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Justus Wertmüller (Jungle World): Autonom auf Kriegskurs. Gegen den Erzfeind übernehmen Autonome den antinationalen Job an der Heimatfront.

Am 1. Mai 1993 kam es in der Kreuzberger Oranienstraße zu einem bemerkenswerten Event. Die Polizei drang in den Demonstrationszug ein, kesselte einen Lautsprecherwagen ein und holte einen jungen türkischen Mann vom Wagendach, der dort bis zuletzt die Rote Fahne geschwenkt hatte. Reaktion rund 10 000 überwiegend Autonomer: Begeisterter Jubel. Ergebnis: Die Mehrheit der migrantischen Linken macht seither ihren eigenen 1. Mai und die autonome, antifaschistische etc. deutsche Linke marschiert allein.

24. April 1999, Kleistpark. Eine Antikriegsdemo der deutschen Autonomen setzt die Linie der Ausgrenzung fort. Drei Wochen zuvor, nach dem Ostermarsch, hatten deutsche Friedensbewegte sich von den Medien nachsagen lassen müssen, sie hielten es mit den Serben. Unter autonomer Leitung sollte sich das nicht wiederholen. In serbokroatischer und deutscher Sprache wurden die ca. dreihundert serbischen De-monstranten auf jugoslawische Kriegsverbrechen und den "Faschisten" Milosevic hingewiesen, dessen Bilder verschwinden müßten.

Deutsche Worte in serbische Ohren in der fünften Woche eines Krieges, der von Jugoslawien nicht mehr übrig lassen wird als einen Haufen desorientierter Bettler, ein zerstörtes Land und Massengräber. Während dieser Abkanzelung ziehen alle deutschen Demonstranten an den Serben vorbei und bilden einen cordon sanitaire zwischen sich und den Aussätzigen. Später wunderten sich die Veranstalter darüber, warum die Serben sich an ihrer Demo nicht beteiligen wollten, sondern spontan ihre eigene machten.

Autonome sind sich keiner Schuld bewußt. Im Gegenteil - stolz weisen sie einen Lernerfolg vor. Sie wollen erkannt haben, daß jeder Nationalismus zu bekämpfen sei. Diese Erkenntnis kam ihnen nicht etwa selbstkritisch, nachdem sie auf die gaunerhaften Sprüche eines mexikanischen Nationalisten hereingefallen waren, der sich Subcomandante nennt. Nein, das antinationale Bekenntnis mußte ausgerechnet am Anfang des deutschen Krieges gegen Serbien als dezidiert antiserbisches verkündet werden.

Der Krieg gegen die Serben sei ein zivilgesellschaftlicher europäischer Kreuzzug gegen den Nationalismus. Das verkündeten lange vor den Autonomen seine verantwortlichen Betreiber in der Regierung oder in den Leitartikeln von FAZ und taz. Deutsche Autonome nehmen ihren antinationalen Platz an der Heimatfront ein. Ihr Job ist es, die linke Opposition, wenn schon nicht auf Kriegskurs so doch zu völligem Stillhalten zu bringen.

Antinationalismus ist zu einem völlig verkommenen politischen Bekenntnis geworden, seit Deutschland vereinigt ist. Ausgerechnet hier, wo Wertediskussionen immer über die Landesgrenzen zielen und wo man aus den kollektiv begangenen Verbrechen die Lehre "weiter so, Deutschland" gezogen hat, schwadroniert eine radikale Linke über die Verbrechen des Nationalismus weltweit. Als ob es nicht lange demokratische Übung in Deutschland gewesen wäre, Auschwitz in ei-ner Aufzählung nationalistischer Verbrechen anderer Nationen verschwinden zu lassen, belehren zwischen zwei von Abertausenden Luftschlägen Angehörige der Täternation die Bombardierten über die Schädlichkeit des Nationalismus. Wer im Zeichen des Antinationalismus zu derartigem fähig ist, ist Mitmacher bei der Etablierung eines deutschen Antinationalismus, der die Weltherrschaft genauso will wie sein ideologischer Vorgänger, der deutsche Lebensraumgedanke.

Wer als deutscher Autonomer Milosevic einen Faschisten nennt und die Serben umzuerziehen trachtet, sollte einmal ein Sekündchen innehalten. War da nicht ein österreichisch-deutsches Rambouillet im Jahr 1914 mit Folgen, über die Autonome nichts wissen, weil sie weder mit Serben reden noch sich aus Büchern informieren, wenn sich Geschichte wiederholt? Haben die Deutschen 1941 etwa nicht Belgrad bombardiert und tun es heute wieder? Haben sie nicht fast genau 58 Jahre nach der Liquidierung von 7 000 serbischen Zivilisten zusammen mit ihren Nato-Partnern die Gedenkstätte für die Ermordeten in Schutt und Asche gelegt? Der serbische Nationalismus wird in seinem Verfolgungswahn durch die Realität in unheimliche Weise bestätigt. Dadurch wird er nicht besser. Aber antinationale Kritik wird sich nicht an serbischen Nationalisten, sondern an dieser Realität abzuarbeiten haben. Sie ist entweder antideutsche Kritik oder Lüge.

Immer dann zu versagen, wenn es gilt, dem eigenen Land kompromißlos den Kampf anzusagen, ist der Fluch der deutschen Opposition. Das war 1911 so, als August Bebel die deutsche Arbeiterklasse für den Weltkrieg fit machte, indem er einen Krieg gegen das russische Unrechtsregime guthieß, und wiederholte sich Anfang der Zwanziger, als die KPD ihr nationales Credo verkündete. Die Fortsetzung kündigte sich 1989/90 an. Damals ging die deutsche Linke zur Tagesordnung über, als ob die Wiedervereinigung nicht den ständigen Ausnahmezustand über jeden kritischen Kopf hätte verhängen müssen. Heute, wo die Lehren aus der deutschen Geschichte als Kriegsgrund gegen eines ihrer am schwersten getroffenen Opfer dienen, verweigert die autonome Linke den hier lebenden Serben das bißchen Mitgefühl, das z.B. PDS-Anhänger im Namen der Humanität noch aufbringen.

Wer nicht die falsche Formel Karl Liebknechts, der Hauptfeind stehe im eigenen Land, durch die richtige: Der Hauptfeind ist das eigene Land, ersetzt, wird Teil des eigenen Landes, z.B. deutscher Autonomer.

Quelle: http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_99/23/06a.htm