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Peter Jagodczynski: Die Wiederkunft der Natürlichkeit
Landauf, landab breiten sich Ratlosigkeit, Resignation und Zukunftsfurcht aus. Wie ein giftiger Nebel legen sie sich bleischwer über unser Land, über Europa, über unseren Planeten. Ja, dieses verflixte Interregnum.
Und kein Hoffnungsschimmer am Horizont. Das Interregnum ist nicht nur ein politisches, welches uns Deutsche übermäßig heimsucht. Es ist viel mehr ein kulturelles, in dem wir noch mit den Ausläufern der Moderne zu
tun haben, aber noch nicht die Umrisse einer neuen Kulturepoche zu erkennen vermögen. Dies betrifft die europäischen Völker und die Völker der anderen Kontinente gleichsam. Die Epoche bestand aus drei Stützpfeilern.
Die Moderne als kulturelle, der Parlamentarismus als politische und der Kapitalismus, welcher indes über das Zwischenstadium des Imperialismus zum Globalismus übergegangen ist, als ökonomische Säule dieses
Zeitalters. Daß dies in seiner Blüte gerade ein Jahrhundert dauerte, spricht nicht unbedingt für die Moderne. Im Maßstab der Weltgeschichte taugt es wohl nur eine Episode statt Epoche. Nun vollzieht sich Geschichte
ja nicht geradlinig, sondern zyklisch. Einander folgende Epochen sind daher auch immer eine Gegenbewegung.
Ich will nun versuchen, vorsichtig nachzuzeichnen, was ich im Nebel der Zukunft als Grundlagen einer neuen Epoche zu erkennen versuche. Die Kultur und die sich damit verbindenden Politik- und
Ökonomiesysteme, welche im beginnenden 21. Jahrhundert hervortreten werden, ergeben sich nicht nur aus der Logik eines kyklischen Weltbildes, sondern auch aus zwingender Notwendigkeit (die ich gleich noch ausführen
werde). Die Leitbilder der Moderne waren Massen-Technik-Fortschritt. Sie werden von dem Postulat Mensch-Natur-Schöpfung abgelöst. Das 20. Jahrhundert war davon geprägt, daß jeglicher Respekt vor dem Mensch als Person verloren ging. Er wurde nur noch Teil einer bestimmten, beliebig definierbarer Masse (Proletariat, Volk, Verbraucher etc.). Entlarvend auch die dominierenden Begriffe dieser Zeit: revolutionäre Massen, Massenbewegung, Massenvernichtung, Massenarbeitslosigkeit. Als Mittel, um die Massen zu organisieren, zu mobilisieren, zu deportieren, wurde die Technik eingesetzt. Mit der rapid weiterentwickelten Technik entstanden erst die Möglichkeiten, mit denen die Menschen als Massen auf dem globalen Schachfeld der Weltgeschichte hin- und hergeschoben wurden. Technik, die sich in dieser Bestimmung gegen Mensch und Natur richtet. Man glaubte sich mit Hilfe der Technik die Natur untertan machen zu können, sie zu begreifen und zu beherrschen. Welch Blasphemie und Anmaßung. War die Vermassung der Menschen, wo man ihnen mit der Person auch die Seele nahm, schon eine Torheit, so ist der Versuch der Menschen, sich in ihrer Allmachtshybris mit Hilfe der Technik zum Schöpfer über die Natur zu erheben, eine Sünde, die die Natur in ihrer göttlichen Rätselhaftigkeit nicht verzeiht. Und sie beginnt zurückzuschlagen, erbarmungslos und mit majestätischer Mächtigkeit. Immer häufiger auftretende Erdbeben, Überflutungen, orkanartige Wirbelstürme oder das Entstehen neuartiger resistenter Krankheitsviren, sind Indiz dafür. Für etwas, das erst den Anfang einer Abstrafung des frevlerischen Menschengeschlechts darstellt. Daher sind größere Kriege in Zukunft eher unwahrscheinlich, da die Staaten in immer stärkeren Maße beschäftigt sein werden, die Ausmaße sogenannter Naturkatastrophen zu bewältigen oder wenigstens einzudämmen. Ist es übrigens ein Zufall, daß Mitteleuropa bisher von Katastrophen größeren Ausmaßes verschont blieb, oder vielleicht doch eine Fügung des Schicksals?
