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Jean Cremet: Alain de Benoist, sein »Aufstand der Kulturen« und das Elend (mit) der »Neuen« Rechten in Deutschland
Eine Besprechung des Buches von Alain de Benoist: “Aufstand der Kulturen. Europäisches Manifest für das 21. Jahrhundert”, Berlin, Edition Junge Freiheit 1999, 237 S., 36,- DM (aus: "Antifaschistische Nachrichten")

Innerhalb der Geisteswissenschaften hatte sich in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine methodische Mode herausgebildet, die speziell im Bereich der »Extremismusforschung« dermaßen beliebt wurde, daß sie sich schnell zur dominierenden Richtung entwickelte. Die Rede ist von der »faktenfreien Wissenschaft«, deren noch immer wachsende Beliebtheit auch darauf zurückzuführen ist, daß sie das aufwendige und anstrengende Arbeiten an Primärquellen ebenso für überflüssig erklärte wie Vergleichbarkeit, historische Einordnung und die definitorische Mühe der (idealtypischen) Begriffsbildung. »Faktenfreie Wissenschaft« als Prinzip bedeutete u.a., daß nunmehr der Begriff »Neue Rechte« ähnlich inflationär gebraucht wurde wie früher der des Faschismus, daß jeder diesen Terminus inhaltlich nach Belieben und Gutdünken füllte, daß eine zwanzig Jahre alte Realität für die gegenwärtige verkauft werden konnte, daß sogar ideologische Gegensätzlichkeiten mit dem gleichen Ausdruck belegt wurden. Einen einzigen Erkenntnisgewinn brachte es hierzulande, wenn eine Strömung als »Neue Rechte« bezeichnet wurde: man wußte, daß das, was der jeweilige Wissenschaftler beschrieb, diesem bis dato neu gewesen war. Aber ob das zur Begriffsbildung ausreicht?

Integraler Bestandteil der Methode »faktenfreie Wissenschaft« war das ängstliche Vermeiden des Blicks über Ländergrenzen hinweg. Auch wenn alle über europäische Integration sprechen, auch wenn wir den Nationalismus kritisieren, dann muß das doch noch lange nicht dazu führen, daß wir plötzlich anfangen, fremdsprachige Texte zu lesen? Wenn also in Deutschland von »Neue Rechte« gesprochen wurde und wird, dann ist in der Regel von einer deutschen Erscheinung die Rede. Indem ich den jämmerlichen Rest der Welt einfach ausblende, erspare ich mir die Mühe einer komparativen Untersuchung. Erleichtert wurde diese selektive Wahrnehmung durch den Umstand, daß der größte Teil der ausländischen Texte, die einer wie auch immer beschriebenen »Neuen Rechten« zugeschrieben wurden, nicht auf deutsch zugänglich war.

Dies hat sich nunmehr zumindest für diejenige Fraktion der »Neuen« Rechten geändert, die sich den Vorstellungen von Alain de Benoist verbunden fühlt. 1985 war mit »Kulturrevolution von rechts« der letzte Sammelband mit Aufsätzen des Kopfes des GRECE in deutscher Übersetzung erschienen. Erfaßt wurden damals Texte bis zum Beginn der achtziger Jahre. Fast zwanzig Jahre Ideologieentwicklung sind also faktisch vergangen. Der nunmehr zur Buchmesse veröffentlichte Band »Aufstand der Kulturen. Europäisches Manifest für das 21. Jahrhundert« in der neugegründeten Edition Junge Freiheit versammelt kleinere Arbeiten, die zwischen 1992 und 1999 in den dem GRECE nahestehenden Zeitschriften erschienen sind sowie ein der »Jungen Freiheit« gewährtes Interview. Die Nouvelle Droite hat ihre Ideologie stets als work in progress verstanden. Nunmehr besteht Gelegenheit zum Vergleich und zur Analyse auch ohne Fremdsprachenkenntnisse.

