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Briefwechsel und Gespräche
Briefwechsel Christian Worch - Peter Töpfer
Teil 6
7.6.00
Lieber Christian,
Danke für Deinen Brief von vor genau einem Monat.
Für mich gibt es keine Götter; ich beschäftige mich nicht mit so etwas, aber im Konzept einer „Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit“, die ja in Deiner Welt eine Rolle zu spielen scheint und die
„unbestechlich durch Gebete, Weihrauch, Opfer, was auch immer ist“ sehe ich doch etwas Heiliges, sehr Gefühlvolles. Aber Du meintest ja, das hätte nichts mit einem Gefühl zu tun, und ich will auch nicht mehr
länger darauf eingehen.
Ich glaube an das Paradies bzw. daß wir uns ein solches imaginieren als Ersatz oder Erinnerung an eine Zeit, in der wir nicht so elendig waren wie heute, stammes- und individualgeschichtlich. Natürlich gibt es kein
Paradies, aber ich kann deutlich eine Realität sehen, die diese Phantasie speist. Seit wir aus dem Paradies vertrieben sind, tun wir die Dinge des Lebens nicht mehr automatisch und unmittelbar, weil das
Dazu-fähig-sein ja das Paradies war. Wir müssen uns also die Dinge vornehmen zu tun, weil ihr Automatisch-erledigt-sein ja nicht mehr funktioniert. Und so stelle ich mir im Moment auch einige Aufgaben. Man kann es
auch nennen: die Aufgabe, das Paradies wiederzufinden. Abstrakt habe ich das ja schon seit meinem ungefähr 16ten Lebensjahr getan. Aber jetzt, mit 39, stehe ich endlich vor der praktischen Aufgabe bzw.
Verwirklichung. Ist doch auch schön, nicht? Spät, aber immerhin!
In diesem Zusammenhang herzlichen Glückwunsch zu Eurer Verlobung! Ich wünsche Euch alles Gute und daß Ihr auch in die Nähe des Paradieses kommt!
Daß ich geschrieben haben soll, daß das Leben keinen Sinn hätte, stimmt ganz bestimmt nicht. Ich würde gleichwohl auf jeden Fall sagen, daß es sicher keinen „übergeordneten Sinn“ hat, und auch keinen, den man
„erkennen“ könnte, es sei denn, unter „erkennen“ versteht man nichts anderes als den gedanklichen Aspekt eines Erlebens, im Prinzip nichts anderes als einem Erleben, einem Gefühl einen Namen zu geben,
was man sicherlich nicht braucht. Das ist für mich weder eine Frage des Wissens, noch des Glaubens. Die „Vertreibung aus dem Paradies“ hängt für mich mit dem Auseinanderfallen von Sinn und Sinnlichkeit
zusammen. Aber das ist das Schöne an der (deutschen) Sprache, und es zeigt, daß wir noch immer Berührung mit dem Paradies haben, wenn sie diese Zusammenhänge noch aufscheinen läßt. Die Engländer sprechen dagegen
schon nur noch von „meaning of life“. Du schreibst, daß für Dich „nötigenfalls der Sinn Selbstzweck ist“. Ich würde dagegen schon sagen, daß das Leben einen Sinn hat: eben den Sinn, die
Sinnlichkeit. Wer sinnlich ist, wer seine Sinne beisammen hat, der ist von diesen Sinnen ausgefüllt: das gibt ihm dann auch „Bedeutung“ (meaning): er fühlt sich, nimmt seinen Körper wahr, wird
selbstbewußt. Naja, so seh ich das jedenfalls.
