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Peter Töpfer: V i e l   W i s s e n s w e r t e s ! Zum Urteil des Landgerichts Münster gegen Erhard Kemper “wegen Volksverhetzung” (Das Urteil ist vollständig veröffentlich in Sleipnir 5/99)

(4 Ns 46 Js 593/95 (75/99)))

Erhard Kemper ist wieder einmal verurteilt worden; diesmal zu einem Jahr und drei Monaten. Wegen “Volksverhetzung”. Zur Begründung zieht das Gericht einen privaten Brief Kempers an den inhaftierten Marcus Bischoff heran, der “bei der Briefkontrolle durch die Staatsanwaltschaft Berlin angehalten und vom Landgericht Berlin mit Beschluß vom 05.07.1995 beanstandet, von der Beförderung ausgeschlossen und einstweilen beschlagnahmt worden” ist.

Na toll!

Daß er aber den Brief, so das Gericht weiter, “an weitere Personen versandte oder damit rechnete, daß die beiden Empfänger es weiter verbreiten würden, läßt sich nicht feststellen”.

Na dann!

Aber in den Knast stecken wir Kemper doch lieber erst mal.

Wie doch Richter so denken?!...

Dabei ist klar – darauf muß immer wieder hingewiesen werden –, daß niemanden etwas angeht, was jemand an einen anderen schreibt. Aber von diesem bösen Brief konnte nicht einmal “festgestellt” werden, daß er weiterverbreitet und daß Kemper mit irgend etwas “rechnete”...

– Verurteilt wird!

Diesen Brief des Anstoßes hat die Münsteraner Staatsanwaltschaft der “Jüdischen Kultusgemeinde” in Münster zugeleitet (quasi als Anstoß), damit dieser “Gelegenheit zur Strafantragsstellung wegen Beleidigung gegeben werden sollte”.

Bitte! Nach Ihnen!

Natürlich lassen wir Ihnen den Vortritt!

Auch nicht schlecht: Normalerweise wird bei Polizei und Staatsanwaltschaft denunziert – hier zeigt man bei der offenbar höheren Stelle an.

Die armen Juden sind dem dann tatsächlich nachgekommen. Wie lange lassen sich Juden noch von Deutschen zu solchen Dingen hinreißen und vor den Karren, der längst schon mit zwei Rädern neben dem Asphalt fährt, spannen? [wie klingt´nn das? Ich habe mir dieses Bild von Neil Young genommen] Nur Zivilcourage, Ihr Juden! Euch kann doch nichts passieren, wenn ihr Euch nicht mehr verheizen laßt!

Aber die Juden denken gar nicht dran. Nein, auch ihnen ist nicht mehr zu helfen; die schlafen genau so tief in ihrer Provinz wie ihre nichtjüdischen Amtsbrüder. Sie – in Gestalt des “Zeugen Fehr, der geschäftsführender Vorsteher der Jüdischen Kultusgemeinde in Münster war und ist” – haben die Ruhe weg und erzählen uns was von ihrer “Kultusgemeinden”-“Satzung” und daß die “Kultusgemeinde” eine “Körperschaft des öffentlichen Rechts ist”, die “von ihrem geschäftsführenden Vorsteher vertreten” wird (“im Außenverhältnis”). Wir erfahren des weiteren von einer interessanten “Einschränkung”, die die Satzung “jedoch enthält”: “Rechtsbindende Erklärungen (müssen) von einem weiteren Vertreter des Vorstands mit unterzeichnet werden”!

Wer hätte das nur gedacht?! Potz Donner und Blitz!

Jetzt müssen wir einen ganzen Satz zitieren, der – es sei daran erinnert – aus einer Urteilsbegründung eines Gerichtes stammt (1 Jahr, 3 Monate...): “Die Jüdische Kultusgemeinde in Münster existierte bereits im 1900 Jahrhundert [sic] als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie errichtete 1890 im Stadtgebiet von Münster eine Synagoge, wobei es sich – wie die Inaugenscheinsnahme eines Lichtbildes in der Hauptverhandlung zeigte – um ein großes und sehr respektables Bauwerk handelte.”

Das ist ja nun wirklich sehr interessant! Ahá! Ohó! Was das Gericht so alles weiß! Menschenskind! Man stelle sich diese “Hauptverhandlung” vor: Diaprojektor auf den Tisch, Gardinen zu, dunkel, und jetzt das Dia mit der Synagoge an die Wand! Oh, wie “groß”! Oh wie “respektabel”! Wie wäre es mit “imposant” gewesen?

Nicht zu fassen!

Was hat denn dieses “große, respektable Bauwerk” nun mit den Gittern zu tun, hinter die jetzt der arme Kemper muß?!?! (Man wird nicht abstreiten, daß die irgendwie auch “respektabel” sind...)

Dann folgt – wieder fragt man sich, was der arme Kemper dafür kann – eine Litanei, was den armen Juden in den 30er Jahren zugestoßen ist. (Man erfährt sogar etwas von einem “Kennkartenzwang”: endlich mal was Neues!: “KKZ”: Ist doch auch ganz einprägsam!) Die Ärmsten von damals wären heute sicherlich, neben den Berufsrevisionisten, die einzigen, die noch Mitleid mit unserem braven Kemper hätten.

Aber die allerärmsten Kerle sind fraglos unsere tapferen Richter hier in Münster. Als ob nichts weiter dabei wäre, heften sich unsere Lokal- und BRD-Patrioten einstweilen ganz stolz Orden an: “Wie alle Kultusgemeinden verlor auch die Jüdische Kultusgemeinde in Münster durch das ‚Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Jüdischen Kultusgemeinden‘ vom 28.03.1938 (RGB1 I S. 338) ihre Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die sie erst viele Jahre später nach Erlaß des Gesetzes über die Jüdischen Kultusgemeinden im Land Nordrhein-Westfalen (HR Nr. 89) wiedererlangte.”

