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Christian Worch: Erwiderung an Karl Nagel
(auf dessen Bericht über die Anti-Springer-Demo des NW am 20. August 2000 in Hamburg)

27.8.2000

Hallo Karl!

In gerade mal einer Woche bekam ich Deinen Bericht "den Nazi-Bestien entronnen" gleich dreimal aus verschiedenen Quellen, was dafür spricht, daß ein paar Leute das mit Interesse aufgenommen haben. Wobei sich das Interesse sowohl auf den Fakt beziehen könnte als auch auf den Inhalt; das habe ich noch nicht hinterfragt.

Ich finde es interessant, daß jemand, der am anderen Ende des Universums, pardon, des Spektrums verortet ist, mal vorbeischaut. Habe ich meinerseits unendlich lange nicht mehr gemacht. (Bin inzwischen vom Gesicht her bei den Antagonisten wahrscheinlich auch zu bekannt.)

Daß es no fun war, tut mir persönlich ja leid, aber so sind die Dinge halt einmal. Es gibt sehr verschiedene Arten von Spaß. Mir persönlich hat es in diesem Fall beispielsweise ungleich viel mehr Spaß gemacht, die Karlsruher den Hamburgern eine Ohrfeige verpassen zu lassen, als die Kundgebung selbst durchzuführen. Der Weg ist das Ziel und so weiter. (Nein, in diesem Fall nicht und so weiter. Der Weg war das Ziel, Punkt.) – Laß mich Dir ein paar technische Einzelheiten geben, einfach so der Vollständigkeit halber. Auch wenn mein geliebtes Weib es Korinthenkackerei nennen würde.

Der Lautsprecher hat mich nichts gekostet, der ist mal von einem NPD-LKW gefallen, und die NPD (mit der ich mich zur Zeit nicht mehr so gut stehe) erinnert wahrscheinlich nicht mehr, daß er da mal runtergefallen und vor meiner Tür gelandet ist. 'ne vernünftige Anlage hätte Miete gekostet. Kostenminimierung ist nicht nur im modernen Kapitalismus angesagt, sondern leider auch bei Demos. Zumindest für mich – im Gegensatz zu der erwähnten real existenten nationalistischen Partei bin ich nicht im letzten Jahr mit eins-komma-eins Millionen Mark Staatsknete gefüttert worden. Obwohl ich es immerhin vermieden habe, meinen Beitrag zu diesen eins-komma-eins-Millionen zu leisten. (Keine direkten Steuern in 1999; Verlustvortrag, wenn es Dich genau interessiert.)

Ich gebe zu, daß das zu Lasten des Funs geht. Für die Leute, die am Rand stehen. Aber 'ne Demo ist ein Event, das sich nicht selbst trägt. Und nach dem Karlsruher Beschluß habe ich sogar die Hälfte der Kosten des Rechtsstreites zu zahlen. (Was nicht gar so wild ist, weil ich vor der untersten und der allerobersten Instanz keinen Anwalt brauchte. Nur vor der mittleren, wie der Gesetzgeber in seiner unendlichen Weisheit irgendwann mal beschlossen hat. Wahrscheinlich weniger, um Leute wie mich zu ärgern, sondern eher der Asylbewerber wegen, um denen den Rechtsweg ein wenig saurer zu machen.)

Wenn ich jemanden finde, der die Kosten übernimmt, dann beschalle ich Dir die halbe Innenstadt mit einer Bose-Anlage, generatorgestützt, der Generator mit einem Leistungsspektrum von minimal 75 KvA, um bei 5o Hertz schwingungsstabil zu sein, wenn Dich die technischen Einzelheiten interessieren. Das Ding wiegt über zwei Tonnen, und folglich brauchst Du einen Siebeneinhalbtonner LKW, um es zu transportieren. Geht alles, kostet aber, so ist der Kapitalismus. Selbst Fun kostet. Oder anderen Fun zu verschaffen.

