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der Neuen Rechten
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Peter Töpfer: „Neue Kultur“? Eine nihilistische Tabularasa als Grundlage einer Neugeburt
(Der Aufsatz erschien in Sleipnir. Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik 1/2000)

Im Leitartikel „Wir lassen uns nicht tätowieren!“ der „Buchzeitschrift des Thule-Seminars e.V. ELEMENTE der Metapolitik zur europäischen Neugeburt 6/98 von Pierre Krebs wird festgestellt, daß „die meisten Politologen (...) ohne zu mucken“ der Forderung des Systems nachgeben, „eine Spielkarte zusammenzubasteln“, die „Neue Rechte“ heißt. Krebs: „(...) die Medien zeichnen nur ein Trugbild von der ‚Neuen Rechten’“. Die sprachliche Ungenauigkeit deutet auf ein Problem hin; sie läßt die Frage offen, ob es für Krebs eine „Neue Rechte“ überhaupt gibt, ob diese ausschließlich ein Produkt von Systemjournalisten ist, um „besser kontrollieren zu können, nachdem man sie [die ‚Neue Rechte’] in einem künstlichen Ghetto isoliert hat“, oder ob Krebs sie doch für existent hält, von den Systemmedien nur falsch dargestellt. Hat das System die „Neue Rechte“ isoliert, oder hat das System Denker als „Neurechte“ isoliert? Gibt es eine „Neue Rechte“, die in ein Ghetto gesperrt wird, oder gibt es sie gar nicht? Es liegt offensichtlich eine Unsicherheit, eine Ungenauigkeit in der eigenen Bestimmung vor, die auch prompt selbst eingeräumt wird: „(...) das ‚Thule-Seminar’, die Pionierbewegung der ‚Neuen Kultur’, hat sich seit seiner Gründung im Jahre 1980 dieser Medien-Tätowierung nicht entziehen können.“ Pierre Krebes scheint sich jedenfalls, ähnlich wie Alain de Benoist, der immer wieder betont, der Begriff „Neue Rechte“ sei eine Erfindung der Medien (1), einer „Neuen Rechten“ nicht zugehörig zu fühlen. Er unterscheidet aber selbst nicht konsequent die Begriffe „Neue Rechte“ und „Neue Kultur“. Das liegt daran, daß er noch nicht konsequent in der „Neuen Kultur“ angekommen ist; daß er der Rechten verhaftet ist, in deren Erneuerung er stecken bleibt, anstatt sie wirklich hinter sich zu lassen. Die „Neue Rechte“ existiert also nicht nur als Produkt der Systemmedien. Oder anders gesagt: Die „Neue Kultur“ läßt sich nicht nur zur „Neuen Rechten“ „tätowieren“, sondern sie spielt das Spiel der Systemmedien mit, indem sie sich nicht von ihrer „(neu)rechten“ Vergangenheit trennen kann. Sie bedient den System-Begriff „Neue Rechte“ selbst und damit das System.

Das Projekt einer „Neuen Kultur“, wie es bei Pierre Krebs aufscheint, ist wert, ernst genommen und betrieben zu werden. Die Rechtslastigkeit des Projektes gilt es jedoch durch eine Zugabe linker Gedanken zu korrigieren. Die „Neue Kultur“ befinde sich „außerhalb der Weltanschauung, die reaktionäre Rechte und unzeitgemäße Linke einschließt“. Eine solche „Neue Kultur“ gibt es aber noch nicht. Die Linke muß sich der Rechten öffnen, und die Rechte muß von der Linken annehmen; dann kann eine „Neue Kultur“ Wirklichkeit werden, kann die Rechts-Links-Dichotomie überwunden werden. Die von rechts initiierte „Neue Kultur“ bedarf der linken Korrektur und Bereicherung. 

Worin bestehen Rechtslastigkeit der „Neuen Kultur“ und linkes Korrektiv?

