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Peter Töpfer: Anarchisten mit dem Kopf im Sand verzweifelt im antinationalen Abwehrkampf

Zum Aufsatz “Auf zu alten Ufern?” von Wladimir Krotkow in Direkte Aktionanarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Unioin (FAU/IAA, www.fau.org) Juli/August 1999

Der Autor spricht von der UdSSR als dem “übermächtigen imperialistischen Ungeheuer”; er schreibt: “Wir, als Linke, erkennen natürlich das Recht jeder Nation auf Selbstbestimmung bis hin zur Abtrennung an.” Damit zeigt er ausreichend an, daß er Nationaler ist, daß die Leute, an die er sich mit seinem Briefartikel wendet (westliche Anarchisten), nicht seine wahren Genossen ist, denn diese “scheißen auf Deutschland”. Für diese ist eine solche Äußerung ein Skandal. Aber sicher verzeiht man einem im fernen Osten lebenden Hinterwäldler mitleidig-großzügig das, wofür ein Mitteleuropäer als Faschist bezeichnet wird und Dresche kriegt. Vielleicht aber auch ist der nationale Gedanke auch bei der FAU/IAA noch nicht ganz ausgerottet; schließlich macht sie doch noch Werbung für eine “Filmnacht ‘500 Nations’” über die Geschichte der “mehr als 500 indianischen Völkern (...)”, von denen “am Ende des 19. Jahrhunderts nur wenige in den Reservaten den Krieg des weißen Mannes überlebt hatten”... Wer weiß. (Außerdem ist zu be(ob)achten, daß die meisten Mitglieder der mitteldeutschen Sektionen der FAU/IAA Landanarchisten sind.)  Es ist bestimmten Leuten noch nicht gelungen, die Linke von bestimmten Vokabeln zu entfremden, sie von bestimmten Realitäten abzuschneiden. Krotkow ist in der Situation, daß er dem Antinationalismus der westlichen Linken (noch) nicht (ganz) erlegen ist, daß er aber die Alternative, nämlich die nationale Anarchie (noch) nicht sieht. Er ist über das rotbraune Bündnis und dessen Fortschritte und Stärke entrüstet, beleuchtet es zu großen Teilen zurecht sehr kritisch, aber auf die Idee zu kommen, daß sich Anarchie und Nation verbinden lassen, kommt er nicht. Und dies, obwohl es in Rußland nicht nur zu den altbekannten rot-braunen Bündnissen gekommen ist (gähn!; wer sich davon überrascht zeigt, hat nun wirklich keine Ahnung), sondern auch schon längst zu nationalistisch/anarchistischen Aktionsbündnissen (siehe den “Fall” Kostenko!). Daß Krotkow dieses Bündnis nicht erwähnt (oder nicht zur Kenntnis nehmen will), daß er sich bei der eingangs zitierten Position zur nationalen Frage und bei seiner Kritik am Liberalkapitalismus nicht zu nationalanarchistischen Positionen durchringt, ist allerdings mehr als verwunderlich; es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.

Das mindeste, was man Krotkow vorwerfen oder zu seiner Entschuldigung sagen muß, ist, daß er keine Ahnung hat. Wie kann man sich bestürzt darüber zeigen, wenn sich Kommunismus und Nationalsozialismus heute annähern? (Fast jeder dritte Satz beginnt mit: “Stellt euch vor!”) Es hat sich offenbar noch immer nicht herumgesprochen, daß beide im Prinzip ein- und dieselbe Sache sind und sich früher oder später vereinen müssen. (Er sollte einmal die antinationalen Chefschreiber lesen und sich diesen gefälligst richtig und ordentlich unterwerfen!) Und – was die nationale Frage anbelangt – ist dieses Bündnis nicht nur logisch, sondern auch zu begrüßen. Daß Krotkow nichts gegen die Selbstbestimmung des russischen Volkes hat, haben wir von ihm gehört. Wie aber drückt es sich bei ihm konkret aus: in der Tat, in der Realität, und nicht nur auf dem Papier oder als Sprechblase? Um diese Frage zieht er einen großen Bogen: wahrscheinlich aus Angst, zum “Faschisten” gestempelt zu werden.

“Wenn wir uns die Tätigkeit der ‘Kommunisten’ in der Staatsduma näher ansehen, müssen wir feststellen, daß alle Gesetzesinitiativen zum Verbot des Nazismus, Faschismus, des Hakenkreuzes usw. [usw.! Verbieten!, verbieten!: alles verbieten!] am Widerstand der KPRF gescheitert sind”, schreibt Krotkow. Wenn an den russischen Kommunisten im vorliegenden Falle etwas sympathisch ist, dann doch wohl ihr Eintreten für politische Freiheiten und die Meinungsfreiheit. Anstatt sich diesem Kampf anzuschließen und libertäre Positionen im oppositionellen Lager zu stärken, echauffiert er sich wie eine blöde Gans.