Das Gesicht der Moderne, welche uns in seiner Gestalt durch Architektur, Kunst und Ästhetik sichtbar wird, ist ein überaus häßliches, im wahrsten Sinne des Wortes widernatürliches. Die Städte wurden immer größer,
wuchsen in Höhe und Umfang. Die Technik, die wir Menschen schufen, um uns die Natur untertan zu machen, ist im Begriff, uns in diesen Metropolen zu verschlingen. Jetzt, wo wir Knechte der Technik werden, merken wir:
Auch wir sind Natur. Der drohende, alles verschlingende Orkus der Technik wird uns früher oder später reumütig in das Lager der Natur zurücktreiben. Nicht als Beherrscher dank eines faustischen Paktes mit
diabolischen Höllenmaschinen, sondern als Teil der Natur. Wir sind Wesen, die seine Schöpfung ihr verdanken.
Der Nomadismus als Gesetz der Moderne konnte nur aufgrund des technischen Fortschritts, welcher inzwischen zur globalen Mobilität verhalf, zu dieser bösartigen alles auflösenden, alles zerstörenden Kraft
werden. Statt seinem bisherigen Abweiden der Bauern- und Kulturvölker zu frönen, wird nun furienhaft von einem Winkel der Welt zum nächsten Ort gesprungen. Damit ihm doch bloß nichts entginge. Gleich einen sich
immer mehr beschleunigenden Motor, der jeglichen Bremsversuchen trotzt, aber dennoch zerbersten wird. Solche Hypermobilität wird am prägnantesten durch jene Konzern- und Finanzmanagertypen verkörpert, die hektisch
durch die Welt fliegen, kein Gefühl mehr für die Zeit haben und oftmals nicht mal wissen, in welchen Land sie gerade sind, sondern nur, mit welchen Unternehmen sie als nächstes Geschäfte machen. Dieses
apokalyptische Figurenkabinett der personellen, geistigen und sittlichen Entortung wird auch durch eine andere abstoßende Spezies repräsentiert. Jene dekadente Upperclass aus Milliardären, Kulturzersetzern und
adligen Playboys – jet set genannt – die, gefeiert von der Klatschpresse, weiterhin ungerührt pompejanische Feste feiern. Sie ahnen wohl, daß jeder Tag ihr letzter sein könnte.
Diesem allen steht das natürliche Prinzip der Verwurzelung entgegen. Von dem Land, mit dem Land und für das Land leben, welches einen gebar und wieder verschlingen wird. Nicht nur für sich, sondern auch für
Generationen schaffen, denken und bewahren. Aus sämtlichen oben benannten Gesichtspunkten ergibt sich in zwingender Klarheit die Notwendigkeit der Wiederkunft der Natürlichkeit. Das planetarische Imperium der Natur
muß wieder in sein Recht eingesetzt werden. Möge man es als Göttlichkeit an sich, durch Götter versinnbildlicht, als Schöpfung Gottes oder als spirituelle Einheit sehen. Dies ergibt sich aus einem kulturbedingten
Glauben, welcher jedem menschlichen Wesen zu eigen ist. Die vorbehaltlose Bejahung der Glaubensfreiheit ist aber eine selbstverständliche Haltung, die aus der Ehrfurcht zur Natur und der eigenen Verwurzlung
entspringt. Das Bekenntnis zur Natürlichkeit des Menschen und der Göttlichkeit der persönlichen Freiheit sind wesentliche Grundlage, um im Bewußtsein des heraufziehenden Zeitalters zu denken und zu leben. Demut und
Ehrfurcht vor dem Wesen der Natur, also auch des eigenen innersten Wesen eines jeden selbst, stehen am Ende der Höllenfahrt eines geläuterten Menschengeschlechts. Es bildet sich der Humus, der fruchtbar für das
Saatgut neuer Reiche sein wird.
So bietet sich die Gelegenheit, den Rückenwind des Schicksals zu nutzen.
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