte, sich solche Fragen zu stellen, dann würde
ich ganz gern an diesem Punkt mitarbeiten. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, daß Ahmed Rami in Schweden ja bereits so etwas verwirklicht (zumindest habe ich von diesem Projekt gehört): Er hat wohl eine
Selbsthilfegruppe für Juden initiiert. Aber genaueres weiß ich darüber leider nicht.
Einen perfiden Angriff auf Dich las ich heute in der taz. Der Trottel von Anton Maegerle dreht Dir das Wort im Mund um und schreibt doch tatsächlich, Du seiest verantwortlich für die Bombe in Saarbrücken!
Hältst Du mich bitte auf dem laufenden bezüglich Demos? Ich würde mich ganz gern wieder mal beteiligen. Ich (“INA – Initiative Nationale Anarchie”) würde ganz gern auch mal zu den Aufrufern zu einer
Demo gehören. Soll ich mal’n Vorschlag machen? Hier hat es nach den letzten Kurdenprotesten erstaunlicherweise eine prokurdische Demo von den Linksautonomen gegeben. Die Antideutschen scheinen bei denen doch
noch nicht gewonnen zu haben. Die müssen ja so höllisch aufpassen und laufend auf der Hut sein, daß die Schafe nicht ausbüchsen. Ich habe aber zu spät davon erfahren, sonst hätte ich mich druntergemischt.
In Kiel muß ja tierisch was losgewesen sein!
Liest sich gut, was Du zu Hermann Ritter schreibst. Fand ich ja sowieso erstaunlich und respektabel, daß die damals die Nummer Andromeda über Dich gemacht haben. Na vielleicht taucht er noch mal auf und leistet irgend einen Beitrag.
Du fragst, wo der wesentliche Unterschied zwischen Anarchie und Anarchismus ist und schreibst, es ginge in der modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft nicht ohne Herrschaft. Genau dieser Ansicht bin ich auch. Aber mir
– wie Dir ja wohl auch – geht es ja genau darum, diese Gesellschaft abzulösen. Es ist halt nur die Frage der tiefsten Überzeugung. Anarchie halte ich für möglich, auch wenn in weiter Ferne, genauer
gesagt nach Abtragung des Modernen und Arbeitsteiligen. Aber sie findet statt, sie ist in jeder Sekunde auch da: Unter der ganzen dicken Schicht an Zivilisation. Ohne diese Anarchie, ohne diese natürliche,
organische, sich selbst regulierende, nichtautoritäre Ordnung gäbe es keine Gesellschaftsform. Das ist die Basis, auf der alle gründen. Herrschaftsfrei heißt übrigens nicht hierarchiefrei. – Diese
Überlegungen sind nicht so wichtig, im Grunde unwichtig. Ich kann – wie Du – durchaus realistisch-realpolitisch sein. Ich kann nur meine darunterliegenden Ideen halt nicht weglegen, verdrängen. Ich bin
nun mal Anarchist, oder glaube an die Anarchie. Der Urkommunismus, das Matriarchat waren Anarchien. Warum soll das nicht wieder so werden? Bzw.: Soll ich es leugnen, was ich für richtig halte? Es geht mir dabei ja
gar nicht darum, daß es “wieder so wird”. Vergleichen kann man das mit einem – sagen wir: – Monarchisten, der ja auch die Realität der Republik oder sonstwas anerkennen muß, der aber im
Grunde seiner Seele vom König überzeugt ist. Ich hoffe du verstehst. Wir stehen uns jedenfalls in unseren Positionen nahe. Und das reicht.
Vielen Dank also nochmals für die Übersendung von Andromeda! War wie gesagt sehr interessant. Auch unter dem Gesichtspunkt, etwas mehr über das Faszinosum Chr. W. zu erfahren. Die Texte haben mich nicht
besonders angesprochen. Ich lese ja überhaupt sehr wenig, d.h. eigentlich so gut wie gar nichts. Aber lustigerweise sah ich im Fernsehn kurz vorher einen Teil aus diesen Fantasy-Serien. Das hat mir – zum
ersten Mal; vorher habe ich bei so was immer weitergeschaltet – echt gut gefallen! Da ging’s um eine Heldin, die gegen das (Männer-)Unrecht kämpft und Jüngerinnen um sich hat; Initiationen usw. Das alles
mit ner Prise Humor...: War echt gut! Vielleicht sind Deine Texte ja ähnlich, aber das Medium Text spricht mich nicht so gut an wie das Medium Film.
Ja, natürlich ist das gut und schön, daß Du – jetzt mal als Politiker – diese künstlerische Ader hast. Ob das gut ist zur Ausübung der Politik, dabei hilft, kann ich nicht sagen. Ich finde es nur schön,
wenn sensible und intelligente Menschen in der Politik sind und was zu sagen haben. Das sind dann Glücksfälle. Davon gibt es ja nun weißgott sehr, sehr wenige. Politik ist ja meist nur Verwaltung der real
existierenden Scheiße. Und entsprechend hat man es da mit ziemlich vielen Scheißern zu tun. Das muß ja nun auch sein und geht nicht anders. Aber ich finde es natürlich gut, wenn es mit einer tieferen Dimension
verbunden ist (wobei da wiederum – “Idealismus” – auch Gefahren lauern). Naja, gelobt habe ich Dich ja wohl schon genug!...
