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Serge Thion: Das dritte Auge
(Dieser Aufsatz erschien auf deutsch zuerst in Sleipnir. Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik 2/1999)
Die französische Presse ist stumm, die amerikanische spicht nicht davon, die englische ein wenig; nur die deutsche und schweizerdeutsche spricht davon. Die Angelegenheit ist ziemlich einfach: 1995
erscheint beim angesehenen Suhrkamp-Verlag ein Buch mit dem Titel “Bruchstücke”1. Es ist aus der Feder eines gewissen Binjamin Wilkomirski, Jude, in Riga geboren, als kleines Kind nach Majdanek und
Auschwitz deportiert, Überlebender, ohne Familie, in die Schweiz evakuiert, mit einem neuen Namen – Bruno Doessekker – versehen, seiner Erinnerung beraubt und in der Gegend um Zürich aufwachsend. Später
findet er durch eine psychologische Operation seine Erinnerung wieder und eröffnet uns schriftlich absolut schreckliche Visionen vom Leben in den Lagern, wie sie von einem Kind wahrgenommen werden – ein Kind,
das drei, vier Jahre alt gewesen sein muß.
Das Buch wird ein Erfolg, in ein Dutzend Sprachen übersetzt; man erhebt es in den Rang eines der “großen Zeugnisse” über den Holokaust, gleich neben solch ruhmreichen Lichtgestalten wie Elie Wiesel und
Primo Levi.
Benissimo.
Es wird auf die Liste der Pflichtlektüre jener geweihten Universitäten gesetzt, wo man die Jugendlichen zwingt, “Holokaust-Studien” zu belegen, es bekommt den National Jewish Book Award, den Jewish
Quarterly Literary Prize und noch andere, genau so großartige und mit vielen grünen Scheinen begleitete Preise. In Frankreich bringt es 1997 der Verlag Calman-Lévi auf den Markt2, aber: Es floppt! Die Presse begeistert sich nicht für diese “Fragments d’une enfance”. Immerhin gibt’s dann unter dem Stab von Madame Mitterand und Monsieur Philippe Lazar, des ehemaligen Direktors des INSERM, doch noch den “Preis der Erinnerung an die Schoa”.
Die Kritiker englischer Zunge überflügeln einander: “poetische Vision”, “dunkle proustianische Memoiren” (New York Times). Die Neue Zürcher Zeitung spricht vom “Gewicht eines ganzen Jahrhunderts”.
In The Nation, einer amerikanischen linksliberalen und einigermaßen jüdischen Wochenzeitung, spricht der Rezensent davon, daß das Buch so bewegend und gänzlich ohne literarische Kunstgriffe sei,
daß er sich frage, ob er überhaupt das Recht habe, es zu loben. Man ist dem Wahnsinn also schon bedenklich nahe, und es fängt an, nach Nobelpreis zu riechen. Unnötig darauf hinzuweisen, daß die im Buch erzählten
Geschichten in der Schilderung des Horrors ganz und gar außergewöhnlich sind, daß es neue Rekorde in der Beschreibung der Deutschen als vom Geist des Bösen beseelte Bestien aufstellt.
Es ist einfach zuviel der Vollkommenheit.
Herr Wilkomirski, dessen Name bizarrerweise “der Friede der Gabeln”, militärisch auch “Seitengewehr”, zu bedeuten scheint, wird überall herumgereicht. Er spricht vor dem US Holocaust Memorial Museum in Washington, an allen möglichen Universitäten und vor den Kameras Steven Spielbergs, der alle “Überlebenden” aufnehmen will.
Doch dann tritt ein helvetischer Journalist auf, Daniel Ganzfried, der hinter die Schliche kommt3: Bruno Doessekker ist ein
uneheliches Schweizer Kind, das eigentlich Grosjean heißt und von einer Familie Doessekker adoptiert wurde. Er ist so jüdisch wie eine Alpenkuh. Er hat diese Geschichte, die die Fetischisten wie einen geweihten
Schuh beleckten, von A bis Z erfunden. Jetzt mit einem Male fällt es einigen Historikern, Kritikern und sogar dem gehörnten Raoul Hilberg auf: die “Bruchstücke” sind der Unwahrscheinlichkeiten,
Ungenauigkeiten und offenkundig singulären Unmöglichkeiten kammervoll.
