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Günter Nenning: Nation, Sozialismus und Anarchie (aus: Die Nation kehrt wieder. Würde, Schrecken und Geltung eines europäischen Begriffs, Osnabrück 1990, Edition Interforum)

[Mit diesen Auszügen, die nur ein wenig die dialektische Tiefe des Nenning´schen Stils, Denkens und Fühlens wiedergeben, möchten wir eigentlich nur Reklame für sein Buch machen: Wir legen es Euch wärmstens ans Herz und empfehlen es auch zum Weiterverschenken: gute Propaganda! Fette Hervorhebungen und eckige Klammern samt Inhalt: nA]

 

Dreimal Versailles

Am 28. Juni 1919 wurde der Vertrag von Versailles von den Deutschen unterzeichnet. Am 10. Jänner 1920 trat er in Kraft.

Am 10. September 1919 wurde der Vertrag von Saint Germain von den Österreichern unterzeichnet. Am 16. Juli 1920 trat er in Kraft.

Die Verträge von Versailles und Saint Germain waren das völkerrechtliche Ende des Ersten Weltkrieges und der Anfang einer kurzen Pause bis zum Zweiten, dessen völkerrechtliche Beendigung durch einen Friedensvertrag mit Deutschland, 45 Jahre nach dem militärischen Kriegsende, noch gar nicht erfolgt ist.

Wem fällt das auf? Deutschland ist groß da, die Sieger sind besiegt.

Versailles und Hitler gehören zusammen. Die Kombination aus Härte des aufdiktierten Vertrages plus nachfolgender Duldung des Vertragsbruches führte direkt zum Zweiten Weltkrieg. Ohne Versailles wäre Hitler ein minderbegabter Wiener Ansichtskartenmaler geblieben.

Versailles ist ein Musterbeispiel, was Nationalismus anrichten kann. Die westlichen Demokratien, nationalistischer als demokratisch, verweigerten der neu entstandenen deutschen Demokratie die rechtzeitige Revision des unsinnigen Vertrages. Was sie der deutschen demokratischen Republik von Weimar verweigerten, warfen sie dann Hitler nach. Der Diktator kriegte von ihnen alles, was die deutsche Demokratie von ihnen nicht kriegte. Der Unterschied zwischen den westlichen Demokratien war eben, daß sie nationalistischer waren als demokratisch. Sie ruinierten die deutsche Demokratie, die ihnen freundlich gesinnt war, und förderten deren und ihren Todfeind.

Wie immer in Sachen Nationalismus war Psychologie wichtiger als Realität. Gerechnet in Dollar:

Die Reparationskommission setzte 1921 die von Deutschland zu bezahlende Kriegsentschädigung mit 33 Milliarden Dollar fest.

Tatsächlich bezahlte Deutschland bis 1931, als die Reparationszahlungen durch das ,,Hoover-Moratorium” ausgesetzt wurden, von diesen 33 Milliarden knapp 5 ½. Während Deutschland von 1920 bis 1931 den Siegern jene 5 ½ Milliarden Dollar (21 ½ Milliarden Goldmark) zahlte, borgte es sich beim Hauptsieger USA in der gleichen Zeit 12 Milliarden Dollar und zahlte das meiste davon nicht zurück.

Während des Krieges 1914 – 1918 holte die deutsche Regierung aus ihrem Volk rund 100 Milliarden Dollar an Kriegsanleihe, und dieses Volk sah dieses Geld nie wieder.

Das deutsche Volk kriegte keine Kriegsentschädigung. Die Sieger kriegten keine Kriegsentschädigung. Sie verloren sogar das meiste Geld, das sie den Besiegten borgten, damit diese ihnen Kriegsentschädigung zahlen können. Übergetitelt: Arische Chuzpe.

[...]

Zerstörung der verbliebenen nationalen Buntheit des alten Europa durch ein neues Plastikeuropa, One World, aufgehängt an tausend Fäden der Brüsseler Zentralbürokratie – nein, da krieg ich nationale Gefühle, da ruf ich zum nationalen Widerstand! [“Hier! Marschiert! Der...”]

[...]