Nochmal zu Deinem Text “Illusionen zweidimensional” und zur hier oben erwähnten Naivität: Ich meine, diese Naivität brauchen wir alle. Du schreibst, Röhler stößt bei Dir auf Skepsis, es ginge hier um
Begriffsumkehrung usw. Aber zu fragen ist doch: Müssen wir nicht so realistisch wie möglich sein, so nah wie möglich an der Realität bleiben? Können wir es uns – aus ganz verschiedenen, am Ende jedoch einem
Grunde (“ganzheitlich”) – leisten, drei Mal um die Ecke zu denken (im Grundsätzlichen; taktisch kann man immer kleine Spiele betreiben), ohne daß die Seele Schaden nimmt? Auch wenn das Resultat
dieser naiven Herangehensweise, dieser Meditation (“Was ist wahr? Was ist eigentlich wirklich los?”, und nicht etwa – wie die Antifaschos sagen –: “Was geht ab?” Was ab geht,
interessiert doch nur sekundär; wichtiger ist es doch, an die Basis der Dinge zu kommen) im Widerspruch zur hergebrachten Politologie steht. Dann muß eben notfalls der ganze politologische Scheiß über Bord gehen.
(Was ist NS? Was ist Faschismus? Kann man es gleichsetzen und und und...) Ich will’s mal auf den Punkt bringen: Erstens: Es gibt unmenschliche politische Systeme. Röhler und ich schlagen vor, das als Faschismus zu bezeichnen. Und da ist ja auch schon unser eigener Schwachpunkt: War denn der historische Faschismus wirklich unbedingt unmenschlicher als die Demokratie westlicher Prägung, die welt- und geschichtsweit ihr Unwesen treibt und getrieben hat und Millionen Opfer zu verantworten hat? D.h. welcher Begriff soll für “unmenschliches politisches System stehen”, aus welcher historischen Konkretisierung soll er entlehnt werden? Röhlers und meine Meinung ist eben, daß hier tatsächlich der Begriff Faschismus der geeignete ist. Wobei der Faschismus bei uns gar nicht mal unbedingt ganz schlecht wegkommt (und moralisch ist es sowieso nicht gemeint), denn er war notwendig. Die Demokröten haben den Karren in den Dreck gefahren; es war bei dem Versuch, ihn wieder rauszuholen, Härte notwendig. Aber geholfen hat’s am Ende eben doch nicht: Der Faschismus (und der NS war insofern eben doch faschistisch; anders sieht es dann schon beim Kommunismus aus, aber das ist jetzt nicht das Thema) ist gescheitert, und Kapitalismus/Demokratie hat doch gesiegt, und das ganze Theater geht fröhlich weiter als hätte es nicht dieses antikapitalistische Zwischenspiel gegeben. Und einer der Gründe, warum Kap./Dem. gesiegt haben, ist: Sie waren eben doch unterm Strich menschlicher als die Gegenseite; sie waren – bei allem Negativen – eben doch der menschlichen Natur näher und damit auch effektiver. Der NS hat ja durchaus recht, wenn er in manchen Punkten von sich sagt, er sei realistischer, naturgemäßer. Aber Pluralismus z.B. ist ein riesiges Plus für die Demokratie, weil den Menschen entsprechender. Da können sich mehr Energien freisetzen. Also die Härte, welche notwendig war, um den Karren rauszuziehen, die hat am Ende dafür gesorgt, daß es nicht besser geworden ist bzw. daß man gescheitert ist. Man muß zwar verändern und auch meinetwegen punktuell drakonische Maßnamen einleiten, aber man muß auch weich bleiben (“Gefühl und Härte”). Zweitens: Du bist kein Faschist. Du widersprichst zwar nur nicht, wenn man Dich als NSler bezeichnet (was ich sehr gut nachvollziehen kann; würde ich auch nicht bzw. nur mit einer Kommentierung, die die Bezeichner als Verklemmte outen würde), aber Du bist es wirklich nicht. Das Problem ist nur, daß es noch zu viele Faschisten in unseren Reihen gibt. Der Faschismus muß gewürdigt werden, und insofern kommt für mich eine Verurteilung der Faschisten nicht in Frage (erst recht nicht von einer Warte, die genug Dreck am Stecken hat und den Faschismus erst entstehen lassen hat); es müssen die richtigen Dinge des Faschismus übernommen werden, aber insgesamt darf er nicht politisches System werden. Ich plädiere für ein Zusammengehen von Faschisten und Demokraten als den im Moment beherrschenden politischen Systemen. Ach Scheiß doch! Ich würde mich – kurz gesagt – nur freuen, wenn der Charakter, den Du repräsentierst, etwas mehr durchschlagen würde. Wahrscheinlich sagst Du Dir: Ich muß hart bleiben, ich muß diese Energie behalten, ich muß jetzt faschistisch fahren, mit den Faschisten gehen, um zum Ziel (Freiheit und Selbstbestimmung des deutschen Volkes) zu kommen. Die Frage ist bloß, was dann passiert, wenn Du am Ziel angekommen bist. Ich bin der Meinung, das Ziel ist immer auch schon in der Gegenwart. Wir müssen heute schon die Zukunft leben, um’s mal blöde auszudrücken.
Und insofern “ändere ich eben schon und doch etwas an den Grundlagen der ‚antifaschistischen‘ Politik, indem ich für mich selbst ‚Antifaschismus‘ reklamiere”, wie Du es gegensätzlich
schreibst. Denn auch der Antifaschist, so wie der Faschist, will gewürdigt sein, auch wenn er destruktive Seiten hat. Es gibt Gründe, antifaschistisch zu sein; und du entziehst bei der Gelegenheit den Pseudo- oder
(um es für sie mal günstig zu formulieren:) Viertelantifaschisten die Energie für ihre zerstörerischen Leistungen. Aber man muß sie würdigen. Sie haben Grund, gegen den Faschismus zu sein. Aber ich tue mehr gegen
den Faschismus! Und: Sie sind selbst Faschisten! Und hier widerspreche ich Dir eben: Du schreibst: “Die Grundlage der ‚Antifa-Politik‘ ist höchst einfach: Sie richtet sich gegen Herrschaftsformen
schlechthin, ist mithin im (chaotischen) Sinne anarchistisch.” Sie ist nicht nur “gegen Herrschaftsformen schlechthin” – sie ist selbst Herrschaftsform!, und zwar eine der übelsten, die es
überhaupt gibt, nämlich Herrschaft durch Terror, durch nackte Gewalt! Da ist doch der demokratische Rechtsstaat und auch der meinetwegen faschistische Ständestaat ein Segen dagegen! Also so was mit Anarchie in
Verbindung zu bringen, ist völlig abwegig. Es ist eben wichtig, Chaos und Anarchie auseinanderzuhalten (was Du eben mit Deiner Qualifikation “im chaotischen Sinne” nicht genügend tust). Anarchie hat
schlichtweg nichts mit Chaos zu tun! Diese Pseudoanarchisten sind die übelsten Herrscher, nämlich solche der Willkür, der Gewalt. Das ist die reinste Antianarchie!! Und schlimmer als Faschismus, denn dort gab es
wenigstens noch Recht, sprich Regeln. Es ist ja immer so ein Mißverständnis, daß man meint, wir Anarchisten seien grundsätzlich gegen Regeln. Überhaupt nicht! Es ist doch besser, wenn etwas geregelt wird, als daß es
im Chaos untergeht. Regeln stehen der Anarchie doch eindeutig näher als Chaos. Im Moment wird ja auch Noam Chomsky von utopischen Anarchisten dafür angegriffen, daß er sich mit dem Staat einläßt, daß er für eine
bessere Reglementierung des Welthandels ist usw. Ich habe aber mit Utopien nichts am Hut.
