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Rudolf Bahro: Wozu ist der Nazi-Vergleich notwendig? (1985)

Parlamentarismus als antifaschistisches Minimum

Nicht die Parlamentarismus-Debatte ist die Falle, sondern das Parlament – dies aber nicht aus den bekannten allgemeinen Gründen, sondern aus speziellen deutschen für die deutsche Ökopax-Bewegung.

Warum ist es für uns eine Falle, während es das – um also wieder mit der Tür ins Haus zu fallen – für die Nazi-bewegung und -partei offensichtlich nicht gewesen ist? Eben weil die Nazis antiparlamentarisch und – in der Begrenzung auf das Weimarer Parteiensystembedingungslos systemfeindlich waren, dü,fen wir es nicht sein. So jedenfalls sagt es uns jeden Tag ein paar mal die alliiert, vor allem US-amerikanisch, restaurierte bürgerliche Ideologie, und mit durchschlagendem Erfolg bis fast in die letzte unserer eigenen Reihen hinein. Sie werden jetzt, gestützt gerade auf das Trauma der braunen Restauration, versuchen, die grüne Bewegung für eine letzte, grüne Restauration des Imperiums abzufangen und einzufangen.

Wir betrachten das Parlament ja als eine antifaschistische Errungenschaft! Wir haben ja akzeptiert, es sei “totalitär”, dieses Ding in seiner Eigenschaft als Teil des ganzen exterministischen institutionellen Komplexes radikal in Frage zu stellen. Und deshalb ziehen sie uns hinüber. Wir haben uns von vornherein nicht souverän gesetzt, sondern als eine Reformbewegung innerhalb des Imperiums.

Es gab nicht nur die Nazipartei

Hier liegt das tiefste Motiv für meinen Versuch, uns mit der Erfahrung der Nazibewegung in Beziehung zu setzen, d.h. – in Rainer Langhans‘ Diktion – von “Bruder Hitler”, an seinen Winken aus der Hölle, für uns etwas zu lernen, ja für uns etwas zu machen. Vorausgesetzt ist dabei natürlich, daß sich die Nazibewegung nicht von vornherein auf das imperialistische Instrument reduziert, das die Nazipartei nachher war, daß dahinter – wie es in einem mir eben zugehenden Text von Armin von Gleich heißt – auch “eine weitverbreitete, auf unmittelbare und unverarbeitete Erfahrung gestützte Kritik an Verstädterung, Maschinisierung, Rationalisierung und Verwissenschaftlichung (konservative bis reaktionäre Kapitalismuskritik)” stand. “Die Kritik”, fährt Gleich fort, “(vorher Lebensreform- und Jugendbewegung) konnte von einer auf den technischen Fortschritt und rationale Aufklärung setzenden KPD nicht aufgenommen werden.”

Ich habe, als ich mir sofort nach unserem Einzug in Bonn Gedanken über die Basisanbindung der Grünen im Bundestag machte, auf das Gefälle hingewiesen, dem wir uns ausliefern. Oder vielmehr, ich benutzte damals das Bild eines Getriebes. Da dreht sich das Gesamtsystem, dann kommt sein Riesenzahnrad Staat, danach dessen Übersetzer Parlament und nun unser kleines Zahnrad Fraktion, das dann seinerseits den Druck weitergibt an die Partei, bis hinunter zur Basis. Dasselbe läuft natürlich in den Ländern, Kreisen, Stadtparlamenten nochmal. Wenn dann noch die Bewegungen in unseren Fraktionen betteln kommen, hat es perfekt funktioniert. Die Minderheit, die sich da lieber abgekoppelt hält, ist wieder so klein und radikal, wie es sich der freilich nicht als Person oder Verschwörung existente Systemgeist nur wünschen kann.

Hatten wir uns nicht gedacht, wir würden von den Bewegungen her ein Gegengefälle, ein Gegengetriebe aufbauen? Sollten nicht im Parlament die beiden Drehmomente aufeinandertreffen, daß wir die Große Staatsmaschine wenn schon nicht gleich blockieren, so doch stottern machen? Hatten wir uns gedacht, wir wollten sie neu ölen?

Die entscheidende Frage lautet nun, welche Umbewertung wir vornehmen und kühn vertreten müssen, um das Gefälle Gesamtsystem-Parlament durch das intendierte Gegengefälle Bewegung-Parlament zu kompensieren, um so eine Situation zu schaffen, die die volle Entfaltung der Bewußtseinsbewegung im Lande begünstigt, während der Spielraum bzw. die Manövrierfähigkeit der Macht eingeschränkt wird. Die Menschen müssen beginnen, und wir müssen vorangehen, neue Wirklichkeiten und neue Institutionen zu schaffen. Auf der geistigen Ebene, die entscheidend ist, wird das millionenmal Jakobs Kampf mit dem Engel sein.