Und dann das ganze Theater um “Juden” und “Antisemitismus”! “Jude sein ist keine Volkszugehörigkeit, sondern ein Beruf”, wird ganz aufgeregt das ZK-Mitglied Albert Makaschow zitiert (und die DA-Redaktion stellt es noch mal in einer Zwischenüberschrift groß raus). Bei einigen Juden (Zionisten) herrscht zwar die Sicht vor, daß die Juden ein Volk sind (wollen unsere Antivölkischen etwa das hören?), aber auch das Gegenteil – daß nämlich die Juden kein Volk sind – hören wir auch Tag für Tag von Juden in der Abwehr von “Antisemitismus” – ohne daß uns allerdings gesagt würde, was das Judentum dann sei. Daß Jude-sein bei all dieser Nebulosität um eine ethnisch-religiöse Definition schlicht auch bedeuten kann, einer Gruppe zur Wahrung von gemeinsamen Interessen, also auch materieller, anzugehören (und daß also durchaus von einer Berufsgruppe gesprochen werden kann), daß dies mitunter der einzige gemeinsame Nenner “der Juden” ist, daß auch der Holocaust zum Geldverdienen benutzt wird, auch das haben wir oft genug aus jüdischem Munde selbst gehört. Das Wort “There’s no business like shoa business” stammt auch aus jüdischem, und nicht etwa “jüdisch-antisemitischem”, Munde (Elie Wiesel) und wurde von vielen kritischen Juden seither geäußert (Tom Segev, Henryk M. Broder u.v.a.) Was also soll nur so skandalös sein an dem Makaschaow-Zitat? Liegt es vielleicht daran, daß Krotkow (wie bisher die meisten Linken) auch hier wieder einen großen Bogen um eine bestimmte Frage macht? Vielleicht sollte er sich einmal entspannt hinsetzen oder sich zur Meditation hinlegen und die ganze Sache ordentlich thematisieren und erörtern, anstatt mit Reflexen zu reagieren. Was hindert ihn an einer solchen ruhigen Erörterung? Ist er verklemmt? Ist ihm die Frage zu unangenehm? Zu komplex? – Das wäre keine Schande. Es sind schon viele kluge Köpfe an diesem Thema heiß gelaufen.

Krotkow kommt zu einem desolaten Bild der russischen Linken, jedenfalls dem, was er und der Linken versteht (“die wirkliche”): “Was die wirkliche linke Bewegung – eine Bewegung der Volksmassen – angeht, so gibt es die in Rußland einfach nicht!!!” Dieser Satz hat es in sich! “Volksmassen” gibt es nämlich im Diktum der heutigen Linken (der Antivölkischen) nicht; diese darf es gar nicht geben, also erst recht keine Bewegung dieser Volksmassen. Und zum anderen liegt hier ein Realitätsverlust vor, an den man zwar schon gewohnt ist, aber der jedes mal wieder überrascht: Den eigenen Schilderungen Krotkows zufolge haben wir es nämlich heute in Rußland mit einer echten Massenbewegung zu tun. Krotkow, der das selbst zu einem Kriterium für eine “wirkliche linke Bewegung” macht, kann einem nur leid tun. Das Volk wehrt sich gegen eine ungeheure Ausbeutung, und es gelingt, die Kräfte zu bündeln und eine breite Bewegung herzustellen, also etwas, wovon die Linke seit ihrem Bestehen träumt – doch in diesem Moment springen ein paar Linke enttäuscht ab und werden zu Sektierern (“wirkliche Linken”), anstatt einfach konsequent zu sein und zu konkretisieren, was man denn nun unter “nationaler Selbstbestimmung” versteht, also die nationale Frage zu thematisieren und sich damit offensiv in die Bewegungen einzumischen und das Feld nicht den Etatisten, vermeintlichen und wirklichen Faschisten zu überlassen. Darin liegt keine Anbiederung, kein Opportunismus. Es wäre nur konsequent, und alles vertrüge sich aufs Beste. Die Amalgamierung von national und rechts muß aufhören. Sie kann aufhören, wenn Gewohnheiten durchbrochen werden, wenn gedacht und nicht ideologischen Reflexen gefolgt wird.

Nein, anstatt also offensiv zu sein und den Verstand konsequent zu gebrauchen, fällt einem nichts besseres ein als in die Defensive zu gehen und den “Antifaschismus” als angeblich einzig verbliebenem “Prüfstein für eine linke Einstellung” anzubeten. Krotkow ist kritisch genug, dies selbst festzustellen; er denunziert den Antifaschismus als magere Gemeinsamkeit, als reine Klammer um die verbliebenen “wirklich linken” Gruppen, deren Zersplitterung und Zerstrittenheit er beklagt. Wir werden sehen, ob eine solche künstliche Klammer ausreicht, den Zusammenhalt zu wahren. Es ist natürlich ein Armutszeugnis, wenn man das antifaschistische Gebetbuch hochhalten muß, um “dazu zu gehören”; es ist auch ein Selbstverrat.

“Wenn wir die politischen Kräfte in Rußland wörtlich begreifen, d.h. daß eine sich kommunistisch nennende Partei kommunistisch ist, könnte dann auch vollen Ernstes behauptet werden, daß Le Pens Front National eine extrem linke Partei ist.” Ja, warum nicht? Das kann man durchaus so sehen. Aber es ist gleichgültig und zeugt nur von der ideologischen Verwirrung Krotkows u.a., sich solche Fragen zu stellen. Der Front National ist eine erstarkende Bewegung aus dem Volk für das Volk; zumindest gibt es eine starke authentische emanzipative Strömung im FN. Ob sie nun als links oder rechts bezeichnet wird, ist im Grunde egal. Es geht um die Sache (des Volkes), und nicht um Bezeichnungen. Es gilt, libertäre Positionen in diese Volksbewegung einzubringen und nicht vor den antilibertären Tendenzen, die es leider und ohne Zweifel in den nationalen Bewegungen gibt, zu kapitulieren und vor ihnen den Kopf in den Sand zu stecken. Es gilt, zu den Wurzeln der Linken zurückzukehren, an 1848 anzuknüpfen, als die Sache des Volkes und die Sache der Freiheit noch ein- und dieselbe waren. Hoch die nationale Anarchie!

 

Anmerkungen:

 Was keine Schande ist, denn so – ökonomisch-materiell – kann man ja übrigens jede andere (auch Volks-)Gruppe auch definieren.