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Abt. Guerilla/Demoguerilla


Prag 2000
Der Protest gegen das entfesselte Kapital und
den Globalisierungswahn der multinationalen Konzerne
von Micha K.

Die allgemeine Definition des Kapitalismus ist, dass aus der Ausbeutung der Arbeitskraft einer größeren Anzahl von Individuen die Profite einiger Weniger erwachsen!

Sich selbst würde der Kapitalist wohl am besten mit den Worten „Der Kluge lebt vom Dummen, und der Dumme von der Arbeit!“ beschreiben wissen. Und wenn man`s genau nimmt, liegt das verdammte „Ausbeuterschweine“ da gar nicht so falsch. Denn trotzdem wir ja alle in einer „Demokratie“ leben – also sich jeder seine Meinung bilden kann wie er will, solang  es nicht die Falsche ist –, fällt es den Leuten doch irgendwie schwer, es auch zu tun. Da ist es doch viel einfacher, den so seltsam gleichgeschalteten Medien Glauben zu schenken und sein Leben als Adjektiv zu fristen. Was unheimlich einfach ist, aber der Durchsetzung der ureigensten Interessen wenig zuträglich.

Doch siehe da: Da treffen sich ca. 15000 Menschen in Prag, um gegen die Weltbank und den Internationalen Währungsfond, und somit gegen das Grundprinzip des Kapitalismus zu protestieren. Und davon will ich Euch berichten.

Per Definition bin ich wohl ein Linker – ein linker Fotograf, der es sich zum Prinzip gemacht hat, zumindest zu versuchen, objektiv zu sein, solange er seiner Arbeit nachgeht. Was wohl bedeuten soll, dass vor meiner Linse alle gleich sind, auch wenn das ohne Untertitel nicht viel heisst.

Das Ganze begann, als ich die Vorankündigung in der „Zitty“ las, und mir dachte: „Na, das wird doch bestimmt eine riesen FRESSEKLOPPEREI... kriegste `n paar geile Fotos!!! Und du kommst so schön billig hin, ALTER!!! 30 Äppel für `n Bus: Dit is ja nüscht!!!“, dachtickmirda. Also ging ich beflissentlich zum Vorbereitungsgespräch, um mich über Treffpunkte, Abfahrtszeiten und Reisemodalitäten zu erkundigen. Das Ganze fand statt in der Humbolduni, und kam mir schon beim Reinkommen etwas improvisiert, wenn nicht komisch vor. Da saß  gleich in erster Reihe der obligatorische Christian Specht und drückte mir ein Flugblatt in die Hand, auf dem er alle linksautonomen Hooligans dazu aufforderte, das ganze Reisevorhaben doch möglichst gewaltlos vorzuhaben. Das Maß der

Interessierten hielt sich in Grenzen – zumindest im Vergleich zum enormen Ausmaß des Hörsaals. Außerdem kam ich mir vor, als würde ich an einer Podiumsdiskussion der FDJ teilnehmen, was das Vokabular angeht. Es gab da den  antikapitalistischen Agitator und Berufsaufrührer aus Österreich, der sich auch gern entschuldigte, kein Ossi zu sein, die Tochter einer Mittelstandsfamilie aus Westdeutschland, die angesichts des bevorstehenden Klassenkampfs ganz in verzückter Hysterie versank, und das Beispiel der Amerikaner in Seattle und Washington lobte bis über den grünen Klee, dabei haben die sich – abgesehen davon, dass sie sich überhaupt zusammengefunden haben – doch nur verprügeln lassen; und dann war da noch der Eine, der tatsächlich etwas sagen konnte, das von Interesse war, nämlich wie die Weltbank denn eigentlich arbeitet.

In Kürze ausgedrückt, sagte er: “Die Weltbank gibt armen Länder wenig Geld, das die Reichen und Mächtigen unter sich verteilen, globale Kartelle kaufen gleichzeitig die Staatsbetriebe auf und wickeln sie ab, so dass immer weniger produziert wird, was gewinnbringende Exporte bedeuten könnte und stürzen das Land, mangels Einnahme von Devisen, in die Abhängigkeit der weltweiten Finanzspekulanten; es muss neue Kredite aufnehmen, zu immer unverschämter werdenden Konditionen, und potenziert somit das Ausmaß seiner Schuld ins unermeßliche. So etwas nennt man Schuldenfalle.“ Wirklich interessant.

Am 25.09.2000 um Uhr 15:00 sollten die Busse, drei an der Zahl, vom Vorplatz der „Volksbühne“ aus starten. Mein Freund M. „fand seinen Pass nicht“, und so musste ich alleine fahren. War mir auch ganz recht, denn so hatte ich wenigstens Bewegungsfreiheit und konnte mich mangels Ortskenntnis in Prag ein wenig verlaufen... 