Wörter mit mehr als zwei Silben sind ihm verdächtig, bemerkte Peter Handke. Drum bin ich für die verdächtige, wohltönende, zweisilbige “Heimat”. Sie ist verdächtig aus politischen Gründen, wegen “nationaler” oder NS-Vergangenheit Das kommt davon, wenn man Vergangenheit nich tweiter zurückverfolgt als ein paar Jahrzehnte. [Keinen Historismus, lieber Günter! –] Keine Vergangenheit taugt, die nicht über Jahrtausende reicht.

“Wer nicht von dreimal tausend Jahren

Sich weiß Rechenschaft zu geben,

Bleibt im Dunkeln unerfahren,

Mag von Tag zu Tage leben.” [genau das machen wir, Herr Historist Nenning!]

Wer jetzt glaubt, daß Goethe ein Nazi war oder fast, dem kann ich auch nicht helfen, er geh‘ bitte sch... (wohltönendes zweisilbiges Wort)

Ich laß mir gute Worte und nützliche Begriffe nich tstehlen von zwölf Jahren Hitler.

Heimat ist, wo man lebt und stirbt, nämlich: gern lebt und gern stirbt. HEIM hat sprachgeschichtlich dieselbe Wurzel KOIM in allerhand indo-europäischen Sprachen, darunter auch im Griechischen. KOIMESIS, Heimgang, ist der Tod, insbesondere der Tod Mariens. Da fällt mir ein und auf, weil es sich hier um Leben handelt, das durch Tod nicht aufhört, und um Tod, der keiner ist, sondern Weiterleben. [schnarch!] Genau das ist der tiefste Begriff von Heimat:

Ein Lebens- und Todeskreis, der nicht ersetzbar ist durch sozio- und polito-logische Untersuchungen.

Die verdächtige “Heimat” ist der innere Kern der noch verdächtigeren ,,Nation”.

Soeben gelangen wir in ein neues Zeitalter des Nationalgefühis. Alle Ismen sind tot, der Nationalismus lebt. Die historische Kraft, inklusive blutige Potenz, des Nationalgefühls läßt sich nicht wegdisputieren. Der Kommunismus ist weg, nach 72 Jahren und scheinbar spurlos – der Nationalismus ist wieder da.

Die Lebensfrage dieses neuen Zeitalters ist: Wir müssen Nationalgefühl und Demokratiegefühl unter einen Hut bringen. ,,Ausgrenzen” hilft nichts, im Gegenteil. Die Spaltung in zwei Lager, das ,,demokratische” und das ,,nationale”, führt in ein neues 1933.

Das darf nicht wahr sein.

Nationalgefühl, nämlich: Sehnsucht nach Heimat und Wurzeln – ist unauslöschbar und positiv.

[...]

Herder hat mit seiner Sammlung von Nationalliteratur aller ihm greifbaren Völker praktischen Antirassismus betrieben, von den Deutschen bis zu den Eskimos und wieder retour. Er war, weil Freund der Deutschen, Freund der Slawen. Er hat die Slawen als Teil der Weltkultur entdeckt und ihnen überhaupt erst Nationalgefühl eingepflanzt.

Die Weltkultur besteht aus lauter auserwählten Völkern. Jedes hat den gleichen, gleich langen und gleich dicken Draht zu Gott. [Hör auf mit der Nachäfferei der Juden, Günter! Ham wir nicht nötig]

Nation, ins Deutsche übersetzt, ist Geburtsgemeinschaft. Wegen der fünf Silben und des ,,rtsg” in der Mitte bin ich für Kürze und Wohlklang von ,,Nation”.

,,Nationes”, die Landsmannschaften an der mittelalterlichen Universität, waren sehr vielgestaltige, wechselnde Gruppierungen: An italienischen Universitäten wurde unterschieden zwischen Italienern, Franzosen, Spaniern, Griechen, nicht aber zwischen Deutschen, Böhmen, Holländern, Schweden – die waren eine Nation (,,Ultramontane”, von nördlich der Alpen). Umgekehrt wurde an deutschen Universitäten unterschieden zwischen Deutschen, Böhmen, Holländern, Schweden; dafür waren, genau umgekehrt wie an italienischen Universitäten, die “Ultramontanen” alle Studenten von südlich der Alpen und galten als eine Nation.