„Noch keinen sah ich enden, auf den mit immer vollen Händen die Götter häuften Glück um Glück“, zitierst Du Schiller. Nun, da fällt mir der französische Philosoph de la Mettrie ein, der ziemlich lebensfroh war
und von sich sagte, daß er glücklich ist und dem ich das, nachdem ich in seinen Büchern gelesen habe, auch abnehme. Eins seiner Bücher ist übrigens „Über das Glück, oder: Das
höchste Gut“. Auch er „endete“ nicht gerade damit, von den „Göttern mit Glück überhäuft“ zu sein. Aber ich glaube nicht an Götter, sondern daran, daß andere Menschen ihn fertig gemacht haben,
daß andere Menschen dafür verantwortlich dafür waren, daß er z.B. so jung starb unter „ungeklärten Umständen“. Nun, sicher trägt er eine Mitverantwortung; er hätte die Lage erkennen und sich z.B. aus der
Öffentlichkeit zurückziehen müssen/können. Trotzdem glaube ich, daß sich gewisse Leute an ihm versündigt haben: Perverse. Das waren – und das ist das wirklich Einmalige und Faszinierende an seinem Schicksal
– alles sehr verständnisvolle, tolerante, aufklärerische, menschliche Menschen, ja, es waren ausgerechnet die Koryphäen der Aufklärung! Und so freute sich Lessing darüber, daß der ach so tolerante Friedrich
von la Mettries o.g. Buch, welches er „abscheulich“ fand, „selbst zehn Exemplare davon ins Feuer geworfen hat“. Wie sich Schiller später in ähnlichen Situationen verhalten hat/hätte, ist mir nicht
bekannt, aber wenn ich so ein Zitat lese, dann habe ich immer das starke Gefühl, daß die Leute, die so etwas sagen, das Glück gar nicht wollen, daß sie zu denen gehören, die es selbst zerstören. Vielleicht tu ich
dem Schiller unrecht, aber solches ist meine Erfahrung. „Ach, das Leben ist nicht da, um glücklich zu sein!“, und gleichzeitig peitschen sie auf andere ein! So, als bräuchten sie nur eine Rechtfertigung für
ihre Glückzerstörung. Ich hoffe, Du weißt, was ich meine.
Wenn „Aufgabe“, dann kann ich das nicht in Zusammenhang mit staatlichen, überhaupt mit Dingen bringen, die nicht mit meinem privaten Leben und das meiner Nächsten zu tun hat, wie Du es von Augustus schreibst.
Ich finde die Geschichte der menschlichen Staatlichkeit ein einziges Jammertal, in dem der eine oder andere sicherlich mit durchaus guten Absichten etwas hat tun wollen, aber dennoch nur zur Perpetuierung des Elends
beigetragen hat. Ich kann mir keine glücklichen Menschen vorstellen, solange es Politik und Staaten gibt. Ich will manchen nicht unrecht tun, die sich bemüht haben in einem politischen/staatlichen Rahmen. Mir fällt
im Moment keiner ein, aber dies bestimmt auch, weil ich mich nicht mit Politik und Geschichte befasse. Sicher zählt auch Adolf Hitler dazu, der auch von einem großen Gerechtigkeitsgefühl... – ja: besessen war, natürlich auch sehr viel Scheiße gemacht hat, was mit dieser gewissen Besessenheit sicher in Zusammenhang steht. Der von mir kritisierte Friedrich mag ebenfalls dennoch durchaus dazu gehören. Obwohl mir als eigentlich historisch völlig Ahnugnslosen da aus meiner sog. Allgemeinbildung heraus schon wieder der schlesische Krieg einfällt, den er aus völlig irrationalen, d.h. wahnsinnigen Gründen geführt hat, womit das Urteil schon wieder sehr viel negativer aussieht: setzen sechs. Aber Clinton ist auch nicht besser. Und da stellt der sich da hin in Moskau jetzt vor ein paar Tagen und erzählt mit salbungsvoller Stimme, was er nicht alles und mit den Russen gemeinsam für den Frieden tun will. Das Schlimme und Tragische daran ist, daß diese Leute, also auch „unser“ Außenminister Fischer, schon wissen, was Frieden ist, daß sie aber korrupt sind; gar nicht mal dem schnöden Mammon gegenüber (obwohl..., das sicher auch, siehe „White water gate“), sondern einer Kleingläubigkeit, einem Anpassungsdruck gegenüber. Dieses Pack schmeißt Bomben auf Zivile und führt Angriffskriege! Haß, Haß, Haß auf dieses Pack! Aber auch dieses “Pack” meint es eigentlich ganz gut..., es sind halt nur kleine Menschen. Es gab eben nur einen Gandhi.
Mit dem „Drohpontial“ das meinte ich irgendwie in einer Mischung aus Selbstmitleid, Ratlosigkeit, aber auch Stolz darauf, daß ich niemandem drohe o.s.ä., krieg ich jetzt nicht mehr hin. Wenn das mit Neurosen zu
tun hat (was es sicher hat), dann bin ich zumindest in dieser Richtung neurosefrei. Aber sicher werde auch ich die entsprechenden Substanzen im Gehirn auszuschütten beginnen, wie Du schreibst, wenn ich angegriffen
werden sollte. Auch werden dann bestimmt irgendwelche neuronalen Vorgänge ausgelöst werden, sprich: ich würde mir dann bestimmt etwas überlegen, einfallen lassen müssen...