Doch wer will das wissen? Der Widerstand ist stark. In der amerikanischen Gemeinde lehnen es viele noch ab, der Offenbarung ins Auge zu sehen. Sie haben sich ausnutzen lassen, und es tut weh, dies einzusehen. Und die
Erzählungen Doessekkers-Wilkomirskis haben ihnen gefallen; sie hatten wieder neue Phantasien, die ihren mossierenden Geistern Nahrung gaben.
Der Autor fühlt sich durch den Erfolg stark und bleibt dabei: Die Schweizer Behörden hätten versucht, seine Erinnerungen auszuradieren. Und sagt doch etwas, was wie ein Eingeständnis klingt: “Es
stand den Lesern meines Buches offen, es als Literatur zu lesen.” Man denkt sofort an die Erzählungen eines anderen großen Zeugen: Rudolf Rosenberg, genannt “Vrba”, der einen Bericht über Auschwitz
geschrieben hat, der 1945 seinen Weg bis in die offiziellen Kreise Washingtons gefunden hatte, und der unter dem Druck Faurissons zugeben mußte, daß seine Zeugenschaft als im Rahmen der licentia poetarum zu verstehen sei4 – jener Lizenz, die sich die Poeten ausstellen, die Geschichte der Welt nach ihrem Dafürhalten umzuschreiben.5
“Jeder Schmeichler lebt auf Kosten derer, die ihm zuhören.” Bruno Doessekker ist ein Fälscher und darüber hinaus ein Betrüger. Der Fälscher schreibt das Buch – was am Ende eine gute Farce hätte sein
können (siehe Romain Gary, der unter dem Namen Émile Ajar geschrieben hat) –, aber der Betrüger profitiert materiell und sozial vom Erfolg des Fälschers.
Während der Fall von nur geringem Interesse ist, sagt uns die Rezeption des Buches eine Menge über die Welt, in der wir leben. Der Autor eines Artikel im Independent6 schreibt: “Eine
solche Ästhetisierung der Geschichte könnte Postmodernen gefallen, in deren Augen der Autor Wilkomirski ein Held und ein Emblem des endlosen Spiels des Signifikanten werden kann: ein Tanz von Fakten und Fiktionen,
in dem die Wahrheitssuche dem Betrachter überlassen wird.” Wir – nicht so richtig postmodern, noch nicht einmal eigentlich modern – sind weiter der Meinung, daß sich die Frage der Wahrheit stellt.
Als ein leichtgläubiger und gieriger Journalist die “Hitler-Tagebücher” kaufte, lag die Frage, die sich gestellt hat, nicht im Inhalt dieser “Tagebücher”, sondern darin, ob es wahr ist, daß
Hitler sie geschrieben hat. Die Art, mit der man aufzeigen konnte, daß die “Tagebücher” das Werk eines Fälschers sind, ist bedeutungslos: Man wußte es ziemlich schnell.
Der Independent-Autor spitzt das Ohr: “Während sich mancher ehrlich fragt, ob die Tatsache, das Buch in Frage zu stellen, jenen einen Trumpf in die Hand gibt, die den Holokaust leugnen,
haben andere darauf hingewiesen, daß es noch gefährlicher wäre, es den Lesern zu überlassen herauszufinden, ob dieser Text wie ein Dokument oder als ein fiktives Werk behandelt werden muß: Das ist genau die
Zweideutigkeit, aus der sich die Leugnung des Holokaust speist.” Ein gewisser W. Samuelson, “Professor für Holokaust- und Genozidstudien” in Texas, schreibt auf der Internet-Seite H-HOLOCAUST7, daß
“diese Leute [die Fälscher] mit ihren Lügen die üppige Einbildungskraft der bösen Leugner nähren”, was, geben wir es zu, der Gipfel wäre: Die Fälscher nähren die Feinde der Fälscher!
