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Grundsätzliches

 

Peter Töpfer: Blauer Planet

(Dieser Aufsatz erschien unter dem Titel “Jungle World” zuerst in Sleipnir. Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik 2/1999)

Der Aufenthalt auf dem blauen Planeten ist ein kurzer. Jeder Mensch hat eine andere Vorstellung davon, wie dieser zu verbringen und zu gestalten sei. Mögen all jene, die sich deswegen schlagen wollen, denen der Aufenthalt zu lang erscheint oder deren Vorstellung von diesem es ihnen wert erscheint, diesen künstlich abzukürzen, die Hand heben und nach vorne treten und ihren Kampf austragen: untereinander. Ihnen soll dafür einen Raum gegeben werden. Jeder soll auf seine Facon sterben dürfen. Auch der Freitod ist zu würdigen als mutige, menschliche Tat. Dem Bericht und der Beichte über Taten und Beweggründe in den Lagen äußerster Bedrängnis, den Grenzsituationen, da, wo es scheint, daß nur noch der Hieb Ausgang und Lösung ist, schenken wir unsere ganze Aufmerksamkeit. Jeder hat seine Gründe, und alle haben recht, und es gibt genug Raum, daß ein jeder gehört und ihm die Ehre erwiesen werde. Jedem wird in dem Moment, wo er den Kampflatz betritt, zu siegen oder zu sterben, genug Zeit gegeben, in heiligem Ernst, in der schaurigsten Teilnahme und Liebe seiner Erdenmitbewohner, seiner Gattungsangehörigen, seine Meinung zu sagen, den Versuch zu unternehmen, von seinen Verletzungen, der Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren ist und ihn aufbringt, die ihn nun in den Kampf um Leben und Tod treiben möchte, zu sprechen. Dann wollen wir Gerechtigkeit wiederherstellen, wiedergutmachen, Wunden heilen.

Und jeder soll wissen: Wir lieben ihn, denn Liebe ist die anteilnehmende Achtung, ist die Annahme des anderen, so wie er ist. Von dieser Liebe sind wir erfüllt. Und jeder soll wissen, daß er seinen Entschluß zum Kampf rückgängig machen kann, daß er in der letzten Sekunde zu seiner Familie, seinen Volks- oder Gattungsgenossen in Frieden zurückkehren kann, daß er sich und die Gemeinschaft heilen kann. Selbst sein Gesicht darf er verlieren, wir werden dies nicht ausnutzen; er darf uns die schlimmsten Dinge zurufen; wir werden ihn für nichts verurteilen, wir werden ihm nicht zu nahe treten. Wir gestatten ihm, uns in aller Zeit der Welt ein neues, friedliches, würdiges Gesicht zu zeigen. Wir werden ihm den Raum, die Gelegenheit, die Ruhe, die Würde und die Ermutigung geben.

Die Entscheidung zu sprechen, auf seine Feinde zuzugehen, diese Aufgabe hat er selbst zu erfüllen, diesen einen Schritt muß er selbst gehen.

Wenn er dies nicht kann, möge das Schicksal seinen Lauf nehmen.

Dann aber werden wir uns nicht dreinschicken, daß wir in seinen Strudel, seinen Abgrund, seinen Krieg hineingezogen werden; wir werden uns nicht an die Front schicken lassen, wir werden nicht zulassen, daß unseren Kindern ein Leids geschieht.

Krieg, Schlachten, unermeßliches Leid für Unbeteiligte, Unschuldige, Kinder: Wie schnell ist das da? Wie schnell schlägt die unausprechlichste Verletzung des unsagbar Empflindlichen zu? Seid Ihr Euch dessen bewußt? Wollt Ihr es darauf ankommen lassen? Ihr wißt, welche zarte Pflanze das Leben ist und daß es je schöner desto verletzlicher ist.

Bei aller Liebe und Bereitschaft zum Ausgleich, Willen zum Frieden haben auch wir unsere Vorlieben, unseren Standpunkt, weil wir Menschen sind und keine Götter, das heißt einer Kultur, einem Volk angehören.