Ob es lohnt, sich der Antifaschos anzunehmen, fragst Du. Du magst recht haben: Sie sind viel zu verstockt, viel zu verhärtet und auch viel zu unwichtig, zu schwach aber noch nicht schwach genug, um ihre Schwäche zu
erkennen. Aber ich frage mich ganz einfach nicht, ob es sich lohnt. Ich möchte es einfach tun, ich tu es einfach, irgendwie scheine ich einen Sinn drin zu sehen. Denk dran, was Richard Wagner sagte: Deutsch sein
heißt, die Dinge um ihrer selbst willen zu tun. Ich weiß nicht, ob ich “Deutscher” bin, aber diese Definition, die trifft 100%ig auf mich zu. Eigentlich meint er mit “deutsch”
“Mensch” oder noch besser: “Natur”. Es ist natürlich eine Ehre für die Deutschen, wenn sie so beschrieben werden. Aber es stimmt leider nicht; es ist ein Wunschtraum Wagners. Der Spruch gilt
nur für sehr wenige Deutsche, nämlich die, die wieder/noch Natur sind/werden. Andere Völker, namentlich die primitiven, sind nach dieser Definition viel “deutscher” als die Deutschen. Aber ich sehe
darin, daß Wagner das für deutsch hält, einen großartigen Lichtblick. Wenn auch nur wenige Deutsche in diesem Sinne “deutsch” sind, dann wär das schon eine großartige Sache, und dann wäre ich in der Tat
auch “stolz darauf, Deutscher zu sein”. In diesem Ausspruch Wagners ist alles enthalten. Darüber könnte ich stundenlang meditieren. Wenn wir etwas deutscher wären, wenn die Menschheit in diesem Sinne
deutscher wäre, wären wir alle erlöst. Insofern träfe zu: Am deutschen Wesen... Das Ding ist bloß: Die Deutschen sind nicht deutsch, sie sind es viel weniger als andere, d.h. die primitiven Völker. Diese könnten uns
bei der Verdeutschung eine Menge beibringen.
Mit kameradschaftlichen Grüßen:
Hamburg, den 17. März 1999
Lieber Peter,
vielen Dank für Denen Brief vom 8. März und die Posttkarte, die heute kam. –Du hast recht, es müßte in der ,,Strafbewehrten Unterlassungserklärung” eigentlich heißen, ,,aus Schreiben
von Herrn Töpfer und anderen...” und nicht ,,...Herrn Röhler und anderen...” Aber formal tut es den gleichen Zweck, unabhängig von der Frage, ob es sachlich richtig erscheint (weil ja aus einem Brief von
mir an Dich zitiert worden ist und nicht von mir an Andreas Röhler), also werde ich es nicht korrigieren.
Die Verwundeten der psychologischen Kriegsführung: Diese diversen Formen seelischer Verwundung finden sich bei allen möglichen Leuten, und zwar keineswegs nur aufgrund der psychologischen
Kriegsführung. Eines meiner schlauen Lehrbücher konstatiert, ,,nach repräsentativen Erhebungen bedarf in ländlichen bayerischen Gebieten 40,1 Prozent der Bevölkerung der psychiatrischen Versorgung”. Und das
wird nicht nur auf dem Lande in Bayern so sein. – Eine gute Freundin von mir, Diplom-Psychologin, erwähnte mir gegenüber mal, daß nach gleichfalls repräsentativen Untersuchungen jeder zehnte Erwachsene in New
York am ,,Borderline-Syndrom” leiden soll, was ja nun auch nicht gerade die harmloseste Form der seelischen Erkrankung ist. Wir gehen einfach mal davon aus, daß der Proporz in Städten wie Hamburg, Berlin,
Frankfurt und so weiter nicht ungeheuer viel besser ist. (Höchstens, daß in Amerika mehr Leute als seelisch angeschlagen bis erkrankt diagnostiziert sind, weil die Amis häufiger zum Psychiater gehen als unsere
Landsleute.)
Der Mensch ist ein seelisch fragiles Wesen. Das steht soweit einmal fest. Und es ist meistensteils relativ unabhängig von den konkreten politischen oder wirtschaftlichen Systemen, in denen bzw.
unter denen er lebt.
Nächste Demo (in Deiner Nähe) wäre am 27. März in Anklam, siehe Einladung. Sonst sehen wir uns ja möglicherweise in Magdeburg am 17.April.
Nach der Gefangennahme Öcalans haben wir in Erwägung gezogen, eine pro-kurdische Demonstration zu machen. Im Prinzip ist die PKK nicht kommunistisch, obwohl sie sich noch immer so nennt.