Diese bunte Verschiedenheit und wechselnde Bündelung von ,,nationes” gehört zum guten Begriff der Nation. Die Nationen sind wie russische Puppen: In der Nation steckt eine Nation steckt eine Nation. Die Deutschen sind eine Nation, die die Österreicher mit umfaßt, und die Österreicher sind eine eigene Nation, die in der deutschen enthalten ist, und natürlich sind auch die Oberösterreicher eine eigene Nation (Geburtsgemeinschaft).

Die ,,nationes” waren Selbstverwaltungskörper; sie regierten die Universität gemeinsam mit dem Rektor. Die ,,universitas”, die umfassende Einheit, war das gemeinsame Dach über den Nationen.

Schon die mittelalterlichen ,,nationes” waren also elliptisch. Ein Mittelpunkt waren sie selbst; der zweite, gleichwichtige Mittelpunkt war die sie überbauende “universitas”.

In der langen Geschichte der Nation ist die Nation des 19. Jahrhunderts – die schreckliche, imperialistische, blutrünstige Bestie im Käfig des National- und Starkstaates, die keinerlei höhere Einheit über sich erkannte, keine Vereinten Nationen, kein vereinigtes Europa, nur das eigene Wolfsgesetz [wir brauchen nichts “über” uns anerkennen; es genügt, wenn wir den anderen anerkennen; Wölfe fressen sich nicht gegenseitig auf; nieder mit dem Imperialismus!] – eine historische Episode, eine geschichtsmächtige Fehlentwicklung; eine Diagnose, die rückwärtsgewandten Propheten heute leichtfällt.

Die anständige Nation ist immer eine ,,Nationalität” im altösterreichischen [auch im sowjetischen und DDR-] Sinn: eine gesonderte Einheit, die über sich eine höhere Einheit anerkennt. Österreich bestand aus Nationalitäten – solange, bis alles schiefging. Ein sehr aktueller Begriff von Nation.

Das Malheur des 19. Jahrhunderts, mündend im Faschismus, war die Aufblähung der Nation zur Gottheit anstelle Gottes. [Papperlapapp “Gott”]

Eine Nation = Geburtsgemeinschaft ist schon die kleinste Familie, Frau und Mann. Eine Nation = Geburtsgemeinschaft ist auch die Menschheit insgesamt. Irgendwo auf dieser Skala von Nationen liegt die historisch gewachsene Nation als Insgesamt gemeinsamer Sprache und Kultur.

Nationen haben Furchtbares angerichtet in der Geschichte: Nationswerdung ist ein Blutbad. Am Weg zur Einheitsnation liegen die Leichen ausgemordeter Stämme und Regionen.

Ich halte mich lieber an das engere, unblutige Wort “Heimat”: die Örtlichkeit, von der man selber und freiwillig sagen kann oder auch nicht: Hier fühl‘ ich mich zu Hause, hier sind meine Wurzeln.

Wer es schön haben will, kann mehrere Heimaten haben. Ich z. B. die Frau, mit der ich lebe; das Grätzel Wien-Ulrichsgrund; die Stadt Wien; den Ferienort Baden bei Wien; Österreich; Deutschland; Mitteleuropa; Europa; die Welt. Weniger ist mir zuwenig.

Heimat” ist nicht nur Haus, Wurzel, Tradition; das, wo man immer war und immer sein will, wenn man grad nicht dort ist. ,,Heimat ist, wo wir noch nie waren” (Ernst Bloch). [Nix da Utopismus! Bloch hätte sich vollständig entjuden sollen!] Das Fremde, Zukünftige, das wir erst bauen müssen, indem wir die Welt ändern, weil sie es braucht. Heimat ist Revolution in Kopf, Bauch und Wirklichkeit.

[...]

Ja, das Menschenrecht [Papperlapapp “Recht”!] auf Freizügigkeit gibt es,laßt es uns hochhalten. Das Recht, bei sich daheim zu sein, in seinem eigenen Land, mit Wurzeln, die hinunterreichen in alle Tiefen und Untiefen der eigenen Kultur – dieses Menschenrecht gibt es auch.

Hören wir auf, es zu verstecken in den Ritzen eines berechtigt schlechten Gewissens.

