Kultur
Musik
Oper
Angela & Maik. Die Oper ein Exzerpt aus dem Libretto von Maik Maier
2. Akt, 4. Szene, Duett:
M: Angela, sag mal, wir haben gehört, daß bei Dir im Kiez in Prenzlauer Berg die Gewalttaten zunehmen. Stimmt das?
A: Ja, das stimmt; es wird immer schlimmer.
M: Wo liegen die Ursachen für diese Gewalt?
A: Die Ursachen gehen von den Nazis und den Faschisten aus; das ist doch wohl jedem klar.
M: Gibt es dafür Beispiele, die Du die mir nennen kannst?
A: Ja, neulich stand ich vor dem Döner-Tempel, als 20 Skinheads vorbeikamen und “Türken raus!” gegrölt haben.
M: Kam es dann zu Handgreiflichkeiten?
A: Natürlich, hast du nichts davon gehört?
M: Eigentlich nicht. Wo stand denn das?
A: Na doch nicht in der Zeitung, du Arsch! So was steht doch nicht in der Zeitung. (schüttelt mit dem Kopf)
M: Und in der taz?
A: Hör auf mit der taz!
F. Warum?
A: Kein Kommentar.
M: Na erzähl doch mal, was nun wirklich passiert ist.
A: Mach doch mal die Augen auf!
M: Glaubst du, daß es was mit der Arbeitslosigkeit zu tun hat?
A: Ich glaube, das hat eher was mit der mangelnden Schulbildung zu tun. Das sind doch alles Hauptschüler, wenn’s hoch kommt!
M: Glaubst du wirklich, daß es daran liegt?
A: Zeig mir doch mal einen Skin mit Abi!
M: Ich habe im übrigen auch kein Abi.
A: (sagt nichts; dann:) Auf jeden Fall muß etwas passieren.
M: Und die Polizei?
A: (lacht laut los)
M: Ja, wie?
A: Auf wessen Seite die stehen, ist ja wohl klar.
M: Ja, und was schlägst du vor?
A: Gegengewalt ausländischer Jugendlicher und AntifaschistInnen.
M: Bist du der Meinung, daß das eine Lösung ist?
A: Die fang’ doch immer an.
M: Gibt es in Prenzlauer Berg überhaupt Ausländer?
A: Leider noch viel zu wenig. Die trauen sich noch nicht richtig hier her.
M: Woran, glaubst Du, liegt das?
A: (verzieht ihr Gesicht)
M: Glaubst du, daß die Angst haben?
A: Nein, die haben einfach keinen Bock. Hier gibt es einfach keine Basis, keine multikulturellen Einrichtungen.
M: Bist du nicht der Meinung, daß der Prenzlauer Berg eigentlich ziemlich tolerant ist?
A: Wo denn?
M: Es gibt eine Menge Bars für Homosexuelle und Studenten.
A: Das kann doch wohl nicht wahr sein!
M: Na was stellst du dir denn für Einrichtungen vor?
A: Sprachschulen.
M: Damit die Türken deutsch lernen können?
A: Nein, zweisprachige Schulen, wo sich die Kinder näherkommen können.
M: Wie kann ich das verstehen?
A: Eine Schule, in der sowohl deutsche, als auch türkische Lehrer unterrichten, um die Sprachbarriere zu überwinden.
M: Die türkischen Kinder sollen also deutsch lernen?
A: Ja, und die deutschen Kinder türkisch.
M: Das soll eine Lösung sein?
A: Türkisch ist doch eine sehr schöne Sprache!
M: Laßt uns wieder zur Gewalt zurückkommen: Mir wurde gesagt, daß türkische Jugendliche am Helmholtzplatz mit Drogen handeln...
A: ... das stimmt schon mal gar nicht, daß das türkische Jugendliche sind.
M: Sind es Deutsche?
A: Nein, Araber.
M: Spielt das eine Rolle?
A: Nö.
M: Na also. Wenn wir für die ”Fremdsprachenschulen” aufmachen würden: Meinst du, daß die dann keine Drogen mehr verkaufen?
A: Was haben Drogen mit Gewalt zu tun?
M: Was haben ”Fremdsprachenschulen” mit Gewalt zu tun?
A: Da geht es doch schon wieder los: Ich hasse das Wort Fremdsprache. Ich habe nie von Fremdsprachenschulen gesprochen, ich habe von zweisprachigen Schulen gesprochen!