Tatsächlich ist sie natürlich weit mehr eine nationalistische Befreiungsbewegung.
Ein nicht unwichtiges Hindernis für eine solche Kundgebung, die sinnvollerweise natürlich auch mit Kurden bzw. kurdischen Kräften zusammen stattfinden sollte, ist folgender Umstand: Es gibt seit
vielen Jahren ein Bündnis zwischen der extremen Linken und kurdischen Gruppen, namentlich auch der PKK (bzw. seit dem Verbot ihrer diversen Tarn- oder Vorfeldorganisationen). Insofern ist es für mich überhaupt nicht
verwunderlich, daß es in Berlin eine linksautonome prokurdische Demo gegeben hat; verwunderlich wäre für mich gewesen, wenn es keine gegeben hätte...
Aus der Perspektive der Kurden wird zu überlegen sein, ob sie bereit sind, ihre bisherigen (und politisch noch immer relativ starken) Bündnispartner gewissermaßen vor den Kopf zu stoßen, um sich
auf ein neues Bündnis einzulassen. Denn auch wenn die Kurden sich nur mäßig für deutsche Innenpolitik interessieren, daß die extreme Linke auf uns mit allergisch-neurotischen Symptomen reagiert, wissen die
sicherlich auch.
Ich persönlich habe die Absicht, in diese Richtung einmal vorzufühlen. Das kann aus verschiedenen Gründen allerdings einige Zeit dauern.
Urkommunismus: Meinst Du denn, den hat es gegeben?! – Ich glaube, Karl Marx hat da idealisiert, aus einer Zeit heraus, die noch nicht so von Darwins Lehren geprägt war, in einer Zeit, wo
man nach dem ,,edlen Wilden” suchte. – Natürlich gab es bei den Frühmenschen Hordensolidarität, über das hinaus, was im Tierreich oder im Zwischenstadium von Menschenaffe zu Affenmensch stattgefunden hat
und stattfindet. Aber wirkliche ,,Likedeelerei” (Gleichteilerei) wird es nicht gegeben haben. – Du sprichst von Hierarchie statt Herrschaft. Aber eine Hierarchie ist gleichzeitig auch die konkrete
Ausübung von Herrschaft. Sonst bliebe sie rein hypothetisch; und warum sollte es in der frühmenschlichen Horde etwas aus rein hypothetischen Gründen gegeben haben? – Wir können die sprachliche Differenzierung
vornehmen, wenn wir sagen, daß Herrschaft die formalisierte Form der Hierarchie ist, die übertragbare, delegierbare, von der einzelnen Person und ihrem Kontext in der ,,Hackordnung” der Horde unabhängig. Aber
(in diesem Sinne formalisierte) Herrschaft hat sich nun mal aus ihrem ,,Vorläufer” Hierarchie herausgebildet.
Wir sollten beim historischen Faschismus einfach mal der Wortwurzeln nach ein wenig trennen. Interessant finde ich den Umstand, daß der Begriff ,,Faschist” in Italien nicht zu den gleichen
extremen Reflexen führt wie in Deutschland. Daß mit Fini sogar jemand, der sich als ,,Postfaschist” bezeichnet, ein paar Monate lang in der Regierung saß und das Amt des Außenministers bekleidet hat. Was zur
Zeit und sicherlich noch auf eine Reihe von Jahren hin in Deutschland schwerlich vorstellbar wäre...
Der italienische Faschismus unterschied sich von dem, was in Deutschland später so genannt wurde, nicht gar so sehr. Man kann ihn mit einem gewissen Recht aus Vorläufer betrachten. Der deutsche
Nationalsozialismus war jedoch von seinen sozialistischen Intentionen her (ursprünglich) weiter ,,links”, hatte den größeren Abstand zur bürgerlichen Klassen- oder Ständegesellschaft. (Wurde dann allerdings
nicht in dieser Form realisiert, weil sich bekanntlich der ,,rechte” Flügel durchgesetzt und den ,,linken” Flügel ausgeschaltet bzw. liquidiert hat.) – Der wesentliche Unterschied in der
Betrachtung durch Außenstehende ist die rassistische bzw. rassische Frage. Nicht, daß Italien unter Mussolini nicht auch ,,rassistisch” war. (Und kolonialistisch, wenn wir an Abessinien denken...) – Aber
in unserem Kulturkreis wird Rassismus mehr oder minder mit Antisemitismus gleichgesetzt bzw. der Rassismus, der den Antisemitismus mit einschließt, als eine Art von Ultra-Rassismus angesehen; als noch verwerflicher
als der ,,eigentliche” Rassismus, wie wir ihm in den USA sehr häufig begegnen. – Und dann spielen natürlich die Extreme der Äußerungen eine Rolle. Italien unter Mussolini nahm bewußt Bezug auf das
Römische Reich. Das Römische Reich war multikulturell und nicht rassisch-exklusiv: Römischer Bürger konnte jeder werden, der gewisse gesellschaftliche Voraussetzungen erfüllte, unabhängig von der Frage seiner
genetischen Herkunft. Im Dritten Reich war es exakt anders: Jeder, der eine gewisse genetische Herkunft hatte, wurde automatisch Reichsbürger; exklusiv; wer fremdblütig war, blieb außen vor.
Von daher schon ist die Gleichsetzung Nationalsozialismus-Faschismus irrig. Aus der radikal linken ,,antifaschistischen” Perspektive sogar verharmlosend; aber das Wort hat sich einfach
eingebürgert.
Mich stört ein wenig, etwas nur deshalb (fälschlich) sprachlich zu übernehmen, weil es sich nun mal eingebürgert hat. Da könnte ich dann ja auch auf den Gedanken kommen, dem anglo-amerikanischen
Vorbild zu folgen und uns Deutsche als Hunnen zu bezeichnen, obwohl die Hunnen und die Germanen etwa soviel verbindet wie die Araber und die Japaner...
