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Grundsätzliches

 

Peter Töpfer: Auch ich kann meine Geldgeber nicht nennen. Fundamentalkorruption Zur Finalkrise der BRD als Spitze des zivilisatorischen Eisbergs

1.

Die “Stooges” waren die erste Punk-Gruppe der Geschichte. Das war in den späten 60er Jahren. Punk wurde dann in den 70ern zu einer Jugendmassenbewegung, die sich vor allem dadurch auszeichnete, daß die Punks einen Scheiß auf das gaben, was man von ihnen erwartete, daß sie hochmütig auf die Gaben der Eltern und des gesamten Systems verzichteten. Dieses Verhalten nannte man unkorrupt. Allein in der Masse lag bereits die Korruption. Denn ein Ausscheren fand nun eigentlich nicht mehr statt. Man wurde sich schnell bewußt, daß es sowieso und überhaupt kein unkorruptes Verhalten in der kapitalistischen Welt geben kann. Also ließen die Sex Pistols sich und das eigene Ideal von ihrem Manager Malcolm McLaren bei vollem Bewußtsein (“The great rock’n’roll swindel”) auf den Markt tragen: darin lag noch die glaubwürdigste Reaktion auf die gewonnene Erkenntnis.

Der Sänger der Stooges hieß Iggy Pop. Er brachte in diesem Jahr eine CD namens “Avenue B” heraus, dessen Hitauskopplung “Corruption” heißt. Auf VIVA 2 wurde Iggy Pop zu diesem Kunstwerk befragt. Er sagte, daß er eigentlich viel lieber ausschließlich langsame, gefühlvollere Lieder auf die CD gebracht hätte, die viel mehr seinen Zustand widerspiegeln würden, daß ihn aber die Plattenfirma zu einem Kompromiß überredet hätte, nämlich mindestens zur Hälfte auch schnelle und rockige Lieder, wie sie von den Iggy-Fans angeblich erwartet würden, einzuspielen. Einer dieser lauteren Titel nun ist besagtes “Corruption”.

Die übliche und viel zu flache Definition von Korruption lautet, daß jemand Geld dafür nimmt, wenn er z.B. einen Auftrag gegen die Ausschreibungsvorschriften vergibt. Aber Korruption ist viel umfassender, verläßt sogar den Rahmen des Kapitalismus und disqualifiziert jede Gesellschaftsform, in der die Selbste der Menschen verleugnet, verdrängt und kaputtgemacht werden.

Ein Freund fragte mich neulich: “Was unterscheidet DICH von Helmut Kohl und den seinigen?” Zuerst gab ich zur Antwort: “Was mich von H. Kohl unterscheidet, ist vielleicht das gleiche, was mich von G. Schröder unterscheidet: den sah ich nämlich gerade im Fernsehen: der Mann ist ALT geworden in den paar Monaten!... Diesen Streß, Bundeskanzler zu sein, mache ich mir nicht.” Doch wenig später fiel mir ein, daß mich von Helmut Kohl eigentlich nicht so viel unterscheidet. Auch ich kann meine Geldgeber nicht nennen. Ich würde das kapitalistische Lügensystem der BRD und seine Herren & Knechte noch viel heftiger kritisieren und angreifen. Aber ich tu es nicht, weil ich um meine materielle Basis fürchte. Ich bin genau so korrupt wie Helmut Kohl. Die Quantität der Korruption ist unterschiedlich (ich kann die Geber von etwa 800,- DM/Monat, Kohl die Geber von Millionen nicht nennen), womöglich auch die Qualität. Aber das Prinzip ist das gleiche.