Das Menschenrecht auf Freizügigkeit zu feiern als ,,fortschrittlich”; das Menschenrecht aufs Daheimsein in der eigenen Nation zu verteufeln als ,,faschistoid”:

Das ist demokratische Gedankenlosigkeit, die nicht der Demokratie nützt, sondern neuem Faschismus.

Liebe die Heimat, liebe die Äusländer!

Unlängst saß ich beim Nahsehen (statt Fernsehen schwinge ich meinen Drehsessel kreativ zur weißen Wand und sehe dort die buntesten Dinge). Da trat ein Schweizer auf und klopfte sich dumpf an die Brust. ,,Wir Schweizer”, sprach er, ,,haben uns die ausländischen Arbeitskräfte geholt, als sie uns nützlich waren, und als wir sie nicht mehr benötigten, haben wir sie abgeschoben. Ist das nicht abscheulich?”

Ich bestätigte ihm dies, doch er setzte fort: ,,Jetzt sind wir wieder ganz unsrer alpinen Inzucht überlassen.”

,,Kopf hoch”, schlug ich ihm vor. ,,Das Inzüchtigste auf der ganzen Welt, das sind die edlen Araberpferde. Die vermischen sich seit Mohammed ausschließlich untereinander.”

,,Die Schweizer sind keine Araber”, rief er und hatte einen rassistischen Unterton.

Ich, nicht faul, schalte auf einen anderen Kanal in meinem kreativen Nahsehen. Schon erscheint auf meiner weißen Wand ein Türschild ,,Daniel Cohn-Bendit, Stadtrat für multikulturelle Beziehungen”. Die Tür wird von einem Türken geöffnet. Der alternativ grün-rote Frankfurter hat sein ehrenamtliches Büro offenbar in einer Türkenkneipe, stelle ich erfreut fest.

Da fliegt die Tür wieder auf, und ein Mann schreit: ,,Wir schließen uns zusammen in der Republikanischen Partei, wir 1945 nach Deutschland gekommene Schlesier, die eigentlich Polen sind, gegen die jetzt kommenden Polen, die eigentlich Schlesier sind.”

Der Besucherstrom reißt nicht ab. Es erscheint ein Abgesandter des Dalai-Lama. Er bringt Cohn-Bendit eine Gebetsmühle. Dany kurbelt dran und fragt: ,,Funktioniert die auch linksrum?” Der Tibeter dreht rechtsrum und die Mühle mahlt: ,,Freiheit für das tibetische Volk. Die Tibeter werden von den Chinesen überfremdet.”

Dany notiert auf seinem Block: ,,Weniger Chinesen nach Tibet.”

,,Ein Stück weiter oben steht schon was”, sage ich. Da steht: ,,Mehr Ausländer nach Frankfurt.”

So habe er das nie gesagt, wird Cohn-Bendit wütend.

Auf einer Frankfurter Hauswand las ich die Sprayschrift: ,,Ausländer rein, Rheinländer raus!” – Darum geht es: Viele Ausländer können uns viel bringen, und viele Inländer lähmen uns. Aus der neuen Vielfalt muß neue Kultur werden.

Natürlich hat Daniel Cohn-Bendit recht.

Ich erzähle ihm noch rasch, wie an Wiener Schulen glutäugige Türkenkinder über die Türkenbelagerung unterrichtet werden, nämlich daß die kultivierten Wiener die primitiven Türken besiegten – dann werde ich ganz ernst:

,,In der Ausländerfeindlichkeit spiegelt sich – wie immer verkorkst und verhatscht – ein Menschenrecht”, behaupte ich. ,,Jetzt brüll nicht gleich los, Dany!”

,,Natürlich gibt es”, lenke ich ein, ,,das Menschenrecht auf freie Bewegung in der Welt und auf freien Zuzug überallhin. [Sehe ich nicht so] Aber es gibt auch ein ebenso heiliges Menschenrecht [warum “Recht”, warum “heilig”?] auf Leben im ungestörten Zusammenhang mit seiner eigenen Tradition und Zukunft, in einem überschaubaren Bereich, welcher Wärme und Heimat bietet.

Wenn nun, wie derzeit mit aller Wucht, Menschenrecht auf Zuzug und Menschenrecht auf Heimat zusammenstoßen – muß man einen vernünftigen, herzenswarmen Kompromiß suchen.”