Mit den vorliegenden Artikeln von Benoist, die thematisch ein recht breites Spektrum von Liberalismus- über Nationalismuskritik, von der Frage nach der »kollektiven Identität« über die »soziale Frage« bis hin zu einem spirituell begründeten Ökologieverständnis und der Kommunitarismusrezeption abdecken, wird die bisher letzte Phase der Ideologieentwicklung der Nouvelle Droite (à la Benoist), die der Herausbildung eines anti-egalitären Universalismus, erfaßt. Von einer sorgfältigen Edition hätte man erwarten dürfen, daß in einem einleitenden Aufsatz das interessierte Publikum gerade auf offenkundige ideologische Modifikationen hingewiesen wird, die im Laufe der Jahre teilweise zu einer Kehrtwende um 180 Grad geführt haben. Dies gilt z.B. für den recht umfangreich abgehandelten Bereich der Ökologie (S.179 - 212), für den Benoist an anderer Stelle selbst einräumt, daß er seine früheren Aussagen zum Thema heute weitgehend verwerfe. Vom faustischen oder prometheischen Menschenbild zur Tiefenökologie und zum Bioregionalismus führt in der Tat ein weiter Weg. Die Wege der Ideologieentwicklung werden in dieser Ausgabe leider nicht deutlich, sind aber wesentlich für das Verständnis der Nouvelle Droite. Doch es handelt sich um eine verständliche Unterlassungssünde. Wer aus der intellektuell schwachbrüstigen Crew des rechten Wochenblättchens hätte eine solche Arbeit ausführen können, ohne sich bis auf die Knochen zu blamieren?

Chefredakteur und Möchtegernstratege Dieter Stein z.B. mochte auf der Buchmesse noch nicht einmal erkennen, daß ein großer Teil der von Benoist formulierten Thesen in direktem Widerspruch zur Linie seiner Zeitung steht. Während in der »Jungen Freiheit« fast durchgängig (mit Ausnahme des Ökologie- und eingeschränkt des Kulturteils) das Hohelied des Wirtschaftsliberalismus à la Hayek gesungen wird, verurteilt Benoist - in diesem Punkt getreues Sprachrohr aller Strömungen der »Neuen« Rechten weltweit - Hayek als Verkörperung des »Gesetzes des Dschungels«. Die Kritik des Liberalismus durch Benoist klammert eben gerade nicht den ökonomischen Liberalismus aus.

Ängstlich klettet sich die »Junge Freiheit«, damit durchaus Spiegelbild für das die gesamte deutsche extreme Rechte, an den Nationalismus als einzige ihr sichtbare Rettungsmöglichkeit gegen die Gefahren der Globalisierung. Den Nationalstaat als zentralen Bezugspunkt hatte jedoch die europäische »Neue« Rechte bereits in ihrer Entstehungsphase aufgegeben. Benoists Ausführungen verdeutlichen, daß die Alternative in einem Europa gesehen wird, das als nicht mit der Maastricht-EU identisch betrachtet wird, daß aber auch ein grundsätzlich anderes Verständnis von kollektiver Identität gefordert wird (S.91 - 106), zu der auch eine neue Sichtweise der »sozialen Frage« (S.133 - 178) gehört. Im letztgenannten Fall erschüttern die Positionen von Benoist zugleich die beliebte linke These von der »sozialen Demagogie« der extremen Rechten.

Wenn denn der »neue Benoist« in der extremen Rechten gelesen würde, so böte er dort reichlich Stoff zur Diskussion. Bereits die Lesung bei der Buchmesse zeigte jedoch, daß sich das Interesse in engen Grenzen hält. Rund 20 mehr oder weniger aufmerksame Personen verloren sich vor dem Stand. Für die deutsche extreme Rechte, also die eigentliche Zielgruppe, bedeutet der »neue Benoist« sicherlich, Perlen vor die Säue zu werfen, auch wenn man sich dort wiederum einige genehme Punkte wie die Polemiken gegen die USA, gegen das Maastricht-Europa und die Globalisierung dankbar herauspicken wird. Eine konsistente Rezeption ist kaum zu erwarten. Doch auch diese Lektüre erschließt selbstverständlich nicht die Ideologie der »Neuen« Rechten, denn ob es die oben erwähnten Vertreter der »faktenfreien Wissenschaft« mitbekommen haben oder nicht, existieren bereits seit etlichen Jahren unterschiedliche Strömungen einer »Neuen« Rechten, sich in ihren Ansätzen, Positionen und Zielsetzungen z.T. erheblich voneinander unterscheidend.