Der Zusammenhang zwischen autoritärer Führung und materieller Armut ist offensichtlich und richtig. Dem zu Grunde liegt wahrscheinlich das sog. Saharasia-Prinzip (James DeMeo):
die Gesellschaftssysteme sind um so patriarchalich-autoritärer und von Gewalt geprägt, je mehr man in die Nähe der Wüste, also dem materiellen Mangel, kommt: das ist im Prinzip die Basis für die
„kulturell“-religiöse Expansion des sog. Judäochristentums, von der die sich im allgemeinen durch Toleranz und Abneigung gegen das Staatlich-Autoritäre auszeichnenden Nordgermanen z.B. erst ziemlich spät
betroffen wurden. Deutschland ist dagegen arg mitgenommen und auch infiziert worden, was sich u.a. später in dem autoritären Flügel der NSDAP geäußert hat.
Und – das ist auch der nächste Punkt in Deinem Brief – insofern wäre der Nationalanarchismus tatsächlich eine Radikalisierung des Nationalsozialismus, der von diesen Zusammenhängen nicht viel wußte bzw.
dieses Wissen unterdrückte (Herman Wirth), dessen Antijudäochristentum nur Rhetorik war, der das Judäochristentum mit judäochristlichen Mitteln bekämpft, aber nicht mit nordgermanischer Lebensweise begegnet ist. Was
den Nationalsozialismus entlastet, ist eben, daß er – da stimme ich Dir völlig zu, und darin sehe ich auch seine historische „Notwendigkeit“ oder auch Leistung – der „organisierte Überlebenswille
der Nation“ war/ist, wobei ich mir natürlich gewünscht hätte, daß die Kapitalisten Deutschland erst nie in eine solche Not gestürzt hätten, die erst die nationalen Sozialisten auf den Plan gerufen hat. Da das
„Freiheitsstreben nach innen und außen“, wie Du den Nationalanarchismus ebenfalls durchaus richtig definierst, aber unterhalb des Notwendigen, also näher an der biologischen Wurzel und am Normalzustand des
Menschen, liegt, würde ich dabei bleiben, ihn als radikaler als den Nationalsozialismus zu bezeichnen. Und sicher gehört es auch zum Ausnahemzustand, der den NS auf den Plan gerufen hat, daß zur Abwendung der Not
auch die kollektive Mobilisierung zählt. Aber auch hier bleibt es dabei: der Mensch ist an sich kein Massenwesen; er zieht es an sich vor, in seiner Sippe und seiner Gemeinde zu leben, ich jedenfalls... Freiheit,
Glück, Elend usw. sind doch immer Dinge, die nur ein Einzelner fühlen kann. Ich kenne jedenfalls keine die Individuen verbindenden Nervenbahnen. Insofern bin ich bei solchen Begriffen wie „Freiheit des
Kollektivs“, wie Du ihn benutzt, immer skeptisch. Aber sicher gibt es da auf einer anderen Ebene eine dialektische Einheit.
Der NS ist m.E. die „Antwort“ auf eine tiefe Krise gewesen (und trug von daher logischeweise auch die Spuren der Krise). Diese Krise halte ich jedoch nicht für zur biologischen Grundausstattung des Menschen
gehörig, sondern sie ist wie ein Unfall, wie ein Unglück in Gestalt von volksfernen bzw. -fremden Mächtigen von oben, von außen hereingebrochen. An diesem Punkt wich der NS natürlich auch von dem Ideal, von dem Du
sprichst (größtmögliche individuelle und kollektive Freiheit), ab und mobilisierte etwas, was eben mit einem Kollektiv, mit einer „Gruppe von Menschen, zu der man ein Gefühl spontaner Zugehörigkeit empfinden
kann“, nichts mehr zu tun hatte: nämlich die Masse. Und darin liegt das Verhängnisvolle des NS: daß er „eher die Masse sieht“, wie Du schreibst, und nicht die Individuen und ihre unmittelbaren und
gefühlsmäßig nachvollziehbaren Vergemeinschaftungen. Ich stimme Deiner und damit auch der nationalsozialistischen Definition des Begriffes Volk (siehe oben) zu; ich kritisiere nur, daß der NS das, was er so schön
definiert, auf das falsche Kollektiv glaubt anwenden zu müssen. Ich hatte zu diesem Thema erst vor wenigen Tagen ein Streitgespräch mit Wolfram Narath und möchte auch hier meine Position mal kurz darstellen. Der NS