Schon wieder fliegt die Tür af und bunt vermischt taumeln Leute herein; die einen schreien ,,Ausländer raus!”, die anderen ,,Nazischweine!”. Sie prügeln sich in einem ununterscheidbaren Knäuel.

Man haßt, wenn man Angst hat. Fremde lieben, so daß sie Freunde werden, kann nur, wer selbstbewußt ist, in seiner eigenen Sprache, Geschichte, Kultur Wurzeln hat. Wer innen leer ist, ist außen aggressiv.

Die Herzensantwort lautet: Liebe die Heimat, liebe die Ausländer! [kein christliches Genöle, bitte, lieber Günter!]

Aber da schlägt Cohn-Bendit schon wieder seine Hände über dem Wuschelkopf zusammen. Was zuviel ist, ist zuviel. So schalte ich für diesmal mein Nahsehen aus.

[...]

Was sind zwölf Jahre Hitler gegen die Weltgeschichte des Sozialismus.

JETZT muß die Linke ihre Irrtümer sich auf die Nase binden, darunter den Irrtum, daß Rechte immer Unrecht haben und lauter Dummköpfe sind, von denen man nichts lernen kann. [...]

JETZT sterben die Ologien (Sozi-, Polit- Psych-). Wir brauchen neue Wissenschaft: Mytholgie – Wissen von den Wurzeln des Menschen. [Irrtum!: Wenn schon, brauchen wir auch diese Logie nicht, sondern nur “Mythos”, nur “Kult”, nur lebendiges Sein ohne Logos, aber Nenning ist schon auf dem richtigen Wege.]

In Deutschland muß endlich gelingen, was im Westen längst gelang: Demokratie und Nationalgefühl gehören unter einen Hut.

Geschichte läuft nicht logisch, sondern springt von Spruch zu Widerspruch:

Nationen sind altmodisch – Nation ist die neueste Triebkraft im neuesten Europa.

Nation war scheintot, Sozialismus scheinlebendig – aber jetzt lebt Nation, und Sozialismus ist scheintot.

Alter Sozialismus ist tot – aber neuer Sozialismus kommt demnächst.

Nationen sind die neuen Ein- und Kleinheiten Europas – aber aus ihnen wächst ein inter-nationales Großeuropa.

Der Internationalismus als Einheitsbrei ist tot –aber der Inter-Nationalismus kommt zum Leben, statt der Einen Welt eine Welt aus Nationen.

Die Großeinheit Sowjetunion zerfällt – aber die Großeinheit Deutschland, die Großeinheit Rußland entstehen neu.

Das neue Europa ist ein kleinteiliges Europa der Nationen – aber das kleinste Großdeutschland, das es je gab, wird Vormacht in ganz Europa.

[...]

“Die große Frage ist: Sollen die Europäer ein Volk werden (alles verschmolzen) oder jede Nation nur ganz sie selber sein? –Vielleicht beides wie im Mittelalter.” [“Erstes Reich” –] Friedrich Schlegel

[...]

Die Wiedergeburt einer Linken beginnt mit der Arheitshypothese: Vielleicht sind wir blöd, und nicht das Volk.

Man soll jetzt vor gar nichts Angst haben. Jetzt geht es um einen Diskurs, der sich in die Tiefe wagt und nicht drum schert, ob er rechts ist oder links. Wenn mir jemand sagt: Nation ist gut und Sozialismus ist gut, wie gut muß erst Nationalsozialismus sein – so kriegt er als erstes eine demokratisch-gewaltlose Diskussionswatsche, um klarzustellen, daß ich Antifaschist bin. Und als nächstes sage ich: Wer ,,zwei mal zwei ist vier” sagt, sagt immer etwas Richtiges, wie blöd er sonst auch sein mag.

Nation ist positiv, nicht als Fußballradau, aber als Quelle von Wärme und Hinweis auf Wurzeln. – Sozialismus ist positiv, nicht als Staatssozialismus, aber als einfache Übersetzung ins Deutsche: Sozialismus heißt Gesellschaft – nicht als Einheitsbrei, sondern als überschaubarer Kreis, in dem Gesellinnen und Gesellen zusammenleben.