Ich habe für den zugegebenermaßen umständlich klingenden Begriff ,,unmenschliches politisches System” keine schlagwortartige Alternative; deshalb soll es meiner Meinung nach einfach weiter
als ,,unmenschliches politisches System” bezeichnet werden.
Was die Frage betrifft, ob ich Nationalsozialist bin oder nicht, so würde eine zutreffende Antwort zunächst einmal einen Klärungsprozeß bedingen, was Nationalsozialismus ist respektive ob es
verschiedene Varianten davon gibt. Wobei lustigerweise sowohl die dogmatischen Nationalsozialisten als auch ihre entschiedensten Gegner beide der Meinung sind, es gäbe nun mal nur einen... Was eine ungeheuerliche
Verkürzung ist. Die insofern nicht weiter wundert, da von der anderen Seite her dann auch der Begriff der Demokratie ungeheuer verkürzt wird und auf ,,eine” reduziert... – Eine interessante Frage ist, ob
es lohnt, Schlagworte mit Leben zu erfüllen, womit sie – wenn dies durchsetzbar wäre! – ihren Charakter als Schlagworte, sogar als Totschlag-Worte, verlieren würden. Dazu aber bedürfte es einer gewissen
kulturellen Hegemonie; mindestens dürfte es keine gegnerische kulturelle Hegemonie geben. Mit dieser aber haben wir noch etliche Zeit zu leben.
Die Anarchos haben das gleiche Problem, das Du skizzierst: Wenn sie denn mal ,,an die Macht kommen würden”, so unwahrscheinlich das auch sein mag, dann müßten sie Herrschaft ausüben. Geht
nun mal nicht anders. – Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum diese Leute fast immer unter dreißig sind und spätestens so mit dreißig entweder im Privatleben landen oder ihre politischen Ansichten
beinahe ,,runderneuert” haben, während ihnen (inzwischen immer weniger) jüngere nachwachsen, bis diese selbst wieder das ,,kritische Alter” erreicht haben und so weiter und so fort... War’s nicht
Roosevelt, der sagte: ,,Ein Mann, der mit 25 nicht Kommunist ist, hat kein Herz, und ein Mann, der mit 50 nicht Reaktionär ist, hat kein Hirn!”
Wie groß die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft, sehen wir an den Vertretern der ,,Grünen”, die jetzt ihre Hintern auf Ministersesseln plattsitzen. Ja, wir sehen es auch schon
an dem Ex-Juso-Vorsitzenden Gerhard Schröder, der vor 20 Jahren noch persönlich gegen Kernkraftwerke demonstrierte, fast Hand in Hand mit militanten KKW-Gegnern, und der dann gar nicht einmal so viel später seinen
,,Küsten-Kanther” Glogowski als Innenminister Atommülltransporte polizeilich durchsetzen ließ und der jetzt sogar den Einstieg in den Ausstieg ausbremst, vom echten Ausstieg mal ganz dezent zu schweigen...
– Tempora mutantur, et nos in ille mutamus, die Zeiten wandeln sich, und wir uns mit (in) ihnen, könnte Schröder sagen, wenn er Lateiner wäre. Ich fürchte aber, er ist kein Humanist, weder im bildungsmäßigen
Sinne noch geschweige denn im philosophischen...
Mit besten Grüßen
23.3.99
Lieber Christian,
dank für deinen brief vom 17.3.
Daß die wesentlichen und tiefen verwundungen nichts oder nur wenig mit der psychologischen kriegsführung zu tun haben, sondern hausgemacht sind, d.h. in lieblosen familien ihre ursachen haben, habe ich ja selbst in
meinem letzten brief geschrieben. Aber trotzdem ist die psychologische kriegsführung und ihre auswirkung, insbesondere da sie nach dem krieg weiterging, durchaus nicht zu unterschätzen. Gerade diese tage gibt es
eine regelrechte kampagne zum thema “rechtsradikalismus und pädagogik in der ddr”, wo die armen zonis sich überhaupt nicht wehren können, weil sie in irgendwelchen – meist
“antifaschistischen” – fallen drin sitzen.
Wenn man sensibel ist, d.h. wenn man die “fragilität” hat, sich ihrer bewußt ist, dann erlebt man nicht nur 40,1 % der leute als irre, sondern alle. Wir sind ausnahmslos alle verletzt, verwundet, mehr
oder weniger gründlich zerstört. Es soll wohl ausnahmen geben. Ich habe noch keine kennengelernt.
Die nationale anarchie ist dabei jedoch nur bedingt teil einer revolution, die sich gern kulturrevolution nennt. Auf jeden fall ist sie subpolitisch. Sie geht tief unters politische drunter. Aber die na ist der
meinung, daß die kultur selbst das problem ist. Nicht die kultur (zivilisation) muß revolutioniert werden – sie muß selbst als teil des problems betrachtet und in ihren lebensfeindlichen seiten abgeschafft
werden. Natürlich gibt es eine organische, natürliche dialektik natur/kultur; und insofern haben Tiere ganz gewiß ihre Kultur. Aber was landläufig unter kultur verstanden wird, ist doch weitgehend eine antinatur.
Der natur muß wieder “ihr recht” gegeben werden. Insofern spielen psychotherapeutische bzw. prophylaktische übelegungen und projekte (humanistische, emanzipatorische, postfreudianische psychologie) eine
zentrale rolle. Die na steht hier nicht allein. Das sowieso nicht, aber im nationalen lager stand sie bisher allein. Heute las ich in der jungle world einen diesbezüglich interessanten artikel.
17. März 1999 Jungle World
Dem Volke dienen
Der Shanghaier Kreis kämpft für eine Kulturrevolution, die in Berlin beginnen soll
Das Flugblatt schließt: "Solidarität der Menschen und Völker für eine freie Welt". Nur wenige Zeilen zuvor wird "vielen Menschen" die Erfüllung ihrer "Sehnsüchte"
versprochen - wenn eine Kulturrevolution ausgelöst werden könnte. Aber nicht irgendeine und auch nicht gestartet von irgendwem: Wer hier so tönt, ist nicht eine Splittergruppe der chinesischen KP, sondern nennt sich
"Shanghaier Kreis" und will eine "sozialistisch-patriotische Bewegung" initiieren.