Ekelhaft korrupt ist die Journaille, die sich jetzt auf einzelne dieses korrupten Systems stürzt, deren korrupte Taten sich im Vergleich mit der Riesenkorruption des Gesamtsystems vergleichsweise minimal ausnehmen. Wenn sich Wolfgang Schäuble, der ganz sicher einer der schlechtesten Menschen nicht ist, nicht mehr an sämtliche Treffen mit dem Waffenhändler Schreiber, die Jahre zurückliegen, erinnert, so ist ihm das durchaus zu glauben. Jetzt wird ihm daraus der Strick gedreht. Es geht der Systemjournaille nur um Sündenböcke, weil die Journaille selbst zum korrupten System gehört. Sie will die Böcke sterben sehen, aber nicht das System. Schäuble ist tatsächlich auch nur Opfer dieses Systems, und es ist absolut realitätsverzerrend, wenn ihm jetzt wegen einer geringen korrupten Tat, die wir alle tagtäglich begehen, schwerste persönliche Vorwürfe gemacht werden, die ihn zu unrecht in seiner Menschlichkeit treffen. (Schäubles schwerwiegendere korrupte Taten liegen ganz so anders.) Die Journaille sieht, wie er leidet, wie er verzweifelt ist, seine Augen völlig stumpf sind, wie er fast dem Tode nah ist. Sie empfindet womöglich Mitleid für ihn. Dieses Gefühl aber verdrängt sie, weil, wenn sie dieses Gefühl zulassen würde, ihre eigene Rolle im korrupten System und die ganze Unmenschlichkeit des Systems deutlich werden würde. Das System könnte von den Gefühlen der Menschen dahingeschmolzen werden; und dabei könnte ja etwas Menschliches herauskommen... Also hackt sie erbarmungslos weiter auf ihn ein und verhilft dem anderen an der konkreten Korruption Beteiligten, nämlich Waffenhändler Schreiber, zu großem Ansehen. Schäuble läßt sich zerstören, weil auch er das gesamte korrupte System nicht erkennen kann, jedenfalls nicht so deutlich, daß er daraus die Konsequenzen ziehen und die Politik hinschmeißen würde. Er zieht sich den Schuh an und ruiniert seine verbliebene Gesundheit. Erst bei einer klaren Analyse bzw. Bewußtwerdung des gesamten korrupten Systems würde ihm die Kraft zuwachsen, sich dem System zu entziehen: Er würde dann nicht mehr auf die Gaben des Kapitalismus hoffen, sondern für Lebensverhältnisse sorgen, wo er und die anderen Menschen kraft ihrer Fähigkeiten für sich selbst sorgen.

Der ganze Kapitalismus, also bis hinein in die kleinste Seele der kleinsten Kinder, die in seinem Wirkungsbereich leben, ist korrupt, und nicht etwa nur diejenigen Personen, die an wichtigen Entscheidungen beteiligt sind. Es geht gar nicht anders. Will Herr Müller, Versicherungsvertreter der Pfefferminzia, eine Versicherung verkaufen, muß er sich verstellen, muß er heucheln, muß er lügen, muß er einen Teil seines Selbstes verdrängen, denn er selbst weiß ja, daß die Pfefferminzia auch nicht besser ist als die Hamburg-Mannheimer. Will die 14jährige Mandy Meier aus Berlin-Marzahn in der Schule eine gute Note haben, weil sie sonst Schimpfe ihrer Eltern bekommt, muß sie ihre wahren Interessen verleugnen und Mathe oder chinesische Vokabeln büffeln. D.h., beide bekommen Geld, Liebe, Anerkennung und Sicherheit dafür, daß sie sich verstellen, verleugnen. Sie nehmen Geld oder Geborgenheit in Empfang für eine Leistung, die aus Schwindelei besteht.

Korruption ist, wenn man nicht ehrlich ist. Wenn man sich irgendein Vorteil davon verspricht, nicht ehrlich zu sein. Wenn man eine Lüge aufrecht erhält aus Bequemlichkeit. Wenn man sich verstellt, um etwas zu kriegen. Man läßt sich zu seiner eigenen Verleugnung bestechen. Das geht meist unbewußt vor sich. Aber das bewahrt nicht vor dem Schaden. Die Folge des Korrupt-seins ist, daß man sich isoliert, weil niemand etwas mit einem Lügner zu tun haben will, weil der Lügner nicht verläßlich ist und weil er mich verstört in meiner (dann verzerrten und wieder zu revidierenden) Wahrnehmung des Realen. Und man isoliert sich von sich selbst, so daß man sich selbst unreal und unecht vorkommt. Die Empörung gegen Korruption gründet also in einem sehr tiefen Bedürfnis, heile, d.h. seelisch gesund zu sein und zu bleiben. Lüge heißt Angriff und Zerstörung der seelischen Integrität, d.h. Gesundheit. Wer nicht korrupt ist, der ist “integer”, d.h. ganz, heil.

Die Korruption, die zwischen Eltern und Kindern stattfindet, ist das Muster aller späteren Korruptionen. Alle Menschen in der zivilisierten Welt, besonders im Kapitalismus, sind korrupt: alle, ausnahmslos.

Denkt mal drüber nach, unter welchen Umständen ihr euch wirklich nicht verstellen (“korrumpieren”) bräuchtet! Malt es euch ordentlich aus! Und wenn Ihr’s habt, dann wißt Ihr, was Anarchie ist.

