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Pierre Guillaume: Wider besseres Wissen
(Dieser Aufsatz erschien auf deutsch zuerst in Sleipnir. Zeitschrift für Kultur, Geschiche und Politik)
Am 21. Juni 1991 brachte Jacques Toubon, zu jener Zeit Abgeordneter der RPR (Gaullisten), auf einer Sitzung der Nationalversammlung unter Vorsitz von Laurent Fabius, einen Änderungsvorschlag ein, der die Aufhebung
des Gesetzes vom 13. Juli1990 bedeutet hätte, des sogenannten Gesetzes Fabius/Gayssot, welches den Straftatbestand des Revisionismus konstituierte.
Es kam zu folgender Rede und Gegenrede: Jacques Toubon: ,,Es handelt sich bei der Straftat des Revisionismus also um die Negierung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die während des Holocaust begangen wurden.
Als wir 1990 auf der Grundlage eines Gesetzesvorschlages der kommunistischen Fraktion, deren erster Unterzeichner Herr Gayssot war, darüber diskutierten, habe ich - und ich war nicht der einzige - den Grundgedanken,
der diesem Text zugrundeliegt und der darin besteht, die historische Wahrheit durch das Gesetz zu fixieren, anstatt sie von der Geschichte sprechen zu lassen, zurückgewiesen.
Manch einer mag einwenden, daß, wenn es auch die Geschichte sei, die die Wahrheit ausmache und man diese nicht per Gesetz aufzwingen könne, einige Äußerungen doch zu weit gingen und man derartige Äußerungen nicht
erlauben dürfe. Doch das hieße, unmerklich den ersten Schritt in Richtung des politischen Strafrechts und in Richtung eines Meinungsstrafrechts zu gehen. Hier sind große und grundlegende Gefährdungen angelegt. (...)
Dementsprechend stellt der Artikel 24/ 2 meines Erachtens einen sehr ernsten, einen grundlegenden politischen und rechtlichen Fehler dar. Er schafft in Wirklichkeit einen schwer meßbaren Tatbestand, der nur aus den
Umständen heraus beurteilt werden kann und der Subjektivität Tür und Tor öffnet - und das beklage ich sehr.
Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Die Ereignisse von Carpentras liegen nicht mehr nur einen Monat zurück. Wir haben jetzt keinen Text zu erörtern, den die Präsidentenkonferenz - daran möchte ich erinnern - in aller
Eile, achtundvierzig Stunden nach seiner Einreichung, auf die Tagesordnung setzte, und der sofort diskutiert worden war, weil der Präsdident der Nationalversammlung, Monsieur Fabius, persönlich seine Aufnahme
beschloß. Ein Jahr danach können wir in aller Ruhe - und so habe ich es vor - untersuchen, was dieses Gesetz gebracht hat, können wir Wert und Wirkung dieses Artikels 24/2 beurteilen und mit Simone Veil feststellen,
daß es sich um einen unmöglichen, unangebrachten Straftatsbestand handelt, um einen Fehler auf politischen wie auf rechtlichem Gebiet."
Jean-Claude Lefort (Fraktion der Kommunisten): “Herr Toubon, ziehen Sie diesen im wahrsten Sinne des Wortes obszönen Änderungsvorschlag zurück. Dieser Vorschlag hat wirklich einen schlechten, einen sehr
schlechten Geruch." (Beifall auf den Rängen der kommunistischen Fraktion) [Man beachte die Qualität der Argumentation - P. Guillaume]
Jacques Toubon: ,,Es gab 1936 einen Typen, der hieß Stalin. Der hat genau die Arbeit geleistet, die Sie gerade besorgen! Prozesse nannte sich das. [...] Es ist doch im Grunde vollkommen klar, daß die Einführung der
Strafbarkeit des Revisionismus einen Rückschritt für unsere Gesetzgebung bedeutet, denn es ist ein Schritt in Richtung des Meinungsdeliktes. Es bedeutet einen Rückschritt in der Geschichtsschreibung, denn es führt
dazu, daß sie nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Ich bin gegen den Straftatsbestand Revisionismus, weil ich für das Recht und die Geschichte bin, die Strafbarkeit des Revisionismus aber die Geschichte auf
wacklige Füße stellt und das Recht zurückweichen läßt."
Heute ist der gleiche Jacques Toubon nicht mehr in der Opposition. Zuerst war er Kulturminister, heute ist er Justizminister. Soweit man weiß, hat er seither nicht den kleinsten Schritt unternommen, die
Außerkraftsetzung eines Gesetzes zu erreichen, das, seinen eigenen Erklärungen zufolge, Rechtssprechung wie Geschichtsschreibung beschädigt.
Gibt es in Frankreich solch mächtige Gruppen, die einen Justizminister zwingen können, sich zu verleugnen und einen ,,Fehler auf politischem wie auf rechtlichem Gebiet" zu decken? Existieren derart zwingende
politische Notwendigkeiten, daß sie den Justizminister dazu führen können, Komplize eines stalinistischen Gesetzes zu werden?
Anmerkung:
Journal Offlciel de la République francaise, Assemblée national, 22. Juni 1991, Seite 3571 - 3573
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