Pierre Krebs selbst erkennt und kritisiert die Verhaftung im Konservatismus, will sich von diesem lösen und akzeptiert den Konservatismus nur im Sinne von Moeller van den Bruck, der „sich der diesem Begriff innewohnenden Schwächen völlig bewußt war“, und der eigentlich „seine Gedanken (...) um dem Begriff ‚Futurismus’ zu kristallisieren [gedachte]“. Moeller’scher Konservatismus (Futurismus) und also auch „Neue Kultur“ bedeute keine Reaktion, sondern „Lebendiges, Nichterstarrtes“. „Futurismus“/„Neue Kultur“ empfinde die Tradition niemals als Folklore, „sondern als lebendige Quelle der Wiederbeseelung im Dienst neuer Ideen, die dauerhaft und ‚grundlegend’ sein sollen.“

Dauerhaft und solide gegründet waren die unpolitisch organisierten, staatenlosen Urgemeinschaften, die Jahrtausende überlebten. Erst die Moderne und die Gier der Zivilisierten, also der Kapitalismus, haben diese Urgemeinschaften von außen zerstören können. Diese Urgemeinschaften der sog. Naturvölker sind gemeinsamer Nenner, gemeinsames Ziel und Vorbild bzw. Orientierungshilfe der vom Konservatismus und der von der emanzipatorischen Linken Herkommenden, die die „Neue Kultur“ verwirklichen müssen. Es kann für beide nur ein Weg zurück nach vorn zur Natürlichkeit und weg von der Moderne geben. Pierre Krebs denunziert aber die „Krämerzivilisation“ als „neo-primitiv“ (2); das läßt Zweifel aufkommen.

Die radikalemanzipatorische Linke muß die Exkonservativen davon überzeugen, daß die „lebendige Quelle“ in keinem „Dienst“ steht, auch und erst recht nicht in dem einer „Idee“, und sei sie „neu“. Solange der Konservative Finalismus und Teleologie anhängt, d.h. solange er im Zweckdenken verhaftet ist, anstatt die Dinge, das Leben als Leben und nur als Leben, ohne „höheren Zweck“, für sich selbst und aus sich selbst heraus anzuerkennen, zu bejahen und zu feiern, sprich: solange der Konservative nicht Nihilist wird, solange bleibt er der Moderne verhaftet und kann nicht wirklich Schöpfer einer „Neuen Kultur“ sein. Die Neurechten sind vom Nihilismus entfernt. (3) Pierre Krebs schreibt, „neue Staatschefs“ würden „die Bühne betreten“ (...), kühne Erzeuger eines neuen Gesellschaftskonzepts, in dem das irdische Glück nicht mehr als Selbstzweck, sondern als Ergebnis des stärksten Willens handelnder Menschen aufgefaßt wird“. (4)  (hervorgehoben von P.K.) Nach Paul Valéry gehe „jede wahre Politik mit einer bestimmten Auffassung vom Menschen einher“; dieser Normativismus sei Grundlage der „Neuen Kultur“. Er spricht davon, die „Neue Kultur“ wolle die Gesellschaft „nietzscheanisieren“, aber er selbst ist zu wenig nietzscheanisch, bleibt selbst im Normativen stecken.

Richard Wagner sagte einst, deutsch sein hieße, die Dinge um ihrer selbst willen zu tun. In diesem Sinne muß die „Neue Kultur“ „deutsch“ sein oder sie wird nicht sein. Pierre Krebs: „Die ‚Neue Kultur’ ist eine auf Veränderung hinarbeitende, intellektuelle, ethische, spirituelle Bewegung.“ Solange sie all dies ist, arbeitet sie auf keine wirkliche Veränderung hin, jedenfalls auf keine gründliche, von der Moderne Abschied nehmende. Intellektualität, Ethik, Spiritualität sind die „alte Kultur“. Eine „Nietzscheanisisierung“ reicht nicht aus, um das Elend und die Dekadenz der Zivilisation zu beseitigen, um wirklich zu „verändern“; es muß eine „Stirnerisierung“ erfolgen, eine komplette Nihilisierung (aller „Ideen“). Der Anstoß dazu kommt von der radikalen, anarchistischen Linken. Diese radikale, emanzipatorische Linke geht effektiv den Weg, von dem die Konservativen nur träumen.