Aber weil Du nicht dicht genug dran warst, hast Du die richtig lustigen Sachen auch nicht mitgekriegt. Beispielsweise, wie ich laut Presse von Mahmut Erdem (Bürgerschaftsabgeordneter der GAL, Deutscher türkischer Abstammung) mit einer braunen Torte beworfen worden bin. Zwei Monate vorher hat Mahmut Erdem sich noch sturheil in Eilbek als Sitzblockierer betätigt und sich gleich zweimal hintereinander von der Polizei wegtragen lassen. (Die Segnungen der Immunität eines Landesparlamentariers – ein gewöhnlicher Antifaschist wäre beim ersten Wegtragen in Unterbindungsgewahrsam genommen worden.) Mahmud hat dazugelernt. Die braune Torte hatte doch mehr Stil. Pech für ihn allerdings, daß die Presse gelogen hat. (Sag ich ja – DIE PRESSE LÜGT!!!) Er hat sie nicht slapstickartig mir ins Gesicht geklatscht. Er hat nach Thomas ("Steiner") Wulff geworfen, weil der gerade am Mikrophon war, und getroffen hat er weder den Steiner noch mich, sondern das Auto. Vornehmlich auf die Frontscheibe. Was sich bei der Abfahrt mit Hilfe der Wisch-Wasch-Anlage regulieren ließ; bis auf den Sahneteil, der die Seitenscheibe getroffen hat. Den hat das geliebte Weib – laut MOPO deutsche Tugenden zeigend – mit Haushaltspapier von ALDI und Glasreiniger von SPAR beseitigt. (Ich würd'  ja auch den Glasreiniger bei ALDI kaufen, wenn die einen vernünftigen im Sortiment hätten. Ham' sie aber nich'.)

Aber immerhin, Mahmut hat dazugelernt. Er hat sich re-integriert. Wieso? Zwei Monate vorher, in Eilbek, die zweimalige Sitzblockade (und dann noch mit Fahrrad – welch tiefsinnige Ironie, mit einem Fahrrad eine Sitzblockade zu machen), das war typisch deutscher Ernst. So macht das ein guter Deutscher oder Neu-Deutscher. Am 2o. August, die braune Torte, das war american slapstick, das war Laurel und Hardy, mit einer Prise Chaplin. (Aber nur 'ne Prise.) – Indem er den deutschen Tugenden beim Gegen-Demonstrieren entsagte und auf die US-Kultur zurückgriff, wurde er zwar nicht sympathischer, aber verständlicher. Mir zumindest. Ich hoffe, es war eine Schwarzwälder Kirsch. Die Amis lieben Schwarzwälder Kirsch mehr als die Schwarzwälder oder als die Kirschen. Die am wenigsten.

Und da muß der arme Mann sich dann im Abendblatt fragen lassen, wo die Gewalt beginnt: Mit einer braunen Torte vielleicht?! – Allein dafür hätte er sich eine Einladung zum Tortenessen verdient, aber Du hast recht, ich muß auf den Bauch achten, und außerdem würde Mahmut das nicht annehmen wollen. Da ist er nicht hinreichend re-integriert, da zeigt er zu viel deutschen Ernst. (Die naturalisierten Türken wollen doch sowieso immer die besten Deutschen sein. Und wenn ich mir die Landsleute anschaue, will sagen die eigenen, dann haben "unsere" Türken echt die besten Chancen, wenn nicht bald, dann in ein bis zwei Generationen genau das zu sein. Wie die christensklavigen Janitscharen ihrerseits die besten Muslims und genaugenommen auch die besten Osmanen sein wollten...)

Das hat echt alles einen gewissen Unterhaltungswert. Zumindest für mich.

Es hat schon vor Dir Leute gegeben, die mich gefragt haben, wie lange ich das denn noch machen wolle. Eine gute Frage; allein deshalb, weil ich sie mir schon gestellt habe, bevor andere sie mir stellen konnten. Immerhin stehe ich in der Mitte des fünften Lebensjahrzehnts, da könnte man mal irgendwie anfangen, seriös zu werden. (Roosevelt war der Meinung, ein Mann, der mit 25 kein Kommunist sei, habe kein Herz, und ein Mann, der mit 50 kein Konservativer sei, habe kein Hirn. Und Robert Anson Heinlein meinte gar, jenseits der Fünfzig werde jeder zum Reaktionär.) – Ich habe mir diese Frage letztes Jahr im Oktober beantwortet. Solange ich noch schnell genug bin, aus einem mit Steinwürfen angegriffenen Bus als vielleicht nicht erster, aber einer der zwei bis drei Ersten rauszuspringen, bin ich noch nicht zu alt für das, was ich mache. Und im weiteren Sinne: Solange ich mich a) danach fühle und b) die Notwendigkeit dafür sehe, mache ich das so, wie ich es schon immer gemacht habe. Das ist nicht Denkfaulheit, sondern meine persönliche Vorstellung davon, daß man Pflicht und Spaß miteinander mischen kann. Ich bin gegen eine Pflicht zum Spaß – das wäre irgendwo pervers. (Zumal Humor eine höchst individuelle Angelegenheit ist.) Aber ich bin dafür, daß Pflicht auch Spaß machen sollte. Das geht bei mir ganz ohne Alk und Dope (und Pommes), da brauch' ich nur ein paar aggressive Neurotransmitter für .