Auch Ort und Datum für den Beginn der Revolution stehen schon fest: Am 18. März soll in Berlin demonstriert werden. Anlaß: eine Aktion zur symbolischen Umbenennung des Platzes vor dem Brandenburger
Tor in "Platz des 18. März 1848". Denn die "1848er Revolution" ist für die Shanghaier Vorbild einer "sozialistisch-patriotischen Bewegung". Ebenso wie Rudi Dutschke. Die Aktion vor dem
Brandenburger Tor soll ein öffentlichkeitswirksamer Schulterschluß von ehemals linken und neurechten Gruppen werden.
Als Teilnehmer haben sich bislang die Unabhängigen Ökologen, der Bund freier Bürger und die Berliner Sektion der "Deutschlandbewegung" angekündigt. Auch mit Horst Mahler wird zu rechnen
sein. Denn der bis dato recht unbekannte Shanghaier Kreis, ein Hamburger Diskussions- und Aktionszirkel, hatte bereits Ende Februar versucht, Mahler bei seinen medialen Inszenierungen zu unterstützen. Doch zu einer
angekündigten Montags-Demo des Ex-SDSlers und seiner nationalen Sammlungsbewegung "Unser Land" in Hamburg ist es bis heute nicht gekommen.
Der Shanghaier Kreis stellt eine gemeinsame Plattform für Ex-Kommunisten, Republikaner und andere Rechte dar und trat erstmals 1995 als "maoistische Gruppe" in Erscheinung: als "ein
Kreis, der aus der kommunistischen, anarchistischen, heidnischen Richtung kommt, gleichwohl dem Antifaschismus verschworen". Die Gruppe bezog sich auf Mao Tsetung, das "Volk" und die
"Massen".
Dabei spielte von Beginn an auch der Versuch einer positiven Bezugnahme auf eine vermeintlich deutsche Identität eine Rolle. So heißt es in dem ersten Text des Kreises: "Auf die Kraft der Massen
vertrauen! (...) Solidarisch mit den unterdrückten und armen Völkern! - Wenn Deutschland so wäre, würden die Völker uns achten, wie wir Maoisten die Völker lieben und achten".
In einem späteren Text wurde schon offener formuliert: "Wir bekennen uns zu den fortschrittlichen Traditionen unseres Volkes und verdammen nicht insgesamt das deutsche Volk und seine
Geschichte." Ein Selbst-Interview mit dem Initiator der Gruppe, dem ehemaligen DKP-Mitglied Dieter Schütt, bringt die Position des Shanghaier Kreises auf den Punkt: "Wir haben prinzipiell zum Volk eine
positive Meinung. Wenn wir Volk sagen, dann impliziert das auch Nation."
Wie gut der Shanghaier Kreis die Sprache des Volkes versteht und sich mit dessen Problemen auskennt, wird auch anhand einer Einschätzung von Heinz Bömecke, Mitinitiator der Gruppe und Vorsitzender des
Kreisverbandes Hamburg Nord der Republikaner, deutlich. Den rassistischen Mord an einem algerischen Flüchtling in Guben mochte er nur als "pubertierende Jungsrangeleien um die Gunst der Mädchen"
interpretieren.
Neben der Funktion als Diskussionskreis und der öffentlichen Anbiederei durch Flugblätter (z.B. auf PKK-Soli-Demonstrationen) hat der Shanghaier Kreis, dessen Briefkopf früher noch ein fünfzackiger
Stern anstelle des heutigen Yin-und-Yang-Zeichens zierte, noch eine weitere Bestimmung. In einem Positionspapier hieß es, er habe sich konstituiert, "weil wir uns in einer Gruppe auch
'selbsttherapeutisch' verwirklichen können. In einer Gruppe sind wir aktiver und fühlen uns auch psychisch besser."
In der Tat scheinen bei einzelnen Mitgliedern der Gruppe therapeutische Maßnahmen angebracht zu sein. Dieter Schütt ist seit gut 30 Jahren in Hamburg politisch aktiv und gibt mehr oder weniger
regelmäßig Flugblätter mit dem Namen Der Funke heraus. Bis 1982 trug dieses Periodikum noch den Untertitel "Zeitung der marxistisch-leninistischen Initiative". Danach lautete er "undogmatisch,
kulturrevolutionär" oder, in der aktuellen Variante, "querdenkerisch, tabubrechend, freigeistig, intuitiv und vorausschauend, radikalökologisch, undogmatisch, kulturrevolutionär".
Ging es Anfang der siebziger Jahre im Funken um politische Zensur und bewaffneten Kampf, erfolgte danach ein Schwenk ins Esoterische. Seither gehören Fragen zu unsichtbarer Materie, verschiedenen
Inkarnationsstufen und Urenergiefunken zum Repertoire. Seit neuestem hat der Funke auch das Thema "Linke und Nation" entdeckt. Und sich gleichzeitig auf die Suche nach einem vermeintlich spezifischen
"deutschen Nationalcharakter" begeben: "Wir Deutschen, wir linken Deutschen im besonderen, haben aufzuholen, herauszufinden aus Schmach und Schande (...). Was ist das deutsche Volk? Ein aus der
Romantik kommendes, sentimentales Volk. Ein Volk von Naivität und Dümmlichkeit, ein Volk von Unterwürfigkeit und Resignation."
Linke haben nach der vom Shanghaier Kreis angestrebten Kulturrevolution allerdings nichts zu befürchten. In einem Artikel über die Hamburger Hafenstraße kommt Allroundaktivist Schütt zu dem Schluß,
daß die BewohnerInnen der Hafenstraße "von edelstem Blut" seien.