Obwohl daran gewöhnt, die Sündenböcke für all das abzugeben, was in der Welt der Vorstellung vom Schicksal der Juden nicht stimmt, haben die Revisionisten keinerlei Interesse an dieser Mini-Affäre
gezeigt. Die Fälschungen auf diesem Gebiet sind höher als der Berg Ararat. Die Höß-Erklärung von Nürnberg ist eine Fälschung, die Höß unterschreiben mußte. Eine Vielzahl Nürnberger Dokumente sind nichts als Kopien
von Kopien von Kopien, unverbindlich und undeutlich beglaubigt von schwer zu identifizierenden Namenlosen. Zudem ist keines dieser Dokumente mehr zugänglich: Die Nürnberger Archive liegen in Den Haag verschlossen.
Das “Wannsee-Protokoll” ist ein Dokument, dessen Echtheit nicht nachgewiesen ist; aber selbst wenn es echt wäre, wäre daraus nur zu schließen, daß der Sinn dieses Dokuments von der Holokaust-Literatur
und -Museo-graphie völlig verdreht wird und daß wir es hier mit der Arbeit eines Fälschers par excellence zu tun haben. Vom Tagebuch der Anne Frank ist nachgewiesen, daß es, zumindest teilweise, eine Artefakt im Sinne einer Künstlichkeit ist, deren Muße gerade nicht Clio heißt. Muß man noch von den Rudolf Vrbas, Filip Müllers, Elie Wiesels, Martin Grays und deren Produktionen sprechen, über die auf Seiten der Revisionisten in der Gefolgschaft Rassiniers schon seit langem gründliche Analysen vorliegen und von denen aufgezeigt wurde, daß sie nicht nur falsch sind, sondern zu Zwecken der Unterhaltung und als Ästhetizismus des Schreckens elaboriert worden sind? Wir sagen ganz bestimmt nicht, daß jedes Zeugnis falsch ist. Aber wir halten es für notwendig, es zu sagen, wenn das der Fall ist.
Seit man ihnen Prozesse macht, sind die Revisionisten mit diesen Fälschungen zugeschüttet worden. Sie kennen davon ganze Regale voll. Deshalb haben sie – und nicht etwa, weil sie eingeschüchtert worden seien
– dieser Affäre nur noch am Rande Aufmerksamkeit geschenkt. Sie haben schon mit genug Eseleien zu tun gehabt. Auf der anderen Seite weisen all diese von der Holokaustomanie gelegten Eier der tranchierten
Genies universitärer Genozid-Kurse – und all der Kritiker und Journalisten, die sich gegenseitig frei nach der olympischen Losung “greulicher, schrecklicher, dümmer!” glauben überbieten zu müssen
– außerordenliche Formgebungen auf.
So attestierte uns der mondäne Hellseher Wolfgang Benz, Chef des Instituts für Antisemitismusforschung in Berlin, noch Anfang September in der Zeit8 dem fraglichen Buch “nicht nur
Authentizität, sondern auch literarischen Rang”. All diese eminenten Spezialisten, mit Diplomen behängt, von wissenschaftlichen Beratern umgeben, haben sich von einem schlauen, gut beobachtenden Bergbauern
stöpseln lassen, der sie mit einem klassischen Roßtäuschertrick in die Rosh gesetzt hat: sich jüdischer als die Juden zu stellen. Das funktioniert oft genug, wie man nicht nur in Berlin weiß: Erfolg, Beachtung,
Ehrungen, Einladungen und literarische Preise sind samt klingender Münze kolloquiert.