M: Na gut.
A: Es geht ja nicht nur darum. Es müßte viel mehr Jugendarbeit betrieben werden.
M: Zum Beispiel?
A: Na, in Form von Workshops.
M: Ach du meinst eine Art Klub, in dem sich türkische und deutsche Jugendliche begegnen?
A: Genau.
M: Glaubst du, daß es z.B. zwischen ausländischen Jugendlichen und Skinheads zu Konfrontationen kommen könnte?
A: Skinheads kommen da gar nicht hin, wenn die wissen, daß Ausländer da sind.
M: Weil sie kein Interesse an Gesprächen haben?
A: Nein, die haben doch Angst vor Ausländern.
M: Aha?
A: Außerdem wäre das ja äußerst peinlich für die Deutschen, wenn ausgerechnet Skinheads den ”deutschen” Jugendlichen präsentieren würden.
M: Was sollen denn da für Themen besprochen werden?
A: Was Jugendliche so betrifft.
M: Zum Beispiel?
A: Wahlrecht für Kinder, die Unterdrückung der Frauen in unserer Gesellschaft und die Ehe von Gleichgeschlechtlichen.
M: Und Drogen?
A: Ich glaube, man muß die Ursachen bekämpfen. Alles andere ist Symptombekämpfung.
M: Das leuchtet ein.
A: (nickt)
M: Gab es früher auch Drogen im Kiez?
A: Ja, in Form von Klebstoffen und Alkohol.
M: Das waren dann aber mehr so die Zecken und so, oder?
A: Nee nee.
M: Das schlimme ist, daß heutzutage auch schon ganz normale Kinder Drogen konsumieren.
A: (nickt)
M: Heutzutage...
A: ... wenn man Kinder selbstbewußt erzieht, haben sie es nicht nötig, Drogen zu nehmen!
M: ”Selbstbewußt erziehen” – indem sie türkisch lernen sollen?
A: (lehnt sich zurück und verdreht die Augen)
[Wirtin kommt. Angela bestellt zwei Cuba libre.]
M: Danke.
A: Vielleicht sollten deine Skinheads erst mal richtig deutsch lernen.
M: Meine Skinheads?
A: Bei mir im Hausflur stand neulich ”Auslender raus!” mit einem E anstatt eines Äs. Verstehst du? Mit einem E...
M: ... ja, schon klar.
A: Und als ich neulich stockbesoffen nach Hause gekommen bin, haben mich zwei von diesen Typen angewichst. Da war ich vielleicht sauer!
M: Mhm.
A: Die Penner.
M: Bist du schon mal von Auslendern angemacht worden?
A: Ja, in der U-Bahn. Da hatte ich einen Minirock an. Und da haben so ein paar Typen die ganze Zeit so blöde geglotzt.
M: Türkische Jugendliche?
A: Ja, aber das ist nicht ernst zu nehmen. Das ist halt typisch Mann. Ich werde auch ständig von deutschen Männern angemacht.
M: Ob das am Minirock liegt?
A: Moment mal. Ich zieh meinen Minirock an, wenn ich Lust habe.
M: Na gut, lassen wir das.
A: Das ist ja wohl...
M: ... in welcher Form begegnet Dir Gewalt ansonsten?
A: In meiner Nachbarschaft.
M: Aha!
A: In meinem Haus wohnen nur Alkoholiker.
M: Und die streiten sich?
A: Ja, mal untereinander, mal gegeneinander.
M: ?
A: Ja, das ist ganz schlimm.
M: Inwiefern?
A: Naja, die leben alle von Sozialhilfe und kotzen den Hausflur voll.
M: Aha.
A: Die über mir haben schon seit drei Monaten kein Licht mehr. Die saufen da bei Kerzenlicht. Und da herrscht ständig Streit wegen der Hunde.
M: Wegen der Hunde?
A: Ja, die sind völlig unerzogen, die Scheißköter.
M: Hast du auch schon mal Streit mit denen gehabt?
A: Öfters. Der aus dem Ersten hat zum Beispiel behauptet, daß ich in seinen Keller eingebrochen bin.
M: Und warum?
A: Du meinst, warum der das behauptet?
M: Ja.
A: Das war mitten im Winter, und der hatte keine Kohlen mehr zum Heizen und war überzeugt, daß ich ihm seine Kohlen geklaut hätte.