Axel Auster
Die Shanghaier samt Schütt, die du ja wohl auch kennen wirst, habe ich letzte woche hier in berlin kennengelernt: micha koth hatte ein treffen organisiert mit verschiedenen linkspatriotischen, dutschkistischen
kräften und dem npd-vorstand.
Zurück zum thema: Ich selbst befinde mich logischerweise (“einheit von theorie und praxis”...) seit jahren in sog. psychotherapie (in form der radikalsten spielart der sog. humanistischen schulen: primär-
bzw. “urschrei”-therapie) und arbeite an einem konzept von volkspsychotherapie (die so nicht mehr heißen wird, denn “psychotherapie” ist kapitalismus; dieser aber steht jeder heilung im
wege).
“... Mensch fragiles wesen (...) unabhängig von den konkreten politischen oder wirtschaftlichen systemen”, schreibst du. Das klingt mir wieder zu pessimistisch. Angestrebt werden sollte durchaus ein
“system”, wo es menschlicher zugeht, d.h. wo der widerspruch mensch (mit seinen bedürfnissen) – gesellschaft (grob gesagt) nicht so sehr auseinanderklafft, wie es heute der fall ist. Dabei ist es
klar, daß keine systeme entworfen und realisiert werden sollten, sondern die systeme müssen von den menschen her entstehen. Die veränderung muß vom menschen, d.h. vom einzelnen ausgehen. Ein “system” muß
her, wo das “fragile wesen mensch” nicht verletzt wird, wo fragilität ein gut, ein ausdruck von schönheit ist, wo die fragilität (hier insbesondere der kinder) beschützt wird.
Das ist nun nicht unmittelbar politisch, aber ich denke, du hast ein ohr für so etwas.
Weiter in deinem brief:
Ja, nach magdeburg komme ich mit einer ganzen berliner abordnung; wir werden uns dort also begrüßen können.
A propos demo: schade, daß aus eurer prokurdischen demo (noch) nichts geworden ist. Es ist richtig, was du über die bündnis-tradition schreibst. Aber was nicht ist, kann ja werden. Und die natur spricht dafür (daß
die kurden eher mit deutschen pronationalen kräften zusammengehören). “Nicht verwunderlich, daß es in berlin eine linksautonome prokurdische demo gegeben hat”, schreibst du. Ich glaube, du unterschätzt
den einfluß der zionisten und antideutschen auf die linksautonomen. Gerade das thema kurdistan war die letzten jahre über für die zionisten und antinationalen und ihrer propaganda ein prüfstein für die gefolgschaft
der deutschen linksautonomen. Das hätte nach vorstellung der andideutschen so nicht passieren dürfen. Insofern schon (zumindest etwas) verwunderlich.
Das nächste wunder wird kommen, wenn – fällt die erste bombe auf serbien – es zur gemeinsamen demo von bislang in der falle der antideutschen sitzenden linken und dutschkistischen linken kommen wird.
Besonders pikant aber wird es, wenn auf einer solchen demo auch antivölkische zugange sein werden, die ja ebenfalls gegen den nato-krieg bzw. auf serbischer seite sind!... Na, die nächsten tage werden also spannend
werden!
Bitte halte mich auf dem laufenden, was deine bemühungen hinsichtlich eines deutsch-kurdischen solidaritätsbündnisses anbelangen. Wenn du in deinen kreisen auf ablehnung stoßen solltest (wahrscheinlich), kann man ja
mit dutschkisten ins gespräch kommen. Ich habe mit schütt darüber gesprochen. Er war noch etwas skeptisch, aber die skepsis dürfte ziemlich schnell auszuräumen sein.
Urkommunismus, nationale anarchie usw. haben nichts mit der vorstellung von sog. edlen wilden zu tun. Bitte halte mich nicht immer für einen realitätsfernen träumer. Die “anarchie”, d.h. ein liebevolles
zusammenleben, steckt in uns allen drin bzw. wir sind alle mit dieser sehnsucht erfüllt (ich habe es zumindest bei vielen beobachten können). Und alles basiert auf anarchie, auf spontanem, organischem zusammenleben.
Das sog. recht und die gesetze, wie überhaupt der staat sind doch nur krücken, die doch eher ihren sinn & zweck in der sanktion bzw. der androhung finden. Aber für ein friedliches zusammenleben sind sie
mitnichten unbedingt notwendig. Es gibt eine ordnung, die ist viel stabiler, als es je ein staat schaffen könnte. Und die staatliche ordnung ist undenkbar ohne diese tiefere ordnung; sie beruht auf ihr. Aber um
keine mißverständnisse aufkommen zu lassen, wiederhole ich mich: besser staat als chaos. Das ist klar.
Noch mal zu herrschaft/hierarchie (weil es in deinem brief jetzt noch weiter dazu geht): Ich widerspreche dir. Herrschaft ist mit gewalt und vor allem mit entfremdung des beherrschten verbunden (wahrscheinlich auch
des herrschers). Dort wo es hierarchien gibt (also überall, aber eben nicht permanent), dort muß es überhaupt nicht zu entfremdungen, zu selbst-verlust, -einbuße etc. kommen. Es ist eher die führung durch kompetenz
in einer organischen hierarchie. Wenn ich z.b. nicht wüßte, daß ein christian worch relativ maßgebend im nationalen lager ist, ich würde wahrscheinlich dieses nationale lager entweder schon verlassen haben oder
hätte viel mehr anstrengungen unternommen, in der hierarchie weiter nach oben zu kommen, einfluß auszuüben usw. Hierarchie ist also überhaupt nicht hypothetisch, wenn sie nicht “konkret als herrschaft
ausgeübt” wird. Hierarchie ist auch ohne herrschaft da. “Herrschaft formalisierte form der hierarchie”, schreibst du. Weißt du, das erinnert mich an unsere diskussion anarchie – anarchismus.