In Nation wie in Sozialismus steckt ein anarchistischer Kern: ein Mißvergnügen am Zentralstaat, der alles gleichwalzt und reglementiert.

Wenn das Mythos ist – bin ich für Mythos.

Jetzt beginnt eine Zeit der Veränderung, in der alle Bücher neu geschrieben werden müssen. Es gibt Tonnen von politologischer und zeitgeschichtlicher Literatur, geschrieben von Nachkriegskarnickeln, die auf die Schlange Hitler starrten. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – alles unter dem Stern jener zwölf kriminellen Jahre. Da ist ein Tabu drin, das hindert am freien Denken – das ist wie auf dem Flugplatz, wo man seinen Koffer in die Durchleuchtung stecken muß, und dann sagt der Beamte: Da ist eine Schere drin, geben Sie die heraus.

Die Linke darf sich rechte Begriffe nicht konfiszieren lassen: Mythos, Gemeinschaft, Heimat, Geschichte, Tradition – auch nicht Reich als geistiges Gebilde und Gegensatz zu Staat: ,,Geisterreich” im Sinne Goethes.

Wenn mir wer sagt: Jetzt rede nicht herum, wir haben hier den parlamentarisch-demokratischen Parteien-staat, wie hältst du‘s damit? – So antworte ich: Er lebe hoch! – Der Unterschied zu anderen Leuten, die dasselbe sagen, beginnt für mich erst hinter dem treuherzigen Rufzeichen. Diese Demokratie ist zu wenig Demokratie, alle Demokratie ist zu wenig Demokratie – das ist die einzig gültige Demokratiedefinition.

Abstimmen ist Bankrott der Demokratie – Verzicht darauf, solange miteinander zu reden, so innig miteinander zu leben, daß Übereinstimmung erzielt wird ohne Auseinanderdividieren in Mehrheit und Minderheit. Abstimmen ist Notbehelf im großflächigen Demokratiestaat. Gebraucht wird aber, zumindest zusätzlich, Demokratie im kleinen Kreis – die lebenswichtige Korrektur des häßlichen Parteienstaates durch den wunderbaren Tausendfüßler aus Bürgerinitiativen, Bürgerlisten, Gruppen und Grüppchen.

Das ist nicht Utopie, das ist wachsende Realität. Es geht ums anarchistische Bestehen darauf [Das ist es!: Treu bleiben seiner innerster Überzeugung, egal wie viele Einwände sehr logisch, nachvollziehbar, richtig usw. sind.], daß Menschen möglichst viel direkt und gemeinsam tun, ohne ständig zwischengeschaltete zentralstaatliche Demokratiebürokratie.

Schon läßt sich sagen, was der neue Mythos ist – “Mythos” als sinnvolles Reden von den tiefen Dingen: Es steht nicht mehr der Mensch als Einzelwesen oder als Gattung im Mittelpunkt der Politik, sondern das Insgesamt seiner Geschichte und Zukunft, das Insgesamt der Schöpfung, in die er sich wieder einfügen muß. In diesem neuen Insgesamt werden Rechts und Links zu Lechts und Rinks, es kommt zur Begegnung und Vertauschung. Auf der rechten Seite wurden wertkonservative Begriffe aufbewahrt, die die Linke wegwarf und deren Lebenskraft sich nun herausstellt. Auf der anderen Seite ist der Inbegriff von Links: Verändert die Welt, sie braucht es! – nötiger denn je.

Man muß die billige Gleichsetzung von Rechts und Faschismus aufgeben. Nur so läßt sich das linke Ziel wiederentderentdecken: die friedliche Umwälzung der megaökonomischen Schreckensgesellschaft.

Der nächste, der wahre Sozialismus ist der lächerlichste: der Genossenschafts-, Gemeinde-, Dorfsozialismus.

Die Nachäffung des industriekapitalistischen Größenwahns hat den Sozialismus ruiniert. Gebraucht wird die kleine, überschaubare Einheit der Selbstwirtschaftenden und Selbstlebenden. Marx, der romantische Philosoph, nannte die lose verknüpfte Summe solcher kleinen Einheiten: ,,klassenlose Gesellschaft”:

Freiheit vom Staate – Gleichheit aller Leb- und Wirtschaftenden – Brüderlichkeit aller Gleichfreien im fairen Wettbewerb.