Die rechte, konservative Last ist schwer, die daran hindert, die Neue Kultur, das „Aufdämmern“, das „Erwachen zu volklich-jugendlichem Licht“, zu verwirklichen. Pierre Krebs und Mitstreiter versuchen, den „Weg zu bahnen, der (...) die Geburt Europas (...) einleiten wird“. Schauen wir genauer hin:

Der erste Elemente-6/98-Beitrag heißt „Mythos Europa“ und ist von Günter Kaufmann. Vorweg steht die Abbildung eines Gemäldes „Europa“ von Josef Peiper: eine nackte, üppige, vollfleischige Frau, die jedoch – im Damensitz den Stier reitet. Eine solche Europa wird nicht lange auf dem Stier sitzen, kommt erst nur in der Phantasie des Künstlers in dieser Art auf den Stier, ist Symbolismus. So kann eine Frau nicht wirklich reiten, und so wird auch Europa nicht „reiten“ können, so wird es also auch keine „dauerhafte“ „europäischer Ordnung“ geben. Warum wählt man dieses antiquierte Bild? Eine starke, schöne, echte, wirkliche, also breitbeinig und rittlings reitende Frau wäre schöner gewesen. Man hätte sie ja auch auf ein Pferd setzen können, oder auf einen Mann. Günter Kaufmann schreibt: „Wir Europäer wollen den anderen das Goldene Kalb und des Moses Gesetzestafeln überlassen. (...) Wir lachen der Niedrig-Geistlosen, die Recht und Freiheit der Welt gepachtet haben wollen.“ Angenehm kurz sein Beitrag, kein nervendes mythologisches Zerreden der einfachen Ursubstanz dieses Mythos‘, nämlich Schönheit und Stärke von Mann und Frau.

Aber laßt doch „die anderen“ das „Recht pachten“! Warum schreibt Kaufmann nicht?: „Wir lachen derer, die von ‚Recht’ und ‚Freiheit’ faseln!“ Denn wenn „Europa“, also wir und unsere „Neue Kultur“, erwachen soll, dann nur aus unserem Fleisch, Blut und Willen, und aus keiner Idee, und sei sie die von „Recht und Freiheit“. Die mit den „Gesetzestafeln“ sind nicht „Niedrig-Geistlos“, sondern gerade sie sind die Höheren und Geistvollen; die Gesetze sind das Hohe, das Über-uns-stehende, das Geistige, also das Produkt der Lebenszerstörung und das Mittel zur Reproduktion der Lebenszerstörung. Schluß mit dem Zurechtmythisieren! Wir brauchen keine Mythen, und auf keinen Fall brauchen wir Mythologien. Wir müssen Moses nicht Homer entgegenhalten; wir müssen nicht „Odin statt Jesus“ sagen. Nur uns Heutige nehmen wie wir sind und zu unserem Lebenswillen stehen! Das mag Mythos genug sein... Und: Was soll Kaufmanns Antiamerikanismus? Was interessiert mich Amerika, außer daß ich keine Amerikaner in Europa Krieg machen sehen will? Kaufmanns: „Er [der ‚Mythos der Europa’] erhebt eine liebliche Jungfrau zum Sinnbild der von Gott umworbenen Schönheit.“ „Von Gott umworbenen“ ist überflüssig.