Die Busfahrer konnten ihr Glück gar nicht fassen, angesichts der etwas unorthodox gewandeten Touristengruppe und erhöhten sofort den tarif. Dazu kam die Verspätung des dritten Busses, der erst noch aus Hamburg beschafft werden musste und eine Verkettung unglücklicher Umstände, die dazu führten, dass der Fahrspass erst gegen achtzehn Uhr richtig abgehen konnte. Von der Busfahrt bis zur Grenze bekam ich relativ wenig mit, da ich eine kleine Schlafangelegenheit zu erledigen hatte. Doch dafür konnte ich nun die dreistündige Durchsuchungsprozedur der tschechischen und deutschen Zollbeamten hellwach und in vollen Zügen genießen. Aber auch das ging irgendwie vorbei, und am nächsten Morgen, um Uhr Null Fünfhundert, setzten wir unsere Füße auf den betonharten Betonboden des Prager Betonbusbahnhof; dem Treffpunkt aller Anreisender, zu diesem linken Glorientag.

Was folgte war ein langer Fußmarsch zum Lagezentrum, um eventuelle Informationen einzuholen und vielleicht doch noch ein bißchen mehr Schlaf zu kriegen, als man hatte. Der Marsch eine wahre Tortur von mehreren Kilometern, aber wir fanden es. Es war eine alte Fabrikhalle, eisig kalt und voller Amerikaner, die sich so benahmen als hätten sie den Protest gegen Weltbank und auch alles Andere erfunden. (Scheint übrigens so eine Eigenheit von denen zu sein, irgendwie bei allem – sogar beim protestieren – gewinnen zu wollen. Ist aber trotzdem schwierig, das in konkrete Worte zu fassen: „Hiermit erkläre ich Euch zum Sieger dieses Protestes! Danke Amerika... DANKE!!!“) Unter anderem deshalb hatte ich keine Lust, dort auf der Erde zu schlafen und entschied mich fürs wach bleiben. Und mögen die Amis Wichser sein wie sie wollen, es fand sich ein Netter, der uns mit seinem Bus zum Kundgebungsort brachte, wo, wie zu erwarten war, um acht Uhr am Morgen, noch gähnende Leere herrschte. Aber zumindest waren wir da .

da

Nach zwei Stunden deprimierender Langeweile und zehn, fünfzehn intentionsloser Fotos konnte ich endlich in einer der gerade erst öffnenden Banken Geld tauschen und mir einen  Kaffe leisten. Das war wichtig. Sonst wäre ich tot umgefallen. Der Platz hatte sich inzwischen gefüllt, und aus allen Richtungen strömten weitere „Protestanten“ (hahaha) herbei.

Protestzug der Italiener auf den Kundgebungsplatz

Die Hälfte der Anwesenden waren Berufskollegen, und ich kam mir doch ein bißchen blöd vor, genau wie sie auch auf Motivsuche zu gehen...

Die Autonomen kamen als Demonstrationszug auf den Platz marschiert, was ein durchaus erhebender Anblick war. Aber als dann wieder Ruhe einkehrte und nur der etwas zerfetzte Klang des Lautsprecherwagens eines geistig verwirrt anmutenden Amerikaners für ein Hintergrundrauschen sorgte, hörte man plötzlich aus einer Seitenstraße die durch einen blechernen Lautsprecher knittrig gewordene Stimme eines Italieners, der  nach einem Politslogan, den ich nicht verstehen konnte, in sein Mikro intonierte: „Viva Zappata!“ und eine Stimme aus tausenden Kehlen antwortete „VIVA!!!“ Und so ungern ich das zugebe: Mir stellten sich alle Haare auf. Ich war durch und durch fasziniert. So etwas hatte ich bei noch keiner einzigen Demonstration in Deutschland erlebt. Das war die pure Symbiose aus Stimme, Einheit und dem Willen, hier, gegen wen auch immer, zu siegen. Fast wäre ich geneigt zu sagen „ein wahrhafter Glaube“! Etwas, dass ich bei den deutschen Nachwuchslinken in letzter Zeit schwer vermisse.          

So fanden z.B. viele Deutsche das Nichtvorhandensein des Vermummungsverbotes so beglückend, dass sie ihrem Drang zur Maskerade schon weit vor dem Beginn der eigentlichen Kundgebung nachgingen, um möglichst viel Ängstlichkeit bei denen zu erzeugen, die sowieso immer etwas ängstlich sind.