Der Zufall legt mir die erste französische Ausgabe von “Das Dritte Auge” von T. Lobsang Rampa aus dem Jahre 1957 in die Hände9. Dieses Buch wurde – wie man sich vielleicht erinnern wird
– als autobiographische Erzählung über das Leben und die Initiation eines tibetischen Lamas präsentiert: die erste, die es im Westen zu lesen gab. Das Buch enthält, um es gelinde zu sagen, schwer zu glaubende
Einzelheiten. Der englische Verlag gibt in seinem Vorwort folgende Warnung: es sei “schwierig festzustellen, ob die Erzählung authentisch ist. Wir haben versucht, Bestätigungen für die Aussagen des Autors
einzuholen, indem wir sein Manuskript zwanzig nach Intelligenz und Wissen ausgesuchten Lesern (von denen einige eine vertiefte Kenntnis der tibetanischen Sache hatten) vorlegten. Deren Meinungen waren dermaßen
widersprüchlich, daß keinerlei positives Ergebnis erzielt werden konnte”. Der Verlag läßt also den Autoren allein die ganze Verantwortung seiner Erklärungen übernehmen, “was er übrigens gern bereit ist
zu tun”. Der Verlag bekennt, von der Authentizität des Buches überzeugt zu sein und sagt, daß jeder, der anderer Meinung ist, “wenigstens damit einverstanden sein wird, dem Autor ein seltenes
erzählerisches Talent zuzugestehen”: wieder die Literatour.
Das Buch ist ein Riesenerfolg geworden. Mit weiteren Büchern wurde dieser verlegerische Erfolg fortgeführt und ausgebaut. All dies, als man noch nicht gemerkt hatte, daß der famose tibetanische Lama mit dem dritten
Auge kein anderer als ein pensionierter britischer Major der Indienarmee gewesen war, der, in der Tat, literarisch begabt war.
Die Tibeter haben diesen Scharlatan überlebt.
Das Wissen um die wirklichen Schrecken in den Konzentrationslagern ist nach wie vor zugänglich, und wird es um so leichter auch für das breite Publikum in dem Maße, in dem die falschen Zeugen, die
Scharlatane und die Gewinnler aus dem Tempel vertrieben werden. Und wer anders als die Revisionisten, die mit dem Besen umzugehen wissen, können hier ordentlich sauber machen? Es stimmt, daß sie neuerdings viele
Nacheiferer finden und daß diese Nacheiferer die Revisionisten denunzieren müssen, um publizieren zu dürfen. Hat nicht einer dieser uns heimlich beneidenden Denunzianten10 erst neulich folgendes geschrieben?:
“Ah, wie süß ist es am Ende dieses 20. Jahrhunderts, Jude zu sein! Die Welt liebt uns, ehrt uns, verteidigt uns, nimmt unsere Interessen wahr. Sie braucht sogar unsere Druckerlaubnis.” Doch findet er,
daß die Suppe zu gut schmeckt und daß man sich darüber Sorgen machen müsse: “Ich würde mir wünschen, daß diese so demonstrativen neuen Freunde [der Juden] auch alle gewissenhafte Freunde der Wahrheit
sind.” Der Mann geht wirklich sehr streng ins Gericht mit seinen zweifelhaften demonstrativen Freunden. Und am Ende meint er: “Unsere Zeit ist zu geschäftig, um die Pose dessen einzunehmen, der sich
darum sorgt, sich den wahren Herausforderungen der Erinnerung und der Gegenwart zu stellen.” Will er sagen, daß der neue Baal nicht angemessen genährt wird? Er hat sich seit langem schon als Hohepriester ins
Spiel gebracht: an Kandidaten mangelt es nicht, sie streiten sich schon die ganze Zeit um die Posten. Unsereinem geht es eher darum, die Idole, auch Baal, umzustoßen. Wir haben nichts an ihre Stelle zu setzen. Das
ist unsere Schwäche, und zu dieser stehen wir.
Anmerkungen:
1 Binjamin Wilkomirski, “Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939 - 1948”, Suhrkamp 1995
2 Binjamin Wilkomirski, “Fragments d’une anfance”, Paris 1997;
3 Daniel Ganzfried, Artikel in der Weltwoche, September 1998; ders., “Dichtung und Wahrheit”, Tages-Anzeiger,
13.9.1998 (http://www.tages-anzeiger.ch, Archiv)