Im nächsten Elemente-6/98-Beitrag schreibt Pierre Krebs: „Das krankhafte Bestreben nach der ‚Sich-Gleichsetzung mit Irgendwem’ [Nietzsche, Ecce Homo] verdrängt dabei den griechischen Spruch ‚Werde, was Du bist’, der die reinste und die edelste Geisteshaltung indo-europäischen Menschentums verkörpert.“ Wenn das „Indo-Europäertum“ bedeutet, will ich gern „reinster und edelster Indo-Europäer“ sein... Wagners obige „deutsch“-Definition bedeutet nichts anderes. Krebs zitiert aber in diesem Zusammenhang weiter Nietzsche (Ecce Homo): „Die Deutschen sind für mich unmöglich.“ Das heißt nichts anderes, daß die Deutschen nicht „deutsch“ in Wagners Sinn sind. Eben weil sie sich „gleichsetzen“ anstatt schlicht und einfach „sie selbst“, also „deutsch“ im Sinne Wagners, ohne Normativismen und Präskriptionen, zu sein. Um wieviel „deutscher“ dann doch der Nihilist Max Stirner, von dem Carl Schmitt schreibt: „So hat er den schönsten, jedenfalls deutschesten Buchtitel [„Der Einzige und sein Eigentum“] der ganzen deutschen Literatur gefunden.“ (5) Stirner schreibt: „Nun bemühen sich die Nationalen, die abstrakte, leblose Einheit des Bienentums herzustellen; die Eigenen aber werden um die eigen gewollte Einheit, den Verein, kämpfen. Es ist dies das Wahrzeichen aller reaktionären Wünsche, daß sie etwas Allgemeines, Abstraktes, einen leeren, leblosen Begriff herstellen wollen, wogegen die Eigenen das stämmige, lebenvolle Einzelne vom Wust der Allgemeinheiten zu entlasten trachten. Die Reaktionären möchten gern ein Volk, eine Nation aus der Erde stampfen; die Eigenen haben nur sich vor Augen. (...) Die Deutschen werden aber nur dann einig werden, d.h. sich vereinigen, wenn sie ihr Bienentum sowohl als alle Bienenkörbe umstoßen; mit andern Worten: wenn sie mehr sind als – Deutsche; erst dann können sie einen ‚Deutschen Verein’ bilden. Nicht in ihre Nationalität, nicht in den Mutterleib müssen sie zurückkehren wollen, um wiedergeboren zu werden, sondern in sich kehre Jeder ein.“ (6) Stirner ist nicht der ihm oft unterstellte „Egoist“, „Individualist“. Für ihn gibt es nicht nur den „Verein“, sondern sogar den „Deutschen Verein“. Jeder Verein ist ein einziger und hat einen nationalen Aspekt, kann also konkret „deutsch“, oder besser „fränkisch“, „badisch“ usw. sein, ja soll es sein, wenn er ein Verein von Eignern, freien Menschen, die ihr Eigenes leben und schützen, sein soll. Und diese Eigenen bilden einen „stämmigen, lebenvollen“ Verein: einen lebendigen Stamm. Der Stamm aber, die Urgemeinschaft, ist nichts anderes, was der Nationale wirklich meint, wonach er sich im Grunde sehnt, wenn er „Nation“ sagt; denn das ist nicht der bürgerlich-kapitalistische Nationalstaat, der nur als Begriff existiert, als Wahn, weil er ein Konstrukt bürgerlicher Herrschaft ist, der die Stämme, die wirklichen Nationen, ausbeuten muß, erst im nationalstaatlichen, dann im globalen Rahmen. Stirner setzt den „Deutschen Verein“ in Anführungszeichen, denn tatsächlich gibt es keinen deutschen Stamm, sondern nur Stämme, die sich zu einem deutschen Stammesbündnis – vereinen können.  Es gibt wohl kaum eine besser Definition von „nationaler Anarchie“ als das obige Stirner-Zitat.

Es geht also nicht um das Sich-gleich-setzen, sondern um das Gleich- bzw. vereint-sein bzw. um das Sich-vereinen. Niemand kann mir vorschreiben, kann ein Gesetz daraus machen, welchem Verein, welchem Stamm, welcher Nation ich angehöre. Das ergibt sich nur aus mir selbst und meines Hineingeborenseins heraus. Das verdrängte „Werde, was Du bist“ muß zurückkehren: die „Rückkehr des Verdrängten“ (Motto des Ahriman-Verlages und des Bundes gegen Anpassung).

Wenn darin die „Werte“ der „Neuen Kultur“ und des „heidnischen Indoeuropas“ im Sinne Pierre Krebs’ bestehen, wird die radikale Linke ganz gewiß über eine Konvergenz mit sich reden lassen. Sie wird sogar diese Begriffe nicht unbedingt nihilisieren wollen; sie kann damit leben.

Wie kann dann die „Rückkehr des Verdrängten“ aussehen? Die Antwort kann nur lauten: Das „Werde, was Du bist!“ muß grundlegende Geltung haben; und dies vor allem im Verhältnis der Eltern gegenüber den Kindern. Denn wie soll aus jemandem werden, was er ist, wie soll jemand er selbst sein, wenn ihn seine Eltern mit Gewalt daran hindern? Wenn sie aus ihm etwas machen, ihn zu etwas erziehen wollen, was er nicht ist? Das aber ist der Hauptgedanke der emanzipatorischen, antiautoritären, libertären, radikalen Linken. Die Vordenker der „Neuen Kultur“, also die, die die „Neue Kultur“ aus neurechter Herkunft anvisieren, lassen es an konkreten Vorschlägen, an Überlegungen zur Praxis und an der Praxis selbst ermangeln. Welche Taten sollen diese „Rückkehr“ nach „Alteuropa“ bewirken, diesem Ziel, mit dem auch wir Linksradikalen uns anfreunden können? Wie wollen wir wieder „Europäer“ werden, d.h. sein? Wie wollen wir wieder souverän und frei, d.h. Eigner werden, die in freien Vereinen, in freien Stämmen leben?