Doch inzwischen war der Platz brechend voll mit Italienern, Griechen, Spaniern, Tschechen, Polen, Russen, Litauern, Rumänen, Deutschen, Franzosen, Amerikanern und der Himmel weiss was noch für Landsmänner- und MännInninin, die sich einen Teufel darum scherten und ihre jeweilige Performanz durchzogen. Eine meiner Kammeras war defekt und ich musste Kaffe trinken und meine Freundin anrufen.

Ich reparierte die Kamera notdürftig, trank Kaffe, rief meine Freundin an und schloss mich dem Presseheer an, das sich inzwischen versammelt hatte, um das Losziehen der nicht genehmigten Demonstration zu protokollieren.

Mein Presseausweis war noch nicht gekommen, ohne den ich keine dieser schicken roten Pressewesten bekam, die mich vor leichten Schlägen auf den Hinterkopf bewahren sollte, also musste ich hier darauf gefasst sein, von ungehaltenen Polizeibeamten der Tschechischen Republik auf mein freches Mundwerk zu kriegen.

Der Demonstrationszug bildete sich aus drei Blöcken: dem Roten, dem Gelben und dem Blauen. Um die Polizei zu verwirren, setzte sich jeder dieser Blöcke in eine andere Richtung in Bewegung. Jeder Block hatte etwa 5000 Teilnehmer. (Wer sich’s leisten kann... ) Ob das Konzept aufging, kann ich nicht ganz beurteilen; auf jeden Fall sorgte es dafür, dass der Innenstadtverkehr völlig zum Erliegen kam.

Ich folgte erst mal den Italienern, die, glaube ich, die Masse des gelben Blocks ausmachten. Diese hatten sich aus Schaumstoff und Pappe Körperprotektoren gebastelt und ihr Fronttransparent mit Eisenträgern und Autoreifen verstärkt, womit sie die Polizeisperren überwinden wollten. Überhaupt waren die Italiener am besten vorbereitet, was den Straßenkampf angeht: Besagte Protektoren, Helme, Sturmhauben, wasserdichte Kleidung, Gasmasken und obskure Flüssigkeiten, mit denen man sich nach Tränengaseinsätzen die Augen auswaschen konnte.

Italienischer Kampfverband

Leider hatten sie sich wenig Gedanken über die Strategie ihres Vorgehens gemacht, denn sie suchten sich den am besten gesicherten Weg zum Tagungsort der Weltbanker aus: Eine Brücke über die Moldau, wo Spezialtruppen der Polizei mit Panzerfahrzeugen und Wasserwerfern aufmarschiert waren. Die Räumpanzer hatten einen olivgrünen Anstrich, was unangenehm an militärische Operationen gemahnte. Die Sondereinheiten waren in totales Schwarz gemummelt, mit schwarzen Helmen, schwarzen, blickdichten Visieren, schwarzen Kampfanzügen und schwarzen Rangabzeichen auf schwarzem Grund. Sollte das ein Teil psychologischer Kriegführung sein, hat es, zumindest bei mir, funktioniert. Und wenn ich mir den verhaltener werdenden Kampfesmut der italienischen Aktivisten ansah, verfehlte es auch bei ihnen die Wirkung nicht. Kurz gesagt die Brücke war dicht; da gab es kein durchkommen.

Polizeisperre an der Moldaubrücke

Der gesamte Pressecorps versammelte sich am Schnittpunkt der aufeinandertreffenden Fronten, unter ihnen Männer, in diesen roten Pressewesten, mit gestähltem, kampferprobten Körpern und einem leicht paranoiden Schimmer in den Augen, der Zivilpolizisten stets zu eigen ist, mit Funkgeräten ausgestattet, irgendwie immer an den neuralgischen Punkten präsent und unbeachtet von den Demonstranten. Fast wie wirklich gute Journalisten...