Du sagst: hoch gepokert und nicht gut genug gespielt. – Das erscheint mir eher eine Weisheit aus dem brigde-Spiel. Da ist die Reizung nicht weniger wichtig als die Spieldurchführung. "Ein unter ist gut brigde", sagt man. Das gilt für den fall, daß man sich einen Kontrakt ersteigert, den man nicht erfüllen kann und einen Untesich macht, aber gleichzeitig verhindert, daß die Gegen-Achse zum vollen Spiel kommt oder geschweige denn zu einem slam. Das wäre teurer als der eigene Unterstich. Eine Sache allerdings, die außer gewieften bridge-Spielern wohl kaum einer richtig versteht. Und ich habe früher auch mal Turnierbridge gespielt, modernes Kampfbridge. Das ist nicht weniger anstrengend als eine Straßenschlacht, aber vier Dimensionen anspruchsvoller.

Wobei ich, um in der Nomenklatur des bridge zu bleiben, in dem Fall noch nicht mal sehe, daß es einen Unterstich gegeben hat. Ich würde den Kontrakt eher als erfüllt ansehen. Oder, um in der etwas militaristischen Sprache des Lieblingsspiels des britischen Establishments zu bleiben: Der Kontrakt wurde exekutiert.

(Naja, solange nur der Kontrakt exekutiert wird, fließt wenigstens kein Blut. Ein paar Hirnzellen verabschieden sich vielleicht vor lauter Verzweiflung, aber das ließe sich in der von Dir gewählten Rubrik DER WAHNSINN BEWAHRT UNS VOR DEM HASS einordnen.)

Wer sagt Dir eigentlich, daß ich mich so wenig frei bewegen kann wie Michael Jackson? Ich gehe nicht im Schanzenviertel spazieren, und in den meisten Teilen von Altona halte ich mich nicht länger auf, als unbedingt nötig. Das ist es aber auch schon. Mein Bekanntheitsgrad in der Gesamtbevölkerung dürfte bei ungefähr einem Prozent liegen. (Zur Zeit vielleicht ein wenig höher, aber so etwas ist Schwankungen unterworfen. Man erwirkt nicht alle Tage einen verfassungsgerichtlichen Eilbeschluß. Oder wenn doch, dann hätte das nach ein paar Malen für die Presse keinen Skandalwert mehr und wäre auch eine Form von Normalität, Alltäglichkeit.) – Und ein Prozent heißt auch nicht, daß von hundert Menschen einer bei meinem Anblick zur Salzsäule erstarrt und hektisch brüllt: "Ey, da ist doch der Worch, der Obernazi!" Ein Prozent heißt, daß so viele Leute mit meinem Namen was anfangen könnten. Und daß sie bei meinem Anblick denken: "Das Gesicht hab' ich doch schon irgendwo mal gesehen, im Fernsehen oder in der Zeitung, wer ist das bloß?"

Einer hat mich mal gefragt, ob ich Schauspieler sei; in Kriminalfilmen vielleicht. Kriminalfilm gefiel mir. Besser, als wenn er mich für einen Komiker gehalten hätte.

Ich hab' aber nicht gefragt, ob er sich an mich eher in der Rolle des Kommissars oder eher in der Rolle des Gangsters erinnert... Ist ja irgendwo auch egal. Parallelen schneiden sich in der Unendlichkeit. (Oberstufenmathematik. Abstrakt.)

Und wenn Du Dir in Hamburg noch mal 'ne "Nazi-Demo" aus größerer Nähe anschauen möchtest, dann geh einfach zum nächsten "Kontrollstellenleiter". (So nennt sich das bei der Polizei.) Sag dem, daß Du Nagel bist und daß er über seine Befehlskette doch bitte mal bei Worch fragen lassen soll, ob Du als Zuhörer zugelassen bist. Kann sein, daß der Mann sich einfach an die Stirn tippt und Dich bittet, jemand anderen vollzuspinnen. (Was kein Problem wäre, denn es gibt meist mehr als eine Kontrollstelle und daher mehr als einen Kontrollstellenleiter...) Kann aber auch sein, daß er ein pflichtgetreuer und fleißiger Beamter ist, über seine Befehlskette den "Abschnittsleiter" fragt (auch so nennt sich das bei der Polizei) und der dann mich fragt, und ich werde sagen: Null problemo.

Viele Grüße

Christian Worch