Die Neue Rechte beantwortet diese Frage im wesentlichen mit Ideen, insbesondere mit einer Denunziation des „Judäochristentums“. Sie macht keine Vorschläge und keine Anstalten, eine praktische, eine „materielle“ Änderung in die Gänge zu leiten; genau so wenig beschreibt sie konkret, worin eigentlich das „Judäochristliche“ besteht und was seine Verheerungen sind. Sie stagniert in ihrer Ankündigung einer „Neuen Kultur“. Pierre Krebs schreibt: „Denn dieses [das deutsche] Volk (...) hält den Schlüssel unseres Lebens wie auch unseres Todes in der Hand, je nachdem, ob sich die Deutschen ‚der starken Rasse’ [Nietzsche, Ecce Homo] zu einer Neugeburt (...) aufraffen (...), oder ob sie sich weiterhin weigern, ihr Schicksal anzunehmen und sich lieber für immer auf den Friedhof der untergegangenen Völker legen – mit Freud an ihrer Psycho-Couch.“ Was Krebs nicht weiß, ist, daß Freud Teil eines bedeutenden Revitalisierungprojektes im 20. Jahrhundert war, eines Projektes der Wiederaneignung der Selbste, der Identität, also gerade der Schicksalsannahme. Freilich ist die Psychoanalyse kläglich gescheitert und hat Freud resigniert, und so gesehen spottet Krebs zu recht. Aber aus ihr hervorgegangen sind bedeutende emanzipatorische Schulen, die ganz bedeutsame Beiträge bei der tatsächlichen Befreiung des Menschen von den Geiseln, die mit „Judäochristentum“ umschrieben werden können, geleistet haben. Als Beispiele sind hier das Wirken von Wilhelm Reich, Fritz Perls (Gestalttherapie), Arthur Janov (Primärtherapie), Alexander S. Neill (antiautoritäre Erziehung) und Frédérick Leboyer (sanfte Geburt) zu nennen. Die postfreudianischen Psychotherapien – die alle zumindest eine Zeitlang mit der radikalen Linken verbunden waren – haben die Psychoanalyse weit hinter sich gelassen. Sie haben die Ebene des Verbalen, Kognitiven und Symbolischen hinter sich gelassen und sich weit ins Biologische hinein vorgearbeitet; wobei „biologisch“ hier nicht im mechanistisch-biochemischen Sinn gemeint ist, sondern im ontischen, im Sinne der „Tiefenperson“ von Friedrich Kraus. (7) Ihr Wirken war ein großer Beitrag zur Bekämpfung der Entfremdung des Menschen und zur Wiederherstellung seines Heils, seiner Ganzheit. So aufersteht wieder die „starke Rasse“, von der Nietzsche spricht, der dies ganz sicher nicht rassistisch, d.h. gentechnisch meint.