wendet das, was er so schön und richtig definiert, nicht auf die Gruppe von Menschen an, die dieses Kriterium wirklich erfüllt, sondern auf jenes Kollektiv, das die Bevölkerung eines vom Bürgertum zusammengeschweißten Gebietes ist. Diese Bevölkerung war schon nicht mehr das wirkliche von uns beiden wie oben definierte Volk, sondern das Bürgertum nutzte die Liebe des Volkes zu sich selber aus, um die Bevölkerung, also die verschiedenen Völker (aus denen jetzt „Stämme“ wurden) künstlich und im Interesse eines größeren Profites zusammenzuschweißen. Insofern ist das Vorhaben von Kosmopoliten, die Inschrift am Reichstag in „Der Bevölkerung“ zu ändern, logisch, konsequent und also auch irgendwie ehrlich und richtig. Schon im bürgerlichen Nationalstaat haben wir es eigentlich nur noch mit einer Bevölkerung (und somit übrigens auch mit der besagten Masse) zu tun; später weitet sich diese im Verlaufe der Entwicklung des Kapitalismus sogar zur Weltbevölkerung aus. Der bürgerliche Nationalstaat ist nur und nichts weiter als eine Zwischenstation zum Globalstaat. Das Bürgertum macht vor nichts Halt. Meine Meinung und Kritik ist nun, daß die Nationalsozialisten – die neo- wie die historischen – im Grunde kein anderes Verständnis von Volk haben als das Bürgertum, daß sie dem kapitalistischen Volksbegriff und der entsprechenden Politik verhaftet bleiben bzw. geblieben sind. Ja, der Föderalismus hat im 3. Reich ein schweren Schlag bekommen. Und ich dachte, ich lese nicht richtig, als ich bei Otto Strasser, der ja wohl zu inneren Opposition gegenüber dem NS-Regim gehörte, las, daß ihm die Zentralstaatlichkeit der Leute um Hitler und Göring bei weitem noch nicht weit genug ginge, daß ausgerechnet in dem verbliebenem Föderalismus der Beweise liege, daß das, was die innerparteilichen Sieger täten, nichts mit Nationalsozialismus zu tun habe! Strasser muß ein ausgeprägter Antiföderalist gewesen sein. Insofern war er tatsächlich noch sozialistischer, modernistischer, massenstaatlicher als Hitler und Co., was ihn in meinen Augen nicht gerade sympathischer macht.
Auch so gesehen ist der Nationalanarchismus radikaler als der Nationalsozialismus: Er lehnt die bürgerlich-kapitalistische Entfremdung der Einzelnen und ihrer Gemeinschaften rundweg ab, was der NS eben nicht tat bzw.
nur in Ansätzen. Der NS war eben beides: echte Regung des echten Volkes und gleichzeitig neue bzw. beibehaltene und sogar gesteigerte Vermassung und Einpferchung. Manche sehen in dieser „Modernisierung“ noch
eine Leistung, einen „Fortschritt“. Der war es allerdings... – auf dem Weg des Fortschreitens der Menschheit von sich selbst.
Du schreibst: „Nach innen hin (sprich: in der Innenpolitik) kann der Nationalanarchismus radikaler sein als der Nationalsozialismus; er kann wegen seiner grundlegenden Wesensunterschiede aber nicht per se radikaler
sein oder geschweige denn die Radikalisierung einer ihm irgendwo nicht unähnlichen, aber trotzdem zugleich fremd gegenüberstehenden Weltanschauung.“ Ich würde eher das Gewicht legen auf „nicht unähnlich“
als auf „fremd gegenüberstehenden“. Vielleicht ist das aber auch nur ein Wunschtraum von mir. Ich glaube dennoch, daß der NS radikalisiert werden sollte und muß und daß ich dazu einige Gedanken habe. Ich
empfinde den nationalen Widerstand in einer Stagnation. Darüber kann auch nicht die Stagnation oder der Untergang der Antifa hinwegtäuschen. Eine gewisse Ratlosigkeit macht sich doch breit. Aber vielleicht teilst Du
diese Beobachtung nicht. Die „Wesensunterschiede“ sind nicht „grundlegend“, weil vieles im NS durchaus nationalanarchistische Züge hatte (Darré). Der NA kann also eine Radikalisierung des NS darstellen, weil er einfach als mit dem NS gewisse Ähnlichkeiten aufweisend verglichen werden kann. Ich glaube, die Stagnation des NW hängt mit der seiner Verhaftung im Bürgerlichen, mit allem, was das impliziert, zusammen (bürgerliche Moral, bürgerliche Kultur usw.). Die Energie und die Überwindung der Stagnation kommt aber aus den tieferen Schichten, nämlich jenen, die von der Bürgerlichkeit verdeckt und zurückgehalten werden, also aus der Natürlichkeit, worin ich mit Peter Jagodczynski übereinstimme.
Mein Hamburg-Besuch steht andauernd in unmittelbarer Nähe... Aber ich werde kommen... inzwischen habe ich schon mehrere Leute zu besuchen... mit einem von ihnen würde ich Dich gern mal bekanntmachen... Doch dazu
persönlich.
Beste Grüße
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