 

2.

Lieber X,

(es tut mir leid, Dich nicht beim Namen nennen zu dürfen; ich empfinde es auch als entwürdigend für Dich, aber es war Deine Entscheidung...)

Du sagst mir, Du könnest Dich ab nun, da Du einen höheren Posten in einem politischen Verein übernommen hast, “nur sehen lassen, wenn es sich wirklich nicht vermeiden läßt”. Mit einem Anarchisten gesehen zu werden, könnest Du Dir in Deiner Position nicht mehr leisten. Einige Mitglieder Deines Vereins würden das gar nicht schätzen.

Nun, dann mußt Du Dich eben entscheiden. Dann sind Dir Deine Vereinsgenossen wichtiger als ich. Ich nehme es zur Kenntnis und muß es akzeptieren.

Nicht, daß ich mich meinerseits unbedingt mit Dir sehen lassen will (daran habe ich so noch nie gedacht); ich möchte Dir auch keine Schwierigkeiten machen. Aber da für mich solche Überlegungen noch nie eine Rolle gespielt haben und ich auch keine Lust habe, irgendwelche Spielchen mitzuspielen (“Mit wem hat wer wen gesehen?” usw.), möchte ich Dich als Freund warnen: Ich bin unberechenbar! Ich werde versuchen, Deinem Wunsch zu entsprechen, aber ich sehe es nicht ein, mir deshalb irgendeinen Streß zu machen. “Distanziere” Dich also am besten gleich offiziell von mir, überall wo Du hinkommst, so wie es die BRD-Normalos alle tun, wenn irgendeiner auch nur ansatzweise aus der Herde ausschert oder er von einem bissigen Herdenhund namens Antifascho angebellt wird. Am besten, Du wirst jetzt auch ein BRD-Normalo. Ich dachte immer, die Mitglieder Deines politischen Vereins, in dem Du Dich schon seit langem engagierst und in dem Du nun einen verantwortlichen Posten übernommen hast, haben durchaus eigenständige Vorstellungen vom Leben und der Gemeinschaft hier bei uns in Deutschland. Aber da muß ich mich wohl getäuscht haben.

Wie dem auch sei: Ich brauche Dir nicht sagen, daß ich einigermaßen verbittert bin. Denn Du warst (und bist auch noch) ein wirklicher Freund. Ich weiß, daß Du das weißt, und daß ich auch ein Freund für Dich war (und bin). Wir sind nicht nur befreundet, sondern auch das, was wir uns beide wohl unter Volksgenossen vorstellen: solidarisch, von einem Zusammengehörigkeitsgefühl geprägt; eine Zusammengehörigkeit, in der jedes offene und kritische, auch jedes “verrückte” Wort seinen Platz hat, weil ein grundsätzliches Vertrauen da ist.

Ich empfinde es als Verrat an dem, was ich eben dargestellt habe, wenn Du in die Nähe kommst, Deine Freundschaft zu mir zu verleugnen. Ich frage Dich: Welcher Kompromiß lohnt sich? Die Mitglieder Deines politischen Vereins prangern die Korruption des BRD-Parteiensystems an. Aber wo fängt denn die Korruption an? Fängt Sie nicht schon in Deinem Verhalten an? Vielleicht ist es Dir nicht bewußt, und es klingt bestimmt sehr hart, zu hart, aber: Welche Freundschaften glaubst Du noch verraten, d.h. verkaufen zu müssen? Für welche politische Zwecke? Was sind denn das für Zustände, die eintreten würden, wenn Du eines Tages dort ankommen solltest, wo Du mit Deinem politischen Verein hinwillst – zu mehr Macht und Einflußmöglichkeiten auf unser Leben –, wenn die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt? Aber die Zukunft interessiert mich nicht besonders; ich bedauere den heutigen Zustand.

Du weißt, daß ich schon immer mehr als skeptisch gegenüber Politik war. Das hat mit Eskapismus nichts zu tun; ich ziehe mich nicht aus den öffentlichen Dingen zurück; ich finde bloß diese schizophrene Spaltung in Niederes (unsere Menschlichkeit) und Höheres (angeblich irgendwelche wichtigen Belange, die mehr oder weniger geheim ablaufen müssen und wo das Menschliche und Persönliche ausgeschlossen bleiben muß) Scheiße. Skeptisch erst recht gegenüber der Hohen Politik. Ich wünsche Dir, daß Du dort nie wirklich ankommen wirst, und erst recht nicht noch weiter oben: Dort herrscht Eiseskälte. Jetzt haben wir schneller als gedacht ein Beispiel dafür – und eins, das uns so unmittelbar selbst betrifft –, warum ich nichts von Politik halte. Politik ist korrupt. Das Leben unseres Volkes aber geht auch ohne Korruption; und dieses Leben ist viel schöner. Für ein solches Leben lohnt es, sich zu engagieren.