Pierre Krebs spricht davon, daß „Deutschland noch jederzeit fähig (ist), sich durch eine geistige und seelische Umwertung zu regenerieren“. (8) Wie sieht eine „geistige und seelische Umwertung“ konkret aus? Kann die Seele überhaupt von einer Umwertung betroffen sein oder gehören “Werte” und “Seele” nicht ganz verschiedenen Ebenen an? Wie soll die Verelendung, das Seelenunheil überwunden werden? Was ist konkret das Dekadente im Persönlichen, im Leben jedes Einzelnen? Wie soll die Fäulnis verschwinden, die Krebsepidemien? Krebs spricht von einer „vorzeitigen Vergreisung“. Etwa mit Ideen, mit Reden? Muß es nicht aus dem Blut und dem Fleisch heraus geschehen? Was heißt aber Blut und Fleisch, wenn nicht Gefühl und Instinkt? Ein neuer europäischer Beginn muß menschlich sein, muß den Menschen so akzeptieren, wie er ist, nicht unter- und nicht übermenschlich. „Nietzscheanisch“ sein heißt vor allem auf alles Historisierende, alles Ideelle zu pfeifen, es einfach links liegen zu lassen. Was tut die Neue Rechte trotz ihres Bezuges auf Nietzsche? Alles Ideologische muß wirklich auf dem Misthaufen landen, muß wirklich völlig gleichgültig werden, wollen wir die Dekadenz wirklich hinter uns lassen. Sie ahnt die Ursachen für die Dekadenz, den lebensfeindlichen Geist, macht ihn im „Judäochristentum“ aus. Meinetwegen; das mag, historisch betrachtet, nicht falsch sein. Aber was tut sie, außer gebetsmühlenartig auf diesen Feind wie einen Überlegenen, Übermächtigen zu weisen? Wie wirkt dieses „Judäochristliche“ konkret und real in den Familien, im Schicksal eines jeden einzelnen? Ist eine Benennung wie „Judäochristentum“ nicht schon eine Flucht, ein Ausweichen vor wirklichen Veränderungen? Wie verpestet und verkrebst das „Judäochristentum“ die Menschen, wie macht es sie zu Opfern? Wie wird den Kindern das Leben, das Strahlen, die Fröhlichkeit, die Lebenslust ausgetrieben? Wie werden sie zu blassen Wracks? Wir gehen davon aus, daß Pierre Krebs die judäo-christliche Zivilisation überwinden will, nicht weil ihm die Gedanken der Judäo-Christen nicht gefallen, sondern weil etwa die judäo-christliche Moral in ihrer Auswirkung auf das praktische Leben eine Zumutung für die Existenz, das Lebensgefühl eines Menschen darstellt, weil sie den Menschen aus dem Gleichgewicht und in Streß bringt, in Unbehagen, weil sie uns tagtäglich in unserer Natur, unseren Gefühle, Instinkten, Bedürfnissen und in unserer Ehre und unserer Würde vergewaltigt, nicht mit Gedanken, sondern mit konkreten Handlungen, Taten bzw. Unterlassungen, Entzügen; und uns einredet, Wohlbefinden sei etwas Irreales. Wenn das alles „judäo-christliche Zivilisation“ meint (was ich nicht weiß und was mich auch nicht interessiert) und wenn diese abgeschafft werden soll, dann muß konkret in diese Mechanismus mit Taten eingegriffen werden, dann muß dort angesetzt werden.

Die Linke, die Stimme der Emanzipation, sagt und schlägt vor: Jede Regung von Liebe, von Güte, von Entschlossenheit, Souveränität nimmt dem „Feind“ Raum. Es kommt auf die tatsächliche Regung an. Der „Feind“ ist das Lebensfeindliche in und außer uns, unsere Angst, unsere Hemmung, Verklemmung, Feigheit. Dieser „Feind“ ist zu „besiegen“, indem wir ihn annehmen. Wir sagen: Ja, wir sind ängstlich, ja, wir sind verklemmt, wir fühlen diese Angst, und in diesem Gefühl steckt die Energie, steckt die Lebendigkeit und die Identität. Es ist besser, Angst zu fühlen als gar nichts zu fühlen; besser ängstlich als sinnlos und scheintot.

Der Artikel von Pierre Chassard „Panmixie oder Identität der Menschheit?“ beginnt bezeichnenderweise mit einem Zitat eines jüdisch-nationalen Theoretikers. Das soll wahrscheinlich ein Alibi dafür sein, auch als Nichtjude für seine „Identität“ eintreten zu dürfen, als wäre nicht längst schon klar, daß das Judentum Vorbild für Nationalismus, Faschismus und Fremdenhaß ist. Logisch, daß sich europäische Rassisten auf jüdisch-nationale Theorien berufen.

Vielleicht gibt es wirkliche Auswirkungen von Rassevermischungen auf das subjektive Empfinden der Betroffenen, aber genau das interessiert die Rassenkunde wenig, die im Äußerlichen oder im abstrakt Genetischen bleibt. Aber sieht man sich das Äußere von Mischlingen an, so fallen einem doch gerade hier oft sehr schöne Menschen auf. Damit soll keineswegs zu „binationaler Ehe“ oder dergleichen aufgerufen werden, die aus kulturellen und mentalitären Gründen nur allzu oft in einer Katastrophe endet. Rassevermischungen haben möglicherweise auch ungünstige gesundheitliche Folgen, aber wer mag wirklich wisssen, ob im Falle einer Krankheitsanfälligkeit nicht doch Umwelteinflüsse die entscheidenden sind? Die Rassenfrage verleitet kaum zu interessanten Gedanken, aber eins muß den Rassologen einmal gesagt werden: Ob jemand glücklich wird bzw. ist, das hängt bestimmt in erster Linie nicht davon ab, ob er das Ergebnis von mischrassiger Fortpflanzung ist. Die Tatsache, daß alle Menschen der Spezies Mensch angehören, scheint die Rechte zu unterschätzen und zu vernachlässigen. Die eindrucksvolle Abbildung zum Chassard-Artikel auf S. 32, ein vielfach gespaltenes, in viele Teile zerrissenes Kind, das keine eigene Identität besitzt, illustriert sehr gut den Zustand eines Kindes, das sich selber entfremdet ist, das kaputtgemacht wurde. Diese tragischen Schicksale sind aber in unserer Zivilisation leider eher der Normalfall ist, ohne daß dies auch nur ansatzweise in einen Zusammenhang mit irgendwelchen Genen gebracht werden kann. Die Unsensibilität und die Abgestumpftheit der meisten Zeitgenossen machen es jedoch verständlich, wenn behauptet wird, die Ursachen für psychische Krankheiten liege im Genetischen. Chassard schreibt auf S. 40: „Der Mischling ist umso unharmonischer, das heißt häßlicher, desto mehr die elterlichen Typen voneinander physisch und psychologisch, auf allen Gebieten divergieren.“ Nun, darin könnte etwas Wahres liegen, aber Disharmonie und Häßlichkeit der Menschen sind doch in erster Linie Resultat der sog. Erziehung, also der Abrichtung nach „judäochristlichem“ Muster und der Selbstentfremdung. Ein Mensch, der er selbst ist, der nicht gespalten ist, ist stets harmonisch; da spielen rassische Gesichtspunkte kaum eine Rolle. Wenn er Opfer der Xenophobie wird und darunter leidet (ohne jetzt das xenophobe Verhalten von Menschen zu verurteilen), heißt das immer noch nicht, daß „Gene“ daran einen Anteil haben.

„Die Drahtzieher des Universalismus hoffen auf eine planetarische Panmixie. Sie würde aber zur Zerstörung der natürlichen Realität führen“, heißt es unter der Abbildung. Ein Kind von rassisch verschiedenen Eltern ist aber eben doch auch eine „natürliche Realität“. „Australiden“, „Negrillen“ und „Capiden“ können nun mal gemeinsam Kinder haben, auch wenn es dazu in einer nichtkapitalistischen Welt kaum dazu kommen dürfte.

„Neue Kultur“ ist schön und gut, und wir werden dieses Projekt mit Interesse verfolgen. Aber diese „Neue Kultur“ braucht einen starken linken Flügel, muß die Wucht und den Drang des Linken, des Befreienden, des radikal Freisetzenden integrieren. Wenn die „Neue Rechte“ ihre System-Tätowierung abstreifen und konsequent zur Neuen Kultur vorstoßen will, sollte sie sich der Linken und deren starken antisyphilisatorischen Impulsen gegenüber öffnen.

 

 1 zuletzt wieder im Gespräch mit Jürgen Schwab in der Deutschen Stimme 5/2000

 2 Pierre Krebs, Das Deutschtum am Scheideweg, Elemente 6/98 S. 20, rechts oben

 3 Auch Pierre Krebs benutzt diesen Begriff trotz Nietzsche-Kentnissen pejorativ: ebenda S. 18, rechts, Mitte.

 4 ebenda, S. 21

 5 Carl Schmitt, „Weisheit der Zelle“ [1947], Ex Captivitate Salus, Köln 1950; hier zitiert nach Bernd A. Laska, „Katechon“ und „Anarch“. Carl Schmitts und Ernst Jüngers Reaktionen auf Max Stirner, Nürnberg 1997, S. 29. Siehe hierzu Peter Töpfer, Der Katechon als Selbstbremse, eine Rezension des Laska-Buches in Sleipnir 5/99 oder http://www.nationale-anarchie.de/Auseinander-_und_Zusammensetzu/Mit_Reaktionaren/Laska/laska.html und www.lsr-projekt.de

 6 Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, Reclam Universalbibliothek, S. 254/255

 7 Friedrich Kraus, Allgemeine und spezielle Pathologie der Person – Klinische Syzygiologie, Leipzig 1926. Erwin Chargaff sagte 1977: „Ich habe dreißig Jahre gebraucht, bis ich erkannt habe (...), daß das, was wir Biochemie nennen, eigentlich Nekrochemie heißten müßte.“ Gespräch mit E. Chargaff, Man braucht eine kritische Naturwissenschaft, in: Nachrichten aus Chemie, Technik und Laboratorium, 25/1977, zit. Nach B. A. Laska, Wilhelm Reich, rororo-Bildmonographie, 1981 Reinbek

 8 Pierre Krebs, a.a.O.