So wie es in der realität formalisiert wird, so muß es auch in der theorie formalisiert werden. Für mich gibt es aber überhaupt keine formalisierungen. Diese sind widernatürlicher überbau, staat etc. Das ist auch
der bereich, wo die ganzen -ismen entstehen. Das ist die ganze sog. kultur, die im prinzip nur ausdruck und schutz von/vor unserer krankheit ist. Aber an deinem nächsten satz sehe ich, daß wir doch ziemlich nahe
sind: “Aber (in diesem Sinne formalisierte) Herrschaft hat sich nun mal aus ihrem ‚Vorläufer‘ Hierarchie herausgebildet.” Damit bin ich zufrieden.
Ich habe natürlich mit diesen meinen gedanken selbst bei anarchisten meine schwierigkeiten. Gestern war hier wieder mal die montags-demo (organsiert von horst mahlers umfeld). Und seltsam: Wenn man sein kleines fähnchen hoch hält, dann kommen plötzlich die leute auf einen zu: Es stellte sich heraus, daß von den ca. 50 leuten mindestens zwei eingefleischte anarchisten dabei waren, denn die haben mich angesprochen, ganz begeistert. Die initiative “nationale anarchie” hätte genau so gut von ihnen ausgehen können, wie sich herausstellte. Aber das waren eben anarchisten, im gegensatz zu mir, der ich eher anarch bin. Die haben mich gleich mit allen möglichen theorien eingedeckt und namen von allen möglichen wichtigen anarchistischen denkern und und und. Dann muß ich immer abwinken, und die sind dann meist enttäuscht und halten mich vielleicht für eine provokateur oder was weiß ich, weil ich diese ganzen scheißtheorien nicht kenne. Die theorien selbst sind das übel, zumindest sind sie etwas, womit ich nichts zu tun haben will. Aber mal sehen, vielleicht können wir doch was miteinander anfangen und demnächst eine veritablen anarcho-block auf nationalen demos bilden. Wär schon nicht schlecht.
“Faschismus”: Ja, du hast recht, wenn du schreibst, daß es dich stört, etwas nur zu übernehmen, weil es sich nun mal eingebürgert hat. Aber übernehmen wir nicht andauern so etwas? Das vollzieht sich doch
mehr oder unbewußt. So geht es doch mit allen möglichen begriffen. Warum sollen wir hier nicht auch einmal schwach sein dürfen? Ich muß jedenfalls zugeben, daß ich hier schwach bin und den Begriff Faschist so
verwende, wie er bei den meisten Menschen verstanden wird: als ausdruck von gewaltherrschaft. An diesem punkt wird es emotional. Ich gestehe, daß ich da schwach werde. Auch du hast keine schlagwortartige alternative
und schlägst vor, bei “unmenschliches politisches system” zu bleiben. Die menschen – ob nun aus schwäche oder sonstwie – scheinen aber schlagwörter zu brauchen. Ich auch mensch...
Wenn ich typen sehe, wie sie auf andere einschlagen, wie es am montag auf der demo welche mit horst mahler getan haben, dann reagiere ich – leider – noch ziemlich emotional und fange an zu brüllen,
“ihr fascho-schweine!” Hinterher fällt mir dann meist was besseres ein, was ich hätte tun sollen. Aber man lernt es langsam. Das nächste mal reagiere ich anders. Es war nämlich eine ganz eigenartige
situation und ein eigenartiges gefühl schwebte in diesem moment in der luft. Die typen hauten nämlich gar nicht ab, blieben – zwar noch in boxer-stellung – stehen, ließen sich von mahler ansprechen. Der
tat es richtig in diesem moment. Ich hab zwar nicht gehört, was er ihnen gesagt hat, aber es sah gut aus. Sie schienen irgendwie beeindruckt zu sein. Scheiße, ich ärgere mich, daß ich nicht so reagiert habe, wie ich es heute weiß, daß ich hätte reagieren müssen! Naja, next time...
Ich meinerseits weiß nun einigermaßen etwas über dich, daß mir es eigentlich gleich ist, ob man dich, du dich, ich dich etc. als nationalsozialisten bezeichne/s/t. Ich schätze gerade das unideologische an dir, wie
ich dir schon oft gesagt habe. “Kulturelle hegemonie”: ich bedauere die leute, die von anderen die erlaubnis bekommen müssen, etwas so oder so sehen, benennen zu dürfen. Sie tun mir leid. Aber
gleichzeitig hasse ich diese schafe, weil sie nicht nur sich selbst, sondern auch mir die freiheit nehmen. (Arme schafe (ich meine jetzte die richtigen) – dieser tiermißbrauch immer! – auch hier eine
völlig blödsinnige sprachliche einbürgerung.)
Entschuldige, aber anarchos können nicht “an die macht kommen”, können keine “herrschaft ausüben”. Wo das geschieht, geschehen soll, geschehen sein mag, da stimmt irgendwas nicht. Dann
waren/sind es keine anarchos. Das mag von mir kindisch sein jetzt, aber so seh ick et nu ma. Ich muß auch nicht ewig darauf rumreiten; es ist nur, weil wir nun einmal darüber diskutieren. Diese art
“anarchisten” sind mit sicherheit die schlimmsten und meine unbedingten gegner. Durch negieren der positiven seiten von zwangsordnung und damit einhergehender faktischer chaotisierung sind sie – zu
noch viel mehr zwangsordnung gezwungen. Aber es spricht für die anarchisten, daß dies in der geschichte noch nicht all zu oft vorgekommen ist.
Was du zu anarchismus und alter schreibst, läßt mich etwas ratlos. Ich bin nun schon 38 und immer noch (oder besser: wieder) anarchist. Also habe ich kein hirn. Hm... Mag sein. Hirn ist nicht so wichtig.
So, das wär’s wieder mal. Man sieht sich in magdeburg!
Heute hatte ich in meiner Taxe eine deutsche Familie, die ich als einigermaßen gesund bezeichnen würde. Das gibt es aber sehr, sehr selten.
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