Die alliierte Demokratie vollenden oder auffliegen lassen?

Warum wollt Ihr nicht verstehen, wieso sie Euch mal des Kommunismus, mal des Faschismus verdächtigen:

Damit Ihr ja nicht auf den Gedanken kommt, diese alliierte Entnazifizierung hier, diese amerikanisch verbürgte Restauration derselben Weimarer Demokratie, die dazu bestimmt war, von der Nazibewegung gesprengt zu werden, Eurerseits auch auffliegen lassen zu wollen.

Nein, die Ökolibertären sind wirklich nicht die einzigen, die diese bürgerliche Demokratie, diesen politischen Ausdruck der kapitalistischen Konkurrenz, diesen unabtrennbaren Bestandteil des insgesamt exterministisch funktionierenden Systems aus der Bankrottmasse heraus-nehmen und daran die Übung vollziehen wollen, den einst in Frankreich wohl immer noch ein bißchen verfehlten Idealtypus nun doch noch herauszuholen – um Deutschland zu zivilisieren

Die Grünen in die Variable der Weimarer Gleichung einsetzen

Vor einem Jahr habe ich für die Hamburger Zeit einen Versuchsballon gebastelt, der aber nicht wieder heruntergekommen ist, eine Rezension über Hannah Arendts “Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft”. Sie beruhte auf der Idee, zugleich die Totalitarismus-Konzeption für den Osten zurückzuweisen und die Fixierung auf den Republikanismus von oben für den Westen zu durchbrechen.

Vor einem Jahr war mir die Blockadefunktion des Parlamentarismus, deren Verstärkung bzw. Absicherung durch den erbärmlichen “antitotalitären”, d.h. antikommunistischen offiziellen “Antifaschismus” noch nicht richtig klar. Deshalb habe ich damals nicht diesen letzten Punkt gesetzt, sondern mich auf das Verlangen beschränkt, die Ökopax-Bewegung möge sich – ohne Rücksicht auf diesen ideologischen Schutzanzug der restaurierten imperialen Machtstruktur – souverän setzen. Dahinter stand schon und steht jetzt die Idee, daß wir in die Weimarer Gleichung, die sich in Bonn variiert wiederholt, kühn das neue Subjekt, die Ökopax-Bewegung, einsetzen müssen.

Grün und Braun – zwei Pole einer Bewegung

Wenn wir mobilisieren wollen – verlangt werden muß dann von uns, verlangen müssen vor allem wir selber von uns, die Grün-Braun-Polarität in der sozialen Bewegung voll bewußt zu halten. Zwar ist das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Polen umgeschlagen, aber wir sind den anderen, braunen Pol nicht los.

Wir können nicht nur durch Insuffizienz der Anlaß für rechte soziale Bewegungen sein (bzw. ihnen den Weg freigeben) – in den eigentlichen Lebensfragen (wie z. B. die Tierversuche eine sind) geht keine grüne Halbheit durch, ohne daß sich braune Tendenzen daran aufschaukeln können. Vielmehr hängt es überhaupt von uns ab, ob die Bewegung grün bleibt. Wollen wir verantwortlich sein, so lautet die Anforderung an uns, einen Begriff der Bewegung zu riskieren, der nicht von vornherein, sondem erst immanent links und rechts unterscheidet.

Wir müssen uns die Bewegung als eine Ellipse denken, deren Achse zwei Pole hat (die ich mir mit Hilfe von Wilhelm Reichs Unterscheidung zwischen Panzerung- braun – und biologischem Kern – grün – erkläre), eben einen braunen und einen grünen. Ich setze voraus, Bewegung ist radikal; braun ist per se nicht weniger, sondern anders radikal als grün (siehe Erich Fromms Analyse Ender der 20er Jahre über rebellisch-autoritäre Charaktere und ihr Verhalten zwischen rot und braun).

Wir sollten wissen, daß Leben als verletzter Wert eine noch viel größere Rechtfertigungskapazität für Terrorismus besitzt als verletzte Gerechtigkeit; und gerade in Deutschland waren viele Schlüsselwerte der heutigen Ökologiebewegung damals eben dieser Verschiebung von Grün zu Braun unterworfen. Michael Kohlhaas kann übertroffen werden.

Wie mit dem Gegenpol umgehen?