4 Siehe Rudolf Vrbas Zeugenaussage beim Zündel-Prozeß 1985 in Toronto.
5 “Nun hat es die Holocaust-Branche mit der Zeit geschafft, ihre Literaturproduktion in den Rang authentischer Berichterstattung zu heben”, Horst Lummert, “Test
und Konsequenzen”, Sleipnir, 5/96, S. 27, nach kuckuck, feder 6, Frühjahr 1996: “Aus der ursprünglichen Emotion, dem gewachsenen Willen, persönlich Rache zu nehmen für die
Ungeheuerlichkeiten gegen die menschliche Integrität, entstand, wie gesagt, eine umfangreiche KZ- und Holocaust-Literatur. Der eine oder andere Autor hat daraus einen Beruf gemacht, beschäftigt sich seither mit
nichts anderem als Holocaust und Judenverfolgung. Eine Reihe von Experten, nicht ganz so zahlreich wie die einstige Erzählergeneration, hat sich zu einer ideologisch-politischen Sammlung geordnet, zur Front
stabilisiert, die inzwischen ohne differenzierte Sprachregelung nicht mehr auskommt. So entstehen fast zwangsläufig Diskrepanzen etwa zwischen einst ‘frischen’ Romanwerken und ihren späteren Auflagen und
Übersetzungen in andere Sprachen. Es hat sich so etwas wie eine literarische Clique oder Schule samt Claque herausgebildet, mit Einfluß und also Macht, die sie ausübt, auch mißbraucht, so daß unter ihr nun manche
Leute und manche Wahrheit leiden müssen. Diese Romanliteratur genießt einen Ruf, eine Autorität, eine Maßgeblichkeit, die weit über das hinausgeht, was ihr gerechterweise zukommt und auch nur zukommen kann. Vor
Gericht gezerrt, haben sich solche Autoren prompt auf ihre dichterische Freiheit berufen, wenn sich ihre Schilderungen mit dieser oder jener Tatsache nicht decken wollten. Was tut es einem Romancier weh, wenn man
ihn der Unwahrheit im Sinne von ungenauer oder unzutreffender Faktizität zeiht?”
6 The Independent, London, 30.9.1998
7 Wsamuelson@aol.com, Professor für Holocaust and Genocidal Studies an der Trinity University San Antonio, Texas, H-HOLOCAUST@H-NET.MSU.EDU, 15.9.1998
8 Wolfgang Benz, Die Zeit Nr. 37/1998
9 T. Lobsang Rampa, “Le troisième oeil”, Paris 1957
10 Alain Finkelkraut, “Mrg. Stepinac et les deux douleurs de l’Europe”, Le Monde 1.10.1998. Alain Finkielkraut hat etwas von einem Propheten, sagt er doch laut, was viele nur denken, und er hat sogar etwas von einem Christen, verteidigt er doch im Gegenzug dessen, was der Weltgeist für ihn und für “sie” tut, Mgr. Stepanic und – anteilberechtigt – Papst Johannnes Paul II.; gegen alle und jeden, könnte man sagen. Vor allem gegen seine Leute (mindestens einen ganzen Tag lang wurde auf allen öffentlichen Radiosendern wiederholt, daß “die Juden entrüstet” seien; bestimmt auch einer der Dienste des Weltgeistes). Doch könnte man sagen, daß die Stepinac-Affäre im Artikel Alain Finkielkrauts in Le Monde vom 7.10.1998 nur nebensächlich ist. Das wichtigste ist seine Erklärung, daß der Weltgeist ihn und die Seinen am Ende dieses Jahrhunderts glücklich macht. Hannah Arendt, die von der jüdischen Geschichte als einer weinerlichen sprach und, mit den “neuen Historikern” ihrer Zeit, aufzeigte, daß die Juden im Mittelalter die Privilegien des Adels hatten (Niederlassungsfreiheit, Erlaubnis zum Tragen von Waffen, eigene Gerichtsbarkeit), wäre zufrieden mit ihm. Hier noch einmal der Anfang des Finkielkraut-Artikels: “Oh, wie süß, Jude zu sein am Ende des 20. Jahrhunderts! Wir sind nicht mehr die Beschuldigten der Geschichte, wir sind ihre Lieblinge. Der Weltgeist liebt uns, ehrt uns, verteidigt uns, nimmt unsere Interessen wahr; er benötigt sogar unsere Druckerlaubnis. Die Journalisten verfolgen gnadenlos alles, was es in