In tiefer Freundschaft

Dein Peter Töpfer

 

3.

was hieß das
durch und durch korrupt sein
oder wollt ihr allen ernstes behaupten
es gäbe auch nur eine sache
die ihr nicht aus berechnung tätet
es gab nichts
was ihr nicht getan hättet
euren neuen wagen zu bezahlen
in restaurants speisen zu gehen
nicht genug war da
das ihr tun konntet
für geld
ihr lechztet nach mehr
wart enttäuscht beleidigt
wenn man euch nichts mehr anbot
euch nicht kaufte
genau überlegtet ihr
was zu sagen war
damit das geld weiterfloß
für eure sinnlosen eitelkeiten
oh wie dumm ihr wart
die ihr von freiheit faseltet
aber ihr wart noch schlimmer
euch schlau zurückhaltend
ihr wußtet genau bescheid
verkrochet euch in eurer feigheit
und dann gab es noch die
die sagten so etwas wie freiheit
das gibt es gar nicht
ich durfte euch das sagen
denn ich war rein geblieben
und ihr brauchtet mich
um wieder rein zu werden
ich wußte warum ich
mich auf nichts einlassen konnte
ich keine bindung eingegangen war
warum ich alles offen hielt
in der schwebe von der aus
ich nun angreifen konnte
ihr sagtet es stürbe
die menschheit dann aus
was besseres konnte geschehen
als daß diese last abfiele von der erde
die sich durch die reinheit des alls bewegte
endlich wäret ihr fort von ihr
mit jedem verrat an euch
tötetet ihr die welt da draußen
mit einer jeden freien entscheidung
atmete sie ein wenig auf
dieses gejaule von den katastrophen
die welt ginge unter
wenn es doch nur schon so weit wäre
daß es ein ende hätte mit euch
die ihr ständig ankämpftet
gegen eben diese welt
gegen euch und eure kinder
nichts konntet ihr lassen wie es ist
alles mußte sich nach eurem bild wandeln
wurde häßlich wie ihr ausgerechnet
ihr wolltet die welt retten
daß ich nicht lache
mit euren verbesserungsvorschlägen
für wen haltet ihr euch überhaupt
alles überdecktet ihr mit euren kommentaren
interpretationen
es gab keine hoffnung mit euch
ihr mußtet weg
sterben daß wieder reinheit würde
welcher von euch weltrettern konnte denn
den strahlend blauen himmel ertragen
konnte die musik der völker ertragen
die ruhigen ordnungen
aus sich selbst heraus
in sich selbst
wo es nichts anderes gab
außer euch die ihr überall
hereintrampeln mußtet
ihr schweine
die ihr die schweine
von der welt weggenommen
eingepfercht und gequält hattet
geformt nach eurem bilde
oh gott all das mußte abgetragen
mußte rückgängig gemacht werden
mußte sich selber überlassen werden
damit ein ausgleich sei ein pendeln
der kräfte die die welt sich leisten konnte
euch konnte sie nicht mehr
und ich genoß es
nicht so zu sein wie ihr
wie genoß ich die freiheit
die unbestechlichkeit
was hattet ihr zu gewinnen
mir ging es dreckig aber
ich war frei und unbestechlich
der gott des mangels
er konnte mich mal
er traute sich nicht mehr
an mich heranzutreten
wie klein und ängstlich er wurde
eifersüchtig aus der ferne lugte
herüber zu uns starken
nach norden
die wir im überfluß standen
unserer kraft
unserer geliebten europa
wir hatten kein vertrauen
wir waren die welt
die ihre freude an uns hatte
stolz und froh spielte sie mit uns
gab sie uns aufgaben
forderte sie uns
ihr töchter und söhne
wir spielten miteinander
in der wonne unseres heils
die welt gegen uns
ein faires spiel
mannhaft
heiter
wir gegen die welt
wir lachten
die welt war freundlich
wir liebten die welt
große kinder die wir waren
in unseren bärten
unsere starken körpern
unserer ruhigen sicheren schönheit
sie grüßte uns
aus den bläuen der berge
und dem grün der wiesen
wie klar und strahlend war die welt