Olálá! Unser “Nordrhein-Westfalen”: hat ganz schön was drauf! (Wo liegt’n das überhaupt?... – aber keine “Beleidigung” der Nordrheiner und Westfalener jetzt! Jedenfalls:) Alle Achtung!

Ev’rybody now!:

“Nordrhein-Westfaaalen
Nordrhein-Westfaaalen
Nordrhein-Westfaaaaaalen ist okay.
Nordrhein-Westfaaalen
Nordrhein-Westfaaalen
Nordrhein-Westfááálen ist okay!”

Aber wer dachte, das sei schon alles gewesen, was wir von den Richtern über jenes “Bauwerk” erfahren, der irrt. Der “steuerlicher Einheitswert” des Synagogengrundstücks “machte bereits 52.000 Reichsmark aus”!

Das ist allerhand! (Unser armer Kemper – den dürfen wir ja nun bei aller Achtung vor den historischen Details nicht ganz aus den Augen verlieren! – strampelt sich unterdessen, während draußen der Vortrag rollt, in der Zelle ab: “Hört mich denn keiner?!!” Man darf zu recht sagen: Der wird “übergangen”. Ich sehe ihn richtig vor mir, wie er da sitzt, allein, klein wie eine Brotkrume unter den Wortschwülsten der Experten; er, der keinen Prozeß gegen Dissidenten als “freier Berichterstatter im Widerstand” ausgelassen hat...)

Aber es geht erbarmungslos weiter: “Die Abbruchkosten von 20.000 Reichsmark wurden vom Kaufpreis noch abgezogen, so daß nur 8.000 Reichsmark verblieben.”

Nein?!?! Wollen wir doch nicht lieber noch mal nachrechnen? Ist vielleicht zufällig ein Revisor da? Nein, die Angaben des Zeugen Fehr sind “glaubhaft”!...

Ja, warum sollten sie das nicht sein?!

Was bedeutet das alles, fragt sich der Leser (der dieser Zeilen hier, nicht der der Urteilsbegründung – der sowieso...). Wir wissen es auch nicht. Vielleicht glaubt das Gericht wie im Wahn, daß wirklich einer kommen und nachzählen könnte?...

– Alles ist Toyota.

Unter römisch vier kommen wir dann abwechslungsweise mal wieder auf unseren Brief zurück. Immer noch wird Kemper fleißig freigesprochen: “Daß der Brief verbreitet, das heißt einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht worden sein könnte, läßt sich indes nicht feststellen.”

Das wußten wir bereits.

Gut, Kemper ist unschuldig, deswegen wird er ja auch verknackt, aber warum wird das dann noch so oft breitgewalzt?

Mit wem reden die eigentlich?

Das Gericht läßt sich nicht beirren. Ist es im Tee? Es folgen mehrere Sätze, was nun warum wieso weshalb und überhaupt mit dem Brief passiert ist. Das Gericht entlastet den Angeklagten ohne Unterlaß. Nein, “es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte mit der Versendung an Bischoff eine Kettenverbreitung beabsichtigt haben könnte”.

Wäre hier nicht “Pyramiden-” oder gar “Schneeballverbreitung” angebracht gewesen?

Kemper hat nie etwas abgestritten, immer geht er aufs Ganze, bekennt sich zu allem, was er tut (wieviel Mal vorbestraft?, wieviel Jahre Knast bereits?...) – hier sagt er: Nein, dieser Brief, der sollte nicht verbreitet werden. Das Gericht glaubt ihm prompt; es weiß: man kann sich auf ihn verlassen, der Kerl ist immer auf der ersten Ebene, sagt treu, brav & ehrlich die nackte Wahrheit. Aber trotzdem & immer wieder: Brief Brief Brief...

–  Ja, was also mit diesem Scheißbrief?!?! Verdammt noch mal!!!

Muß man sich Sorgen machen? Kann mal jemand nachsehen da drüben in Münster?

Nachdem nochmals der “Zeuge Fehr” angeführt wird, “der sich mit der Historie seiner Gemeinde beschäftigt hat und im übrigen bezogen auf seine Gemeinde eine Entwicklung schildert, die dem allgemein bekannten Verlauf der Judenverfolgung im Dritten Reich entspricht”, kommen wir unter römisch fünf rucki zucki direkt zum Verdikt:

“Der Angeklagte hat sich somit wegen Beleidigung der Jüdischen Kultusgemeinde Münster nach 5 185 StGB strafbar gemacht.”

“Somit”!!

Wómit??!

– Vomit!!!

Wer Appetit auf mehr hat, wer gar nicht mehr herauskommen will aus dem Staunen, der kann sich diese von Juristen eines Rechtsstaates geschriebene Urteilsbegründung (: nein nein, nichts davon setze ich in Anführungszeichen – das ist unsere viel gepriesene Zivilisation live: Hier kannst du sie mal kennenlernen!), dieses singuläre Kunstwerk gern integral reinziehen: Es ist abgedruckt im aktuellen Heft der Zeitschrift Sleipnir, Heft 5/99. Allein siebzehn Seiten Urteilsbegründung, feinste Leckerbissen, warten auf dich!

Wir wollen aber nicht vergessen, daß der Spaß nicht ganz umsonst ist, sondern auf Kosten Erhard Kempers stattfindet. Vergeßt ihn nicht; letztlich verdanken wir doch ihm diese Lektion in Briefeschreiben und Synagogalgeschichte. Seine Anschrift: JVA Münster (bitte noch mal nachfragen!)