Europa noch an Kollaborateuren oder Nostalgikern der Nazizeit gibt. Die Kirchen bereuen, die Staaten tun Buße, die Schweiz weiß nicht mehr, was sie tun soll.” Ein Satz, der zu Reflexionen über die Natur des Glückes einlädt. Im “Pirke Avot” kann man nachlesen, daß die Kunst des Glückes darin besteht, sich mit dem zu begnügen, was man hat. Auf diese Weise kann das Glück Alain Finkielkrauts wahrscheinlich nicht erklärt werden. Es gibt auch ein Sprichwort, nachdem das Glück der einen das Unglück der anderen ist. Wenn alle Mittel für den Bau leerstehender Häuser und Zweitwohnungen dafür benutzt worden wären, allen Franzosen Wohnraum zu verschaffen, gäbe es in Frankreich nicht ungefähr eine Million Menschen “ohne festen Wohnsitz” (eine etwas ältere Angabe, die überholt sein dürfte). Die Reflexion verkürzend könnte gesagt werden, daß es Glück gibt, das den anderen nicht viel kostet, und Glück, das enorme Summen verschlingt. Man könnte auch an jenes Glück denken, das reine Selbstgefälligkeit ist. In einem seiner Vorträge erklärte Großrabbiner Sitruk, daß die Reichen hauptsächlich reich sind, um es zu zeigen. Dieser Reichtum bringt ihnen kein konkretes Glück. Im Gegenteil, es bringt sie in Gefahr. Es gibt jüdische Denker, die noch gewagter sind als Großrabbiner Sitruk. Ich erinnere mich an den Großrabbiner von Genf, Safran, wie er sagte, daß in jedem Unglück ein Glück versteckt sei. Könnte es anders herum auch wahr sein? Das hängt natürlich von der Natur des Glückes ab. Doch damit haben wir vermutlich das Finkielkraut – einem im laizistischen Frankreich an der Polytechnique lehrenden Philosophen – zugängliche Feld der Reflexion verlassen. Ich persönlich denke – aber vielleicht täusche ich mich –, daß das Glück, das von einer “bereuenden Kirche”, von “Buße tuenden Staaten” oder von einer Schweiz kommt, “die nicht mehr weiß, was sie tun soll”, nicht viel wert ist. Die Rabbiner lehren, daß man seinen Nächsten nicht demütigen soll. Was würden sie denjenigen sagen, die die ganze Welt demütigen und dabei noch Gefallen finden und nach mehr verlangen? Ich denke übrigens, daß Alain Finkielkraut, wenn er “wir” sagt, eher für jene Juden spricht, die von Edom abstammen und nicht für die, die von Jakob kommen, die weisen oder die wahren Juden.
Weitere Quellen:
Binjamin Wilkomirski, Aufnahme vom September 1997 im US Holocaust Memorial Museum, Archiv-Nr. RG-50.030*0385
Binjamin Wilkomirski und Elitsur Bernstein (israelischer Psychologe), Vortrag über “Die Identitätsproblematik bei überlebenden Kindern des Holocaust. Ein Konzept zur
interdisziplinären Kooperation zwischen Therapeuten und Historikern” auf dem Kongreß für Holocaust-Traumatologie (sic et resic!!), Wien November 1997. Wenn sich die Holowissenschaften an Übernatürliches
machen, ist nichts mehr unmöglich.
Jörg Lau, “Darf man Erinnerungen an den Holocaust erfinden?”, Die Zeit Nr. 39, 17.9.1998 (http.//www.ZEIT.de/archiv/1998/39/199839.wilkomirski_.html) Lau erinnert an das Wort Adornos, daß man nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben könne (“Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben.”) Doch zu Zeiten Auschwitz‘ saß Adorno in Neu Jork im Warmen. Der Schmerz der anderen ist eine Ware von zweifelhaftem Wert.
Léon de Winter, “Fiktionalisierung des Holocaust”, Der Spiegel, 1.10.1998
letzte Nachricht in dieser Sache (“Das Ende der Wilkomirskiade”, 4.11.99): http://www.nzz.ch/online/01_nzz_aktuell/feuilleton/00_feuilleton.htm
Übersetzung: Peter Töpfer
http://vho.org/aaargh/
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