M: Ist da was Wahres dran?
A: (wird sauer) Der hat schon letzten Winter keine Kohlen mehr gehabt!
M: Hast du schon mal probiert, dich mit deinen Nachbarn zu verstehen?
A: Versuch das mal, wenn man dir andauernd vor deine Tür pißt!
M: Ja, das ist ganz schön widerlich.
A: (nickt)
M: Bei mir hat neulich auch ein Türke in den Hausflur geschissen, die Sau.
A: Hast du ihn dabei erwischt?
M: Leider nicht.
A: Woher weißt du denn dann, daß es sich um einen Türken handelt?
M: Weil er sich den Arsch mit einer Hürriyet abgewischt hat.
A: Die Drecksau.
(Prosten sich zu.)
M: Hast du eigentlich schon mal Drogenerfahrung gemacht?
A: Ja, aber das ist schon lange her.
M: Erzähl mal.
A: Das war früher in Haft.
M: Du warst in Haft?
A: (nickt)
M: Ich auch.
A: Ja, aber das ist schon lange her.
M: Was sagst du überhaupt zu Abdulah Öcalan? Oder ist das nicht mehr richtig in?
A: Wer?
M: Na Abdulah Öcalan!
A: (zuckt mit den Schultern)
M: Und Pinochet?
A: (schüttelt fragend den Kopf)
M: Ich finde, das alles ist eine ganz schöne Sauerei.
A: Kenn ich nicht. (Prosten sich zu.) Freunde von Dir?
M: Weißt du überhaupt, warum ich mir das heutige Datum für unser Gespräch ausgesucht habe?
A: (überlegt) Der wievielte ist denn heute?
M: Der 9. November.
A: Reichspogromnacht?
M: Quatsch!
A: (überlegt)
M: Tag der Einheit!
A: (zieht die Augenbrauen hoch und nickt)
M: Und wo warst du am 9. November ’89?
A: Da war ich gerade in der Heia.
M: Hast du dich über die Einheit gefreut?
A: Na logisch. (lacht laut auf) Da hab ich erst mal gefeiert.
M: Und wo?
A: Auf’m Ku’damm natürlich.
M: Bist du nicht der Meinung, daß man nicht ein bißchen hart mit der SED-Führung umgeht?
A: Alle ab nach Bautzen, die Penner!
M: Was war dein erster Eindruck vom Westen?
A: (macht große Augen) Sehr, sehr viele Auslender.
M: Ist das gut oder schlecht?
A: (überlegt) Das sind doch auch Menschen.
(kurze Pause)
A: Auf jeden Fall habe ich dann erst mal meine ganze Westverwandtschaft besucht.
M: (gähnt, bestellt die nächste Runde)
A: Da habe ich bei meiner Tante zum ersten Mal einen richtigen Papageien gesehen.
M: (nickt)
A: Ich dachte ja immer, daß Papageien sprechen können, aber...
M: Hast du vorhin ”Vorsicht Friedmann!” gesehen?
A: Hm?
M: Mit Sarah Wagenknecht.
A: (verzieht ihr Gesicht) Ich kucke selten fern.
M: Schade, wäre interessant gewesen.
A: ... (unverständlich)
M: Was hörst du eigentlich für Musik?
A: Rolling Stones und HipHop.
M: HipHop?
A: Na klar, ich kann auch selber ziemlich gut rappen.
M: Ein Hobby von Dir?
A: Nein, eher eine Leidenschaft. Soll ich mal?
M: Um Gottes Willen! (kuckt sich um)
A: (kichernd) Ich muß mal pissen.
M: (nickt)
A: (kommt nach einer Weile mit ernster Mine zurück) Die Schweine!
M: (sieht sie fragend an)
A: Erst mal’n NPD-Aufkleber abgepuhlt.
M: Auf dem Weiberklo?
A: (nickt verschwörerisch) Ist das hier ’ne Fascho-Kneipe?
M: Ach.
A: (mustert kritisch alle Kneipengäste) Ich fühl mich nicht wohl hier.
M: Wollen wir wo anders hingehen?
A: (nickt)
M: Hast du einen Vorschlag?
A: Kennst du das ”Schliemann”?
M: (nickt) Zahlen!
Angela Marquardt: http://www.angela-marquardt.de/
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