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Französischer Revisionismus
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Serge Thion: Algerien, Ruanda

(Dieser Aufsatz erschien auf deutsch zuerst in Sleipnir. Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik 5/96)

1.

Auch wenn Zweifel an der Zahl der getöteten Algerier angebracht sind, so ist doch tatsächlich von einem algerischen Bürgerkrieg zu sprechen. Offensichtlich wird dieser Krieg von einem inneren Konflikt, und keiner äußeren Einmischung, am Leben gehalten. Die Mittel, mit denen er geführt wird - Mord, besonders an Frauen, Kindern und Schwachen - sind furchtbar und zu verurteilen. Die Wut und Empörung, die diese Terrorakte hervorrufen, sind sehr gut zu verstehen. Auch wir sind von ihnen entsetzt.

Gleichzeitig werden wir weiterhin daran erinnern, daß der Verursacher des Krieges die an der Macht befindliche Clique ist, die die Sieger der Wahlen an der Ausübung ihres demokratisch errungenen Mandats hindert und sie statt dessen in Konzentrationslager interniert. Offensichtlich schrecken diese Leute, die sich seit mehr als dreißig Jahren an der Macht befinden, vor keinem Mittel zurück, auch dort zu bleiben. Sie selbst haben seit Ende der 70er Jahre das Aufkommen des Islam begünstigt, sei es mit radikal-konservativen Gesetzen, sei es auf direkte Weise, indem sie überall im Lande den Bau von Moscheen finanzierten. Außerdem scheint es ziemlich klar, daß die Mehrzahl der Massaker, der mehr oder weniger geheimen Liquidierungen und Übergriffe dem Regime angelastet werden muß, das behauptet, sich nur zu ,,verteidigen”. In Wirklichkeit herrscht es mit Terror, um sich zu halten, während es die Mehrheit des Volkes aus gutem Grunde verabscheut und ihm seine Entlassung bedeutet hat.

Die algerischen Demokraten, zumindest jene, die den französischen Vorstellungen auf diesem Gebiet nahe kommen, und die sogenannten Demokraten in Frankreich, von denen sie unterstützt werden, haben es im allgemeinen gebilligt und billigen es noch immer, daß die Islamisten um den Wahlsieg und die Übernahme der Macht gebracht werden, wofür sie als Begründung anführen, daß diese, da keine Demokraten, die Macht nicht wieder abgeben würden, wenn sie bei zukünftigen Wahlen unterliegen sollten. Es ist offensichtlich, daß sich dieses Denken im Kreise dreht und dabei eine wesentliche Tatsache verdrängt wird: daß nämlich die algerischen ,,Demokraten” für gewöhnlich à la francaise ausgebildete Intellektuelle sind, seit der Unabhängigkeit in relativ privilegierten Verhältnissen leben und diese Privilegien, wenn es sein muß, mit der Unterstützung der im übrigen schon damals nur mit nackter Gewalt an die Macht gekommenen Mörderclique verteidigen und sie von dieser erkaufen, was freilich geleugnet, in jedem Falle aber mit einem heuchlerischen Schweigen über die Geschichte und die Legitimierung des Regimes übergangen wird.

Die Aktionen zur Unterstützung dieser falschen Demokraten dienen vor allem einer Hetzkampagne gegen die Islamisten, bei der die Augen vor der Tatsache geschlossen werden, daß die Islamisten die hauptsächlichen Opfer des Regimes sind. Sie haben dessen Haß auf sich gezogen, weil sie es verstanden haben, im Namen der Unterprivilegierten, der, wie sie sagen, ,,Unbemittelten” zu sprechen, und dies oft aus gutem Recht. Der Westen, der das kommunistische Schreckgespenst verloren hat, hat wieder in Form des bekennenden Moslems, der bei dieser Gelegenheit zum ,,Islamisten” wird, ein allgegenwärtiges, allmächtiges, absolut phantastisches Feindbild gefunden. Bei dieser Arbeit im Imaginären der Wiederherstellung des ,,Bösen”, das allein geeignet ist, den Westen als das Gute erscheinen zu lassen, haben die Pariser Intellektuellen, insbesondere in der Umgebung des Satrapen der pyrenäischen Soziologie, Pierre Bourdieu, wieder einmal Großes geleistet.

Wer aber die Metaebene verläßt und ins Reale zurückfindet, muß feststellen, daß Urheber und Hauptakteur des algerischen Bürgerkrieges, der ,,ausradiert”, der im großen Stile mordet (auch jene, die man wie Boudiaf zurückgeholt und für sich eingespannt hat), die algerische Regierung ist, die von den höchsten französischen Regierungsstellen unterstützt, ermutigt und finanziert wird. Die Vorstellung, daß die Verlierer des Algerienkrieges im Moment eine süße Rache empfinden, wenn sie ausgerechnet den blutrünstigen Siegern von 1962 dabei helfen, an der Macht zu bleiben, ist nicht abwegig.

Nichts wird sich bewegen, nichts wird in Algerien vorankommen, solange diese an der Macht befindliche Clique nicht politisch und physisch eliminiert wird. Das ist die Voraussetzung für jede wie auch immer geartete politische Lösung. Denjenigen, die es mit Bedauern sehen, daß es heute Islamisten sind, die die elementaren Rechte der ausgebeuteten Schichten der moslemischen Länder zu ihrer Sache gemacht haben und an der Spitze eines gerechten Kampfes stehen, sei gesagt, daß die Linke ihre historische Chance gehabt hat. Leider hat sie diese aber vorbeigehen lassen und es vorgezogen, sich dreißig Jahre lang in grotesker Wortsülze zu wälzen.