Trotzdem gibt es zwischen diesen Fraktionen ausreichende Gemeinsamkeiten, um zu einer idealtypischen Begriffsbildung »Neue« Rechte zu gelangen. Ideologische Übereinstimmungen zwischen allen Ausformungen der »Neuen« Rechten finden sich u.a. in der Kritik des jakobinischen Nationalstaatskonzepts, in der Arbeit an Europakonzeptionen, in der Ablehnung aller Erscheinungsformen des Liberalismus, in einer zunehmend kulturellen Begründung von »kollektiver Identität«, in Lösungstendenzen vom Etatismus, in der Betonung der Notwendigkeit einer spirituellen Fundierung jeglicher Politik... All dies wird in »Aufstand der Kulturen« zumindest angesprochen. Doch wenn genau dies Kennzeichen einer »Neuen« Rechten sind, dann geraten die Vertreter der »faktenfreien Wissenschaft« in ein Dilemma. Gerade die oben angesprochenen Ideologema werden von jenen Personen und Personengruppen in Deutschland nicht geteilt, die hierzulande mehrheitlich als »Neue Rechte« bezeichnet werden. Folgen wir Benoist, so ist die Begriffszuweisung für die Unterstützer eines atlantischen Kurses in der Außenpolitik offenkundig falsch. Der Buchtitel »Aufstand der Kulturen« bezieht sich zwar deutlich auf Samuel Huntington, setzt aber ebenso deutlich einen Kontrapunkt zu ihm. Die Ausführungen zum Liberalismus, zur sozialen Frage, zur Arbeit und zur Ökologie müssen als Plädoyers gegen die Herrschaft des Marktes verstanden werden. Auch zur Erschütterung falscher Gewißheiten ist der Band also geeignet. Eben auch zu der, daß die extreme Rechte stets nationalistisch sei. Insgesamt also ein Band, der zur Analyse der tatsächlichen »Neuen« Rechten nützliches und aktuelles Material zur Verfügung stellt, der zeigt, daß diese »Neue« Rechte uneingeschränkt der extremen Rechten zuzurechnen ist, der unterstreicht, daß »Brücken« und »Scharniere« von der »Neuen« Rechten keineswegs nur zu den Konservativen angestrebt werden (wenn überhaupt), daß die theoretischen Quellen der »Neuen« Rechten weit vielfältiger sind, als dies der gebräuchliche lineare und eindimensionale Stammbaum »Konservative Revolution 'Neue' Rechte« nahelegt. Ein Band zudem, der implizit demonstriert, daß noch reichlich Arbeit bis zu einer brauchbaren Faschismustheorie vor uns liegt. Als dies dürfte von den Herausgebern kaum beabsichtigt sein. Die »Junge Freiheit«, die man ansonsten fast jede Woche aus der Hand legen kann, ohne auch nur einen inhaltlich lohnenden Artikel gelesen zu haben, hatte schlicht und ergreifend vor, ihr intellektuelles Image mit möglichst wenig Arbeit aufzupolieren. Ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem Redaktionsschlingerkurs einer Unterstützung der Schlierer-Fraktion der Republikaner, dem späteren Jubel über den neoliberalen Bund Freier Bürger sowie der aktuellen Bücklungshaltung gegen-über abgehalfterten Funktionären und Mandataren des rechten Flügels der Unionsparteien und der Promotion einer der Ausformungen der Ideologie der »Neuen« Rechten besteht nicht. Es handelt sich lediglich um einen weiteren Ausdruck der opportunistischen »Alles ist möglich«-Haltung von Chefredakteur Dieter Stein. Kein Grund also, die »Junge Freiheit« plötzlich als »neu«-rechts zu bezeichnen. Auch in diesem Fall sollten wir uns an die Fakten halten. Rechts ist das Blatt zweifellos (sogar in der extremen Variante), neu ist nichts, aber auch gar nichts daran. Am Ende des Klappentextes von Benoists Buch heißt es: »Die Zukunft gehört den Rebellen.« Den Geist der Rebellion mag Benoist für sich und seine Anhänger reklamieren. Darüber ließe sich trefflich streiten. Seine Verleger von der »Jungen Freiheit« jedoch verkörpern lediglich finsterste Reaktion.