Aber das ist ja der Kapitalismus! Ja, der wahre, der Urkapitalismus. Wir Sozialisten haben unsre Genealogie vergessen. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – ist die großartige Grundidee des Kapitalismus. Von diesem Kapitalismus ist der Sozialismus nur eine Abzweigung, er entstand erst, als diese Grundidee nicht funktionierte, sondern das Gegenteil.

Ich denke nach, wie ich mich noch unbegreiflicher ausdrücken könnte. Ja, so könnte es gehen:

Bei Sonnenaufgang saß ich mit Ivan Illich, dem amerikanisch-österreichischen Wunderdoktor der Kulturphilosophie, auf den obersten Stufen einer mexikanischen Tempelpyramide. ,,Genosse Nenning”, sagte Illich, ,,künftige Generationen werden sich fragen, was denn der Unterschied war zwischen Kapitalismus und Sozialismus – wie wir uns heute fragen, was denn der Unterschied war zwischen katholisch und protestantisch, wofür man sich die Schädel einschlug...”

Auftreten zur Linken des Karl Marx ein gewisser Oskar Lafontaine und zur Rechten ein Franois Mitterrand, beide  als Transvestiten, beide stellen Margaret Thatcher dar, der eine als Yuppie, der andre als Pappi.

Vor der Weltgeschichte als Weltgericht erweisen sich realer Kapita- und realer Sozialismus als Komplizen, wetteifernd in der Zerstörung der Natur und Seelen. Die Sozialdemokratie verkommt zum ,,ideellen Gesamtkapitalisten”, welcher laut Marx das Gesamtinteresse des Kapitals besser vertritt als jeder Einzelkapitalist. Dies hielt Marx für real unmöglich. Längst straft ihn jeder gute rosarote Manager Lügen.

Wo ist Sozialismus noch erhältlich? Nirgends. Zur Zeit, da er am nötigsten ist, ist er am unerhältlichsten.

Drum auf! Laßt uns die Vision entwerfen vom radikalen Vorwärtsschreiten zurück zu den reinen Quellen des roten Stroms, der heute schadstoffbeladen seinem Versiegen entgegensumpert.

Hinab zu den Müttern!

Die Mütter des Sozialismus sind die Anarchisten – keine Bombenwerfer, edle Geister von Pierre-Joseph Proudhon bis Gustav Landauer. Sie alle warnten die Sozialisten, insbesondere die Marxisten, vor Anbetung des kältesten Ungeheuers Staat, Anbetung des heißeste Ungeheuers Industrie.

An ihrem schwächsten Punkt gepackt, vergalten es alle Realsozialisten – Sozialdemokraten wie Kommunisten [wie Nationalsozialisten] – den Anarchisten mit Todfeindschaft.

Die Axt an die Wurzel des wahren Sozialismus wurde somit schon sehr früh gelegt. 1846 schreib Proudhon seine “Philosophie des Elends”, im selben Jahr schleuderte Marx seinen Bannstrahl “Elend der Philosophie”. Über 140 Jahre dauerte es also, bis das Ende des Sozialismus so offenkundig wurde wie heute.

Der Sozialismus, den wir nötig haben, muß abschwören dem Abgott Staat. Donnergetöse. Es erscheint der Austromarxist Karl Renner. “Der Staat ist der Hebel zum Sozialismus”, ruft er. Ja, Genosse Renner, dementsprechend schaun beide heute aus: Totalstaat und Nullsozialismus.

Der Sozialismus, den wir nötig haben, muß abschwören dem gotteslästerlichen Technik-, Industrie und Konsumgrößenwahn. Der Sozialismus muß auf die Knie, ehe er sich wieder erheben kann. Demut statt Hybris. Statt Antikommunismus Antikonsumismus. Eine große Welt aus lauter kleinen.

Das schafft sie nie, die alte Tante Sozialdemokratie.

[Papperlapapp “gotteslästerlich”, “Demut”, “Hybris”, “statt” – aber ansonsten: 2 plus, Günter. Setzen! Na gut, 1 minus.]