Journalistenauflauf bei einer italtienischen Friedensbeführworterin

Nach einer halben Stunde vergeblichen Wartens auf irgendetwas, das sich zu fotografieren lohnte, und keine der beiden Seiten auch nur Anzeichen von Aktion oder das Anwenden unnötiger Gewalt zeigten, beschloß ich, mich einer vom großen Zug abgesplitterten Protestgruppe anzuschließen, um zu sehen, ob die vielleicht einen Weg wüssten, wie ich zu anständigen Fotos käme. Doch nach einem Gewaltmarsch von ca. 5 km standen wir wieder bloss vor einer Polizeisperre. Meine Füsse waren inzwischen zu undefinierbaren Klumpen angeschwollen und fühlten sich auch genauso an. Doch wenigstens stand da schon der blaue Block (der internationale Verbund der Autonomen) und bastelte an seinen Transparenten rum. Auf dem Haupttransparent stand in großen, silbernen Buchstaben geschrieben „SAMBA!“, was der Großteil der Demonstranten verstand und lustig fand. Als sie die Bastelarbeiten am Banna ihrer Botschaft an die Menschheit beendet hatten, formierten sie sich wie eine römische Legion zu einer Schildkröte, verschwanden in einer Seitenstraße, und ich mit meinen Klumpen hinterher. Die Sonne schien, das Leben war schön und ich setzte mich, mit ein paar Tänzern in etwas müllig anmutenden Karnevalskostümen, an die Spitze des Zuges. Wir kreuzten drei Straßen, an denen sich, zu unserer Rechten, überall Polizeisperren befanden. An der vierten verabschiedeten sich die Tänzer, und der Block schwenkte auf die Ordnungshüter um. Die waren nur mit einem Knüppel bewaffnet, trugen aber sonst normale Uniform. Kein Helm, keine Körperprotektoren, keine Schilde... keine gute Idee.

keine gute Idee!!!

Wie ich`s im Fernsehen bei den 68ern sah: Kein Rumgeeiere, keine Keine-Gewalt-Fuzzis und ein brachiales Auftreten vor dem Herrn... marschierten sie voll rein und gaben ihnen was auf die Mütze, und meine Kamera macht klicksimmm-klicksimmm-klicksimmm, meine andere klack ... srrrrrr-r-klack ... srrrrr-r und wieder klicksimmm...usw.

Tränengaseinsatz

Von allen Reportern, die da rumhingen, stand ich am nächsten dran und versaute hoffentlich allen anderen ihre Aufnahme. Ich war der meist fotografierte Hinterkopf von Prag an diesem Tag... (Wie Capa zu sagen pflegte: „Wenn deine Fotos Scheiße  sind, warst du nicht nah genug  dran!“) Tja, so kanns´ gehen!

Steine flogen mir um die Ohren... klicksimmm... Knüppel tanzten... klicksimmm... Wasserfontänen zischten durch die Luft, und Tränengasgranaten explodierten wie Silvesterböller... klicksimmm... Und dann kam die richtige Knüppelgarde!!! Natürlich natural born schlecht gelaunt, und schon gab es auf die Fresse! Das waren Männer wie aufgestapelte Mülltonnen, mit Köpfen, die Bowlingkugeln glichen in ihren schwarzen Sonntagsabend-für-
gut-Kampfanzügen... da war es vorbei mit „klicksimmm“ oder „klack ... srrrrr-r“. Von da an bin ich gelaufen... und das mit dem, was meine Füße waren. Ich konnte mich, mit ein paar anderen Reportern, auf einen Hinterhof flüchten, von dem man nur so wieder verschwinden konnte, wie man gekommen war. Aber draussen standen diese bösen-bösen Bullen. Also versuchte ich, gelassen zu wirken

etwas ungehaltener Polizeibeamter

und guckte mir, auf den Digitalen Kameras meiner Kollegen, ihre stümperhaften Aufnahmen Von-da-ganz-weit-hinten an und wusste, dass Meine die besten waren, die ich je auf einer Demonstrationsrandale gemacht hatte. Ich war glücklich... aber richtig! Der Job war erledigt und ich konnte nach hause gehen – das heisst zum Bus.

Nach einigem Hin-und-her ließ mich auch die Polizei passieren, und ich trabte von dannen, verlief mich, fand dann doch eine Metrostation, verfuhr mich, wanderte ziellos umher, verlief mich wieder, fand wieder eine Metrostation, konnte mich nicht verfahren, weil, wegen einer Schienenbesetzung der Demonstranten, keine Metro mehr fuhr, verfuhr mich mit der Straßenbahn, fragte ein paar Polizisten, die mich verarschten, fand schon wieder eine Metrostation, Züge fuhren wieder, fuhr zum Treffpunkt, setzte mich in den Bus, war froh über meinen Fotoerfolg und entschlummerte sanft.

bis zum nächsten Gipfel...

Den richtig großen Rabatz habe ich nicht mehr mit erlebt, aber diese eine kleine Schlacht. Wie ich hörte, haben sie doch noch ein paar Weltbanker in die Finger bekommen... und sie verprügelt. Gut gemacht! Weiter so!... die einzige Sprache die sie verstehen!!!

... und auf wiedersehen!

Hier der Bericht eines deutschen Nationalisten über das Geschehen in Prag aus seiner Sicht (leider nur auf englisch)