Dann soll sterben, der für seine Sache sterben muß, wo es nicht mehr anders geht. Dann nehmen auch wir uns den Raum, nicht sterben zu wollen, wir, deren Sache auf dem Planeten nicht der Kampf, der vorzeitige Tod ist, sondern die Unversehrtheit, das Heil, dann wehren wir uns dagegen, an die Front geschickt zu werden. Wir haben gegen niemanden etwas, aber wer uns nicht in Frieden läßt, den wehren wir ab. Nicht mehr, nicht weniger.

Wenn manche meinen, Kriege gehörten dazu, das sei so gewesen und wird immer so sein, dann sollen sie ihre Kriege führen – untereinander, ohne uns. Wenn sie aber unser elementares Recht bestreiten, uns nicht in ihre Kriege hineinziehen zu lassen, werden wir zu wilden Tieren, entschlossenen Kämpfern. Dieses Recht ist Scholle, Brot und Freiheit. Wir träumen nicht, phantasieren nicht; wir können sehr realistisch sein. Wir brauchen kein Paradies auf Erden, aber daß Leben Kampf sei, das ist uns fremd. Ist das Paradies auf Erden nicht die Sehnsucht derer, die uns Träumer schimpfen? Ist es nicht absurd und zynisch, zu sagen, das Leben sei Kampf, da man selbst die Faust hebt und andere in den Kampf zieht? Kinder, diese zarten Pflanzen, mit Schrecken überzieht und tötet? Wie verbittert, wie enttäuscht müssen diese sein?

Schmerz gehört zum Leben, hören wir. Eine bittere Lebenserfahrung. Entspricht es Eurer Würde, dies zu neuer Wirklichkeit werden zu lassen? Unschuldige, frohe Kinder in das Unglück zu stürzen?

Uns fällt es nicht ein, für eine Vorstellung, ein Ideal, eine Idee, eine Theorie zu sterben. Es könnte sein, daß wir in die Lage kommen, für unsere nackte Existenz, für unsere Handvoll Korn, unser Leben einzusetzen.

“... und den anderen in uns zu Wort kommen zu lassen, der die ewigen Gesetze kennt. Er wird uns nicht trösten mit den Eintagsparolen der Politiker, die mit ihrem Atem die Welt verpesten und den Menschen zum Narren halten und unter das Vieh erniederigen möchten. Für diese Scheinwelt lohnt es sich nicht zu kämpfen und zu sterben! Für Deutschland? Selbstverständlich – für das verborgene ewige Deutschland!” schreibt der 23jährige Student Klaus Löscher aus Frankfurt am Main, bevor er im April 1944 im Handgranatenkampf fällt.

Wir brauchen nicht viel, nur Freiheit. Wenn wir uns für keine Idee an die Front schicken lassen, wie können dann manche darauf hoffen, wir könnten uns für Öl an die Front schicken lassen? Wir, die wir mit einer Handvoll Korn zufrieden sind, für die Swimming Pools und den Kaviar anderer zu sterben? Das ist kein Verhältnis. Für wie blöde halten uns überhaupt manche? Und wie bodenlos ist die Verkommenheit, wie schier unverständlich irre, Bomben loszuschicken in allen Namen der Freiheit, der Menschlichkeit, der Toleranz! Wie häßlich diese Kreatur, wie von sich selbst bespuckt, wie schon gestorben und im Tod noch verflucht.

Und wie arm und zusammengedrückt die Seelen, die Angst vor uns haben.

Wir haben Verständnis dafür, wenn einem eine Million nicht genug ist; wir verstehen, daß zwei Millionen besser sind, daß der Mensch gierig wurde, weil er einmal nicht genug bekam. Aber das nicht auf Kosten derer, denen der blaue Planet schön genug ist, daß sie ihren Aufenthalt auf ihm auch mit einer Handvoll Korn am Tag genießen, in Freiheit, nicht auf Kosten des nackten Lebens von Vätern kleiner Kinder. Wir wollen Freiheit, und Freiheit, nicht für anderer Gier oder Verletztheit sterben zu müssen.