Allerdings gibt es keine dämlichere Strategie des Umgangs mit dem Gegenpol als die von den eigenen Abwehrmechanismen gesteuerte Berührungsangst und die Verleugnung seiner Repräsentanz in der eigenen Seelen-verfassung. Wir haben im Gegenteil alles zu gewinnen (“alles” in dem hier besprochenen Bezuge), wenn wir unsere nichtdominanten Braunanteile als Antennen benutzen, die uns über die entsprechenden Positionen am Gegenpol den Zugang zu den dortigen – und zwar vorhandenen! –Grünanteilen eröffnen. Da diesmal Grün die insgesamt stärkere Instanz ist (jedenfalls, wenn wir kühn damit umgehen), können wir uns die Aufgabe stellen, unser Grün mit dem des Gegenpols zu assoziieren und auf dieser Grundlage die braunen Anteile herunterzuarbeiten bzw. ihre Energie freizusetzen und neuzuprogrammieren. Bedingung ist, daß wir das eigene Pharisäertum beiseite lassen.

Wichtigste Sicherung wäre, beim Kontakt mit dem ganzen Potential, das uns gegenübersteht, die Regel zu befolgen: auf der grünen Welle fraternisieren, auf der braunen Welle analysieren, d.h. die Selbsteinsicht benutzen, um die andere Position aufzudecken und unter der Bedingung der Nichtdiskriminierung entschärfen zu können. Eine intellektuelle Bereitschaft, sich für Grün als Grün zu öffnen, ist am Gegenpol da. Es ist ganz entscheidend, auf dieser Ebene der Herausbildung einer Gruppierung von intellektueller Führungsqualität um den braunen Gegenpol zuvorzukommen.

Das ist es, was Grün jetzt wagen muß, und sobald wir es auf diese Weise wagen, müßte uns die verschüttete pazifistische Substanz des Urchristentums – die sich bei dem Frontalzusammenstoß auf 1933 hin nicht entfalten konnte – verstärkt zu Hilfe kommen. Selbst, daß das autoritäre Potential politisch von einer Partei, die – wie heuchlerisch auch immer – das C im Namen führt, absorbiert wurde, kann diesmal einen guten Ausgang herbeiführen helfen...

Für Braun – keine Platzanweisung!

Der Fehler liegt, wie gesagt, darin, daß die Grün-Braun-Polarität nicht zunächst einmal als innerhalb quasi des einen Phänomens “soziale Bewegung” gesehen wird. Die Annahme zweier sozialer Bewegungen, einer grünen und einer braunen, nimmt erstens nicht wahr, daß es auch in den 20er Jahren nur eine zugleich grüne (das dominierte vor 1914 sogar) und braune (was nach 1918 verheerend dominierte) Bewegung gab, und konstituiert zweitens zumindest den “notwendigen” Platz für eine selbständige, konsistente braune Bewegung uns gegenüber.

Genau das dürfen wir nicht zulassen. Genau das verlangt von uns, diese Dichotomie zu verweigern und vor allem die vergangenheitsfixierte Angst abzuwerfen, die die Dichotomie regiert. Ich habe einige Argumente dafür angeführt, daß die grüne Hegemonie über die gesamte Bewegung (über das gesamte überschüssige bzw. “aussteigende” Bewußtsein, über die entsprechenden Anteile in beinahe jedermanns/jederfrau Psyche) prinzipiell angesagt ist. Wir werden sie aber nicht realisieren, wenn wir uns die alte Schlachtordnung imaginieren. Wenn sich jetzt in Deutschland wiederholt, was wir da andauernd rückblickend befürchten – dann dürfte wirklich nichts mehr zu machen sein, auch anderswo als in Deutschland nicht.

Wir müssen uns dazu bekennen, daß wir annähernd dieselben existentiellen Probleme, auf die nach dem 1. Weltkrieg die Nazibewegung reagierte, jetzt unter ungleich günstigeren Bedingungen erneut auf den Tisch bekommen haben, und zwar auf der fundamentalen Ebene der nichtmateriellen Bedürfnisse noch radikaler als damals. Ja, auf die Lebensinteressen letzter Instanz läßt sich (wenn, wie in den USA heute, die Psychologie von Deutschland 1914 vorherrscht) die finstere, “totalitärste” Ökodiktatur gründen. Wenn wir das in Deutschland auch wollen, müssen wir den Karren nur bei realpolitischer Kosmetik oder vielleicht sogar japanischem Abschneiden der Spitzenbelastungen bis an den Punkt weiterlaufen lassen, wo er allzu plötzlich umkippt, weil sich der Schwerpunkt der Grundlast zu hoch nach oben verlagert hat...

Eines ist wirklich falsch: die Annahme, es würde die radikale Kritik an den bestehenden Institutionen zur Ursache eines rechten Auftriebs werden. Mit dieser Denkweise müßten wir an der Seite der Sozialdemokratie zur Verteidigung der Republik antreten. Kam nicht die Einheitsfrontidee auf 1933 hin schon von vornherein in einer Form auf, wo sie bloß Ausdruck der schon vorentschiedenen Niederlage war? Die beiden Arbeiterparteien hatten schlicht keine attraktive Alternative zu den Nazis anzubieten.