Das System der Ausbeutung der Armen offenbart sich mit seinem grünen Gott weit ab von Mekka jeden Tag an der Wall Street, in Tokio, Frankfurt, London usw. Seiner Propheten, Mullahs und Gurus gibt es Tausende. Sie verbrauchen sich schnell, doch seiner Religion geht es gut.

2.

Es ist klar, daß die schrecklichen Ereignisse, die sich 1993 in Ruanda abspielten, in Wirklichkeit 1959 begannen und sowohl in Ruanda wie auch in Burundi von zahlreichen Vor- und Nachbeben begleitet waren. Die intellektuelle Verantwortung für die ,,Verrassung” in der Wahrnehmung der sozialen Konflikte vor Ort trifft zuerst die belgischen katholischen Missionare und die letzte Kolonialverwaltung, die von der auf Lumumba folgenden Bewegung in Schrecken versetzt wurde. Es ist schon fast alles über die in Ruanda an der Regierung befindliche Clique und die Art und Weise gesagt worden, wie sich deren Getriebe der Machterhaltung, für jeden, der sehen wollte, erkennbar, festgefahren hatte, bevor, in den Minuten, die dem Anschlag auf die Maschine des Präsidenten folgten, das große Mähen begann. Es ist in der demokratischen Öffentlichkeit bislang wenig beachtet worden, daß die eigentlichen Anstifter und Organisatoren der Massaker in Ruanda von der Ehefrau des Staatschefs und ihrer Familie angefangen sofort nach Frankreich gebracht worden sind, um dort Asyl zu finden.

Dank der zahlreichen, in der Presse erschienenen Artikel und mehrerer ausgezeichneter Bücher kann die Chronik dieser entsetzlichen Ereignisse, bei denen man in der Tat von versuchtem Völkermord sprechen kann, sehr gut nachvollzogen werden. Ich möchte hier nicht auf die trotz aller Erstickungsversuche, trotz aller Gesetze und Gerichtsurteile anhaltende Kontroverse über die Frage, ob es sinnvoll sei, bezüglich der von Regierungen begangenen Massaker, z.B. gegen die Armenier während des Ersten und gegen die Juden während des Zweiten Weltkrieges getroffenen Vernichtungsmaßnahmen von Völkermord zu sprechen und all die sich daraus ergebenen politischen Auswirkungen eingehen. Doch kann festgestellt werden, daß es zur damaligen Zeit, d.h. vor 1948, keine besondere, das Verbrechen des Völkermordes sanktionierende Gesetzgebung nicht einmal im Entwurf gab. Inzwischen, seit 1948/50, gibt es aber eine von der Mehrzahl der Staaten unterzeichnete internationale Konvention. Selbstverständlich muß sie angewandt werden. Da sie jeder Regierung, ganz gleich, welcher, zur Pflicht macht, auf ihrem Territorium mutmaßliche Täter möglicherweise völkermörderischer Handlungen zu ergreifen und zu verurteilen, haben sich die französischen Behörden offenkundig einer enormen Verletzung ihrer Amtspflicht schuldig gemacht, als sie die Hauptverantwortlichen des Völkermordes in Ruanda nach Frankreich kommen ließen, sie eine bestimmte Zeit aushielten und ihnen die Möglichkeit einräumten, still und leise in afrikanische Protektorate zu verschwinden. Auch die belgische Regierung, die gemeinsam mit vor allem der katholischen Kirche einer beträchtlichen Zahl dieser Massenmörder Gastfreundschaft gewährte, hat eine erhebliche Amtspflichtverletzung begangen. In dem Maße, da die französische Unterstützung dieses Regimes vor und nach dessen völkermörderischen Aktivitäten seit der Zeit General de Gaulles und seiner für die schmutzige Arbeit eingesetzten Handlanger mit Wissen und vor den Augen der französischen Politiker im Elysée betrieben wird, sind die französischen Hauptverantwortlichen an diesem Zustand zu benennen: Präsident Mitterrand und sein mit der alltäglichen Verwaltung der ruandischen Unterlagen und besonders der militärischen Unterstützung des damals in Kigali herrschenden Regimes beauftragter Sohn Jean-Christoph. Im übrigen ist die widerliche Haltung der französischen Behörden gegenüber der neuen, aus der Rache der Massakrierten hervorgegangen Regierung in Kigali ein trauriges Schuldeingeständnis. Wir werden also in Kürze erleben, daß zumindest Sohn Mitterrand vor ein für Amtspflichtverletzung und Beihilfe zum Völkermord zuständiges Gericht gestellt wird... Denn dazu besteht absolut zwingender, aus dem Völkerrecht und den von Frankreich unterzeichneten Konventionen hervorgehender Handlungsbedarf. Die ganze Frage besteht darin, und sie wurde schon bei anderer Gelegenheit gestellt, ob es in diesem Land noch Recht gibt.

 

Anmerkungen:

 Boudiaf war 1954 Gründungsmitglied der Algerischen Befreiungsfront, von der er 1962 ins Exil getrieben wurde. In den 80ern von den Machthabern erst ins Land geholt, wurde er 1992 ermordet.

2 siehe z.B.: Colette Breackman: Rwanda: histoire d'un génocide, Fayard, 1994; Francois-Xavier Vershave: Complicité de génocide? La politique de la France au Rwanda, La Découverte, 1994; Le Monde diplomatique, März 1995

 

Übersetzung: Peter Töpfer

